Nationalspieler Alex Oxlade-Chamberlain schlich sich in einen Pulk von England-Fans. Was er dort erfuhr, zeigt auch, wie fremd sich Fußballer und Fans geworden sind.
Das Ganze sei schon „ziemlich surreal“ gewesen, schilderte Oxlade-Chamberlain seinen Trip auf die andere Seite des TV-Bildschirms, wo die Menschen sitzen und trinken und hoffen und bangen und fiebern und fluchen. Zwar flog der prominente Gast trotz der ausgefeilten Maskerade schon nach kurzer Zeit auf („Excuse me, aren’t you …“), doch in der Hektik des Spielgeschehens war „AOC“ bald wieder vergessen, aufgegangen in der Masse. Er war einer von ihnen. Was wirklich zählte, war „Ingländ“, die WM. Die gemeinsame Sache.
„Was das mit dir machen kann, ist irgendwie schockierend“, spürte Oxlade-Chamberlain eine bislang unbekannte Energie, die er so knisternd nicht einmal im Stadion gefühlt hatte: „Ich sah meine Teamkollegen, die da oben auf dem Bildschirm genau das taten, was auch ich sonst tue. Gleichzeitig konnte ich sehen, hören und spüren, wie die Leute im Pub darauf reagierten – was sie sagten, was sie dachten. Plötzlich begann ich, meine Teamkollegen beinahe zu idolisieren, und ich dachte: Oh mein Gott, so etwas bewirke ich in den Menschen, wenn sie mir beim Spielen zusehen?“ Ja, kannst du, Alex.
Wer für den Fußball leben muss, kann nicht beim Fußball feiern
Natürlich mag man Oxlade-Chamberlains Einlassungen naiv finden. Doch der 26-Jährige zählt nun mal zu jener Generation von Profis, die das Fan-Dasein nie kennenlernen durften: Schon mit sieben trat „AOC“ dem Nachwuchs des FC Southampton bei, von diesem Moment an wurde er tagtäglich für eine mögliche Karriere als Profi gedrillt: Wer für den Fußball leben muss, kann nicht beim Fußball feiern. So ist es eben.
So richtig eskalieren durfte Alex Oxlade-Chamberlain auch an jenem 28. Juni 2018 nicht. England unterlag den Belgiern letztlich mit 0:1 durch einen Treffer des früheren ManUnited- und BVB-Profis Adnan Januzaj. „AOC“ nahm das Tor und den Schlusspfiff einigermaßen ernüchtert zur Kenntnis, so wie die übrigen Pub-Besucher auch. Die Hoffnung auf den ersten WM-Titel seit 1966 war – wieder mal – ein Stück weit zusammengeschrumpft.
Nachhilfe am Tresen
Bei der kommenden Europameisterschaft aber wollen sie es besser machen, dann natürlich mit Oxlade-Chamberlain, wenn es nach ihm selbst ginge: „Das wäre großartig“, sagt der Mann, dessen Vorfahren väterlicherseits einst aus Jamaika gekommen waren. „Aber erst einmal müssen wir sicherstellen, dass wir uns für dieses Turnier qualifizieren. Alles andere wäre wohl ein ziemlicher Party-Crasher, also ist das unsere wichtigste Aufgabe – und danach …“ Europameister werden? „Ja, exakt.“
Alex Oxlade-Chamberlain kann sich ausmalen, was ein EM-Titel im „Boxpark“ in London-Shoreditch und in Tausenden anderen Pubs in ganz England auslösen würde. Vielleicht sollte er das auch seinen Mannschaftskameraden erzählen. Oder, noch besser: Vielleicht sollten die sich selbst mal für einen Abend an die Theke setzen, um ein Länderspiel zu schauen.