Ein Arzt soll Spieler von Arsenal, Chelsea und Leicester mit Epo oder Wachstumshormonen versorgt haben. Dopingexperte Jonathan Sachse über das unbequeme Problem des Fußballs.
Jonathan Sachse, ein britischer Arzt, Mark Bonar, soll 150 Profisportler gedopt haben. Auch Spitzenfußballer seien seine Kunden. „Auf dem Elitelevel schaffst du es im Profisport nicht ohne Doping“, sagt er. Hat er Recht?
Die Aussage halte ich für zu pauschal. Im Fußball spielen auch andere Dinge eine wesentliche Rolle. Aber: Doping hilft natürlich auch im Fußball, um langfristig oben dabei zu bleiben.
Was aus den Enthüllungen des „WDR“ und der „Sunday Times“ gilt derzeit als gesichert?
Bonar wurde mit versteckter Kamera von einem Sportler nach Mitteln gefragt und kam ins Plaudern: Er spricht von einem Netzwerk aus 150 Sportlern verschiedenster Sportarten, die er versorgt hat. Er spricht von den Substanzen Epo, Testosteron und Wachstumshormonen. Seine Bezüge zum Fußball sind hochspannend: Er erwähnt, dass er Spieler von Arsenal, dem FC Chelsea und Leicester City betreut. Er sagt auch, dass der einen großen Star versorgt hat und vor allem Spieler, die über 30 Jahre alt sind.
Wie bewerten Sie diese Aussagen?
Bonar wirkt auf den Aufnahmen ziemlich unprofessionell, das wundert mich. Er wirft im gezeigten Beitrag mit vielen Namen von Medikamenten um sich. Einiges muss man aber dennoch sehr ernst nehmen. Er hat einen interessanten Verbündeten: Rob Brinded, früherer Fitnesscoach des FC Chelsea, der einen Wunderheiler-Status hat. Das ist typisch bei einem Doping-Verdacht im Fußball.
Wie kommt der Kontakt zu Leuten wie Bonar zustande?
Das passiert häufig über Empfehlungen. Hat ein Arzt einen Status als solch ein Heiler, wird sein Name rumgereicht. Seriosität ist dann nicht immer das wichtigste Kriterium. Sportler sind anfällig für die Versprechen solcher Wunderheiler, die ihrem wichtigsten Gut, dem eigenen Körper, Optimierung versprechen. Wir kennen das aus dem Radsport: Wenn Empfehlungen von Teamärzten oder Physiotherapeuten kommen, vertrauen die Sportler dem erstmal. Ich kann mir das im Fall Bonar auch gut vorstellen.
Die mit Bonar in Verbindung gebrachten Mittel EPO, Testosteron und Wachstumshormone: Sind das die Klassiker?
Diese helfen, um die Grundfähigkeiten eines Fußballers zu verbessern: Ausdauer und Schnelligkeit. Anabolika haben wir in den vergangenen Jahrzehnten auch immer wieder gesehen, das sorgt für mehr Kraft und beschleunigt nach Verletzungen den Muskelzuwachs. Es gibt aber sicherlich noch weitere Substanzen.
Bonar sagte auch, dass er vor allem Spieler über 30 versorgt, weil diese sonst mit den 18-Jährigen nicht mehr mithalten können. Haben Sie das auch beobachtet?
Wir erfahren in Gesprächen mit ehemaligen Sportlern immer wieder, dass die Anfälligkeit für verbotene Mittel besonders nach Verletzungen höher ist. Einer sprach von einer Badewanne voll mit Medikamenten und Spritzen. Dass ältere Spieler, die schneller abbauen, anfälliger sind, kann ich mir gut vorstellen, genauso aber wie den 18-Jährigen, der zwar technisch hochbegabt ist, aber Defizite im Ausdauer und Kraftbereich hat.
So wie Lionel Messi, der mit Wachstumshormonen behandelt wurde, um größer zu werden.
Genau. Man kann auch Namen nennen, ohne einen Dopingzusammenhang herzustellen. Mario Götze zum Beispiel hat seit seinem Profidebüt auch einen enormen Muskelzuwachs hingelegt.
Überrascht es Sie, dass mit Mark Bonar ein Gynäkologe aus einer Beautyklinik für Doping verantwortlich sein soll?
Nein, denn die Fälle aus der Vergangenheit belegen, dass es einen Trend gibt. Eufemanio Funtes, der die zentrale Figur des riesigen spanischen Dopingskandals war, arbeitete als Frauenarzt. Anti-Aging-Klinken oder Schönheitspraxen tauchten immer wieder bei Dopingfällen der Vergangenheit auf.
Sind das Einzelfälle oder steckt ein System dahinter?
Wir glauben, dass es im Fußball einen kleineren Kreis von Vertrauten gibt. Es kann aber auch sein, dass es eine Riege von Mitspielern gibt, die schon lange zusammenspielen und deshalb genau wissen, was man voneinander hat. Bei Juventus Turin deutete 1998 zwar vieles daraufhin, dass ein Großteil des Teams mit Mitteln versorgt wurde. Gegen Teamdoping spricht aber, dass das Geschäft heute zu schnelllebig ist. Mit jedem Transfer stiege das Risiko, dass einer bei seinem neuen Verein anfängt zu reden.
Was ist mit Leicester City? Auch die stehen jetzt unter Verdacht. Der Klub hat in einem Kalenderjahr 91 Punkte geholt, stand im April 2015 kurz vor dem Abstieg und wird jetzt vielleicht Meister. Ein offensichtlicher Leistungssprung.
In Individualsportarten lassen sich plötzliche Sprünge anhand von Daten besser nachvollziehen. Das fällt im Fußball wegen vieler anderer Faktoren natürlich schwer. Trotzdem gibt es interessante Ausgangsfragen: Wie sind die Laufwerte von Leicester? Laufen sie in der Schlussviertelstunde mehr als andere? Ließen sich da Sprünge belegen, hätte man zumindest eine Tendenz. Es ist aber nicht nur das Laufen. Die einen sagen: Doping macht im Fußball keinen Sinn, weil nicht zählt, wie viel man rennt. Das halte ich für Blödsinn, ich sehe es genau andersherum. Weil Fußball so komplex ist, lässt sich in vielen Bereichen mit Doping etwas bewirken: Kondition, Ausdauer, Schnelligkeit, Kraft, Konzentration, Koordination.
Leicester City, der FC Chelsea und Arsenal weisen die Vorwürfe scharf zurück und greifen die Medien für unsaubere Berichterstattung an. Kennen Sie diesen Reflex?
Ich halte es für nicht sehr seriös, pauschal alle Vorwürfe zurückzuweisen, statt darauf einzugehen und sie zu prüfen. Man hätte Gesprächsbereitschaft und Aufklärungswillen signalisieren können. Auch der englische Verband hätte Untersuchungen ankündigen können. Das ist nicht passiert.
Bonar nennt keine Namen. Die „Sunday Times“ schreibt, dass sie die Sportler zwar kennt, die Namen aber nur den zuständigen Ermittlern weitergeben hat. Warum bleibt es so vage?
Ich weiß nicht, ob der Druck bei einem konkreten Namen größer werden würde. Wir haben oft erlebt, dass dieser einzelne Sportler dann als alleiniger Sündenbock aus dem System ausgeschlossen wird und unter der Affäre ein Haken gesetzt wird. Die Einzelfall-Theorie. Würden alle 150 von Bonar angeblich betreute Sportler als Doper öffentlich gemacht, wäre das etwas anders. Ich bezweifle aber, dass die Daten hart genug dafür sind.
Die Journalisten von WDR und „Sunday Times“ waren Anlaufstelle für die Informationen eines Whistleblowers, der sich mehrmals auch an die britische Anti-Doping-Behörde gewandt hat. Sie ignorierten aber seine Hinweise. Was sagt das über das Kontrollsystem?
Im Fußball ist das Problem, nicht nur in Großbritannien, besonders groß. Das Verhältnis aus unangekündigten Kontrollen und der Zahl der Spieler stimmt nicht. Es gibt zu wenig intelligente Kontrollen.
Wie kontrolliert man intelligent?
Der Fußballer darf nicht wissen, wann er kontrolliert wird. Momentan ist es so, dass ein Spieler sehr genau einschätzen kann, wann er möglicherweise getestet wird: nach Spielen und zu offiziellen Trainingszeiten. Da bleibt ein großes Zeitfenster offen. Nationalspieler haben zwar strengere Regeln. Die Wahrscheinlichkeit erwischt zu werden, ist trotzdem sehr gering, weil man es sich ausrechnen kann, wann Kontrollen stattfinden.
Immer wieder gab es Hinweise: Toni Schuhmacher veröffentlichte 1987 seine Biografie, in der er schwere Dopingvorwürfe gegen die Nationalmannschaft erhob. Der aktuellste Fall: Vor einem Jahr wurde durch die Freiburger „Evaluierungskommission Sportmedizin“ aufgedeckt, dass Ende der siebziger Jahre beim VfB Stuttgart und beim SC Freiburg wahrscheinlich gedopt wurde. Mittlerweile hat sich die Kommission aufgelöst. Zufall?
Es war nicht die erste Kommission, die genervt aufgab. Die hatten mächtig Gegenwind. Was aber feststeht: Es gab damals Einkaufslisten mit Spritzen und Medikamenten, die verboten waren. Das war ziemlich eindeutig.
Im September 2015 kam durch eine Uefa-Studie heraus, dass 68 Spieler europäischer Topvereine höchst auffällige Testosteronwerte haben. Die Namen blieben unter Verschluss.
Die gefundenen Werte der Uefa-Studie legen Steroid-Doping nahe. Leider wurde dies nicht weiter untersucht. Aber Studien gab es immer wieder: 2013 legte DFB-Arzt Tim Meyer eine Studie vor, in der neun Bundesligaprofis auffällige Blutwerte hatten. Das waren sehr eindeutige Zahlen damals. Der DFB gab aber, wie bei der Affäre um das Sommermärchen auch, vorab eine eigene Pressemitteilung raus, in der er Dopingverdacht auf Grund der Meyer-Studie bestritt. Das nahm viel Wind aus den Segeln.
Sie haben eine Chronik aller deutschen Fußballdoping-Fälle gelistet. Über 30 waren das, zuletzt war Cebio Soukou von Rot-Weiss Essen gesperrt worden. Glauben Sie an eine Dunkelziffer, die höher liegt?
Ja, klar. Es wird zu wenig kontrolliert und die Kontrollen sind nicht dicht genug. Zudem ist der DFB für das Ergebnismanagement verantwortlich, er entscheidet, wie mit einem solchen Fall umgegangen wird. Die Nationale Anti Doping Agentur (NADA), die zwar alle Fußballkontrollen durchführt, hat noch nie anders als der DFB entschieden. Dennoch hat sich das Kontrollsystem meiner Meinung nach schrittweise etwas gebessert, es ist aber noch viel Luft nach oben.
Wie geht es im Fall von Mark Bonar weiter?
Spannend ist, dass es in Großbritannien spielt. Von dort gab es bislang keine Erkenntnisse über ein Dopingnetzwerk. Das hat einen ziemlichen Aha-Effekt. Allerdings ist es schwer, jetzt vorauszusagen, was als nächstes passiert. Für handfeste Beweise müsste sich ein Fußballer trauen, offensiv über die Nutzung von Doping zu reden und damit anderen zu helfen, verantwortungsvoll mit dem eigenen Körper umzugehen. Davon sind wir momentan aber weit entfernt.
Jonathan Sachse arbeitet als Reporter für das gemeinnützige Recherchezentrum correctiv.org. Zu seinen Themen zählt auch Doping im Fußball, worüber er seit Jahren mit seinen Kollegen auf Fussballdoping.de berichtet.