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Seite 2: Von den alten Kumpels entwürdigt

Obwohl ich schon auf dem Weg Rich­tung Kabine hätte wissen müssen, dass ich mit dieser Nicht-Erwar­tung nicht durch­kommen würde. Als ich durch Milch­glas einen Bespre­chungs­raum erahne, in dem die geg­ne­ri­sche Mann­schaft 90 Minuten vor Anpfiff hoch­kon­zen­triert zu sitzen scheint, mental und tak­tisch nichts dem Zufall über­las­send. Wäh­rend meine Team­kol­legen ohne jeg­liche Span­nung durch die Gänge spa­zieren, in Gedanken längst am See oder bei der nächsten Klausur. Dass das alles also übel enden würde.

Doch mit dem Gefühl vor Kreis­li­ga­spielen ver­hält es sich ja wie mit Calha­noglu-Vor­ver­trägen: Kann man sich nicht drauf ver­lassen. Also lasse ich mich von der is doch wuppe“-Stimmung anste­cken und ziehe mich gut­gläubig um. Selbst beim Auf­wärmen – echter Rasen­platz, bestes Wetter – fallen sie mir nicht auf. Sie, die mir in ein paar Stunden die größte Schmach meiner Kar­riere“ zuge­fügt haben werden.

Nein, noch bin ich ganz der Profi, nur auf mich und meine Männer kon­zen­triert, ein biss­chen anschwitzen, ein paar halb­mo­ti­vierte Moti­va­ti­ons­sprüche, ein paar semi-ernste Sprints. Und so braucht es den Anpfiff, bis ich rea­li­siere, dass es hier heute um nicht weniger als die eigene Ehre gehen wird.

Ich würde zufrieden in mein anderes Leben fahren

Denn ist das da drüben nicht Kurti, der Junge aus dem Buch­laden, mit etwas mehr Bart? Und war das grade nicht Devid, der ele­gante Zehner von früher? Und das, ja klar, das ist doch Wolle, dem ich mal einen Kratzer in seinen Roller gefallen habe. Ins­ge­samt sieben Ex-Kol­legen auf dem Platz oder auf der Bank zähle ich, ins­ge­samt sieben Gründe, warum ich mir hier heute ver­dammt noch mal den Arsch auf­reißen muss. Und auf einmal bin ich heiß.

Die ersten Bälle kommen locker aus dem Fuß­ge­lenk gespru­delt, die ersten Zwei­kämpfe im Zen­trum gehen an mich. Guten Tag, ich bin’s, Max, und das ist mein Stol­len­schuh, kennt ihr uns noch? Die Reak­tion – eher gleich­gültig. Also zau­bern: Ich spiele töd­liche Pässe wie seit Monaten nicht, ach, wie viel­leicht noch nie, ich bin flink wie zuletzt mit 18, ich suche den Abschluss und ich renne mir die Lunge aus dem Leib. Spul mich die Bal­lone, los, SPUL MICH DIE BAL­LONE. Und: meine Truppe zieht mit. Zur Halb­zeit ein respek­ta­bles 0:0, mit den bes­seren Chancen für uns. Ja, die alten Kol­legen sollen mich noch richtig ken­nen­lernen.

Ich, der etwas wun­der­liche Junge, der lieber stu­dieren ging statt Geld zu ver­dienen, ich würde ihnen jetzt zeigen, wie das mit dem Fuß­ball richtig funk­tio­niert. Ich würde dieses Spiel gewinnen, danach würde es ein paar höl­zerne Gespräche geben, sie würden mir erzählen, dass sie mitt­ler­weile zwei Kinder hätten und noch immer mit Jenny zusammen seien und ich würde dann ant­worten, dass ich stu­diert hätte und jetzt mal gucken müsse und sie würden es nicht so ganz ver­stehen. Und dann würde ich Ihnen erho­benen Hauptes die Hände schüt­teln und zufrieden in mein anderes Leben fahren, raus aus dem Rand­be­zirk, rein in die Stadt.

Ent­wür­digt von den alten Kum­pels

Beseelt von diesen Gedanken starte ich in die zweite Hälfte. Doch nach fünf Minuten der erste Dämpfer – Gegentor, 0:1. Scheiß­dreck. Im Kopf also umschalten auf ange­knockter Boxer, Rocky-Men­ta­lität, wer hin­fällt, steht wieder auf und der ganze Kram. Will heißen: weiter, immer weiter. Zehn Minuten später, wir spielen uns über die linke Seite durch, ich werde in den Straf­raum geschickt. Und wenn nicht heute ein­fach mal mit links abfa­ckeln, wann dann? WANN DANN? Also mit links abfa­ckeln, der Ball schlägt im kurzen Eck ein, 1:1, Aus­gleich. Ich raste aus. Guckt alle her, ich hab’s gemacht! Ich! Würde mein Name auf dem Trikot stehen, ich würde rück­wärts lau­fend auf ihn zeigen, mit allen Daumen, die mir an den Händen wachsen. Ich bin der König der Welt, ich bin der Größte.

Ich bin der größte Depp.

Sieb­zehn Minuten später steht es 1:8. Meine Mann­schaft, nein, ich, ich ganz alleine habe mir von meinen alten Kol­legen sieben Gegen­tore in 15 Minuten ein­schenken lassen (Wer es nicht glaubt – hier gibt’s den Beweis). Erst das 1:2 – ok, habe ich gedacht, hin­nehmbar, nur ein wei­terer Stol­per­stein auf dem Weg ins Glück. Dann nach (eigenem) Anstoß – ob der aus uner­find­li­chen Gründen schlag­artig durch­ge­weichten Knie meiner Mann­schaft – das 1:3. Und Schlag auf Schlag, Schuss auf Schuss haben Sie mir das Herz aus der Brust gerissen und sind darauf her­um­ge­tram­pelt, nur um es in irgend­eine ran­zige Ecke zu feuern. Beim Stand von 1:4, sie haben grade drei Tore in vier Minuten geschossen, losen sie als letztes Sai­son­ziel die 100-Tore-Marke aus. Sind ja nur noch drei. Beim 1:7, also drei Tore und zehn Minuten später, haben sie es erreicht. Und mich end­gültig ent­wür­digt.

Nach dem Spiel trinken wir zusammen ein Bier. Sie erzählen mir von ihren zwei Kin­dern und der gemein­samen Woh­nung in Lank­witz. Es scheint ihnen prächtig zu gehen. Ich mag nichts von mir erzählen, son­dern halte lieber die Klappe und fahre dann wieder in die Innen­stadt. Nicht ange­knackst. Nein, durch­ge­knackst. 

Als ich später mit Freunden das erste Grup­pen­spiel der Deut­schen gegen die Ukraine schaue, denke ich beim Tor von Schwein­steiger: Guck mal einer an.“ Der Mann ist auch – genau wie du – durchs Feuer gegangen, hat dahoam den wich­tigsten Elfer seines Lebens ver­geigt und wurde dann trotzdem noch Welt­meister. Und jetzt sprintet dieses alte Schlacht­ross immer noch nach vorne und schiebt den Ball ein. Ich beschließe, mir ein Bei­spiel an Schwein­steiger zu nehmen. Ich würde wieder auf­stehen. Come back stronger.

Zwei Wochen später jagt Schweini den nächsten Elfer ins Nichts, seine Truppe würgt sich trotzdem ins Halb­fi­nale. Ein Spiel später köpft er den Ball mit der Hand im Straf­raum und ver­schuldet den spiel­ent­schei­denden Elf­meter. Deutsch­land ist raus, Schwein­steiger auch. Ich beschließe, nie wieder gegen Mari­en­dorf zu spielen.