Shootingstar, Wunderkind, nächster Bayern-Coach! Niemand wird so gelobt wie der Trainer der TSG Hoffenheim. Aber was ist dran am jüngsten Coach der Liga? Eine Trainingswoche mit Julian Nagelsmann.
Wichtig ist es Nagelsmann, seinen Spielern persönliche Freiräume zu geben. „Was man als Trainer zurückbekommt, ist dann viel größer, als wenn man die letzten Prozent auch noch kontrolliert.“ Das ist bei Sandro Wagner offenkundig, der sich am Wochenende immer völlig verausgabt, dafür im Training auch mal etwas weniger machen darf. Oder einen halben Tag länger in München bei seinen Kindern bleiben, weil er ein passionierter Familienmensch ist. „Julian behandelt alle fair und will einen Menschen nicht verändern. Das ist für mich neben seiner fachlichen Qualität seine größte Stärke“, sagt Wagner.
„Mir ist Beziehung extrem wichtig“
Schaut man auf die Typologie, mit der er arbeitet: Als was für eine Art von Persönlichkeit würde Nagelsmann sich selbst beschreiben? „Mir ist Beziehung extrem wichtig“, sagte er. „Wenn etwas zwischen einem Spieler und mir steht, versuche ich das sofort zu klären. Und die Gier nach Erfolg steckt in meinem Charakter.“ Ohne einen Riesenhunger auf Erfolg hätte er diese Karriere wohl auch nicht gemacht. Kein Wunder, dass die Bayern ihn im Blick haben, wichtige Männer im Klub sind hellauf begeistert von Nagelsmann. Er hat sich dazu inzwischen eine Pointe zurechtgelegt: „Ich bin im Austausch mit Ralph Hasenhüttl und Thomas Tuchel. Wir einigen uns gerade, wer Trainer und wer Co-Trainer wird.“ Aber in München wollen sie natürlich erst einmal sehen, wie das Supertalent mit einer Krise umgeht, die größer ist als vier Unentschieden wie zu Beginn dieser Saison.
Auch Hoffenheims Sportpsychologe Jan Mayer bezweifelt nicht, dass Nagelsmann als Bayern-Trainer geeignet wäre. Er bietet aber auch die Wette an, dass der Coach in zehn Jahren des Profifußballs überdrüssig ist und danach etwas ganz anderes machen wird. Und Nagelsmann sagt, dass er irgendwann gerne mal Bergtouren organisieren würde. Die Macht und deren Symbole, die der Profifußball mit sich bringt, interessieren ihn sowieso nicht. „Es gibt im ganzen Verein keinen, der sagt: In der Situation war er unfair oder hat sich wie ein Arschloch benommen“, sagt Mayer. „Bescheiden und bodenständig“ würde Nagelsmann auftreten, deshalb gebe es intern eine „Zustimmungswand“ für ihn.
Letzte Besprechung? Fünf Minuten!
Nach einem Jahr mit seiner Mannschaft hat Nagelsmann nur eine große Angst: Langeweile. „Langeweile ist einer der größten Killer von Beziehungen – auch zu Spielern“, sagt er. Deshalb achtet er sehr darauf, dass er nicht zu oft und zu lang zu seinen Spielern spricht. Deshalb hört man ihn auch am letzten Tag der Trainingswoche nur dosiert. „Meine Erfahrung als Spieler war es: Wenn der Trainer zu lange labert, ist das schnell nervtötend.“ Am Samstagmittag in Leipzig dauert seine letzte Mannschaftsbesprechung nur fünf Minuten. Sie findet in der Kabine im Stadion statt, und kurz vor Anpfiff schwört er seine Spieler noch mal kurz emotional ein.
Während eines der Gespräche im Laufe der Woche hatte Nagelsmann gesagt: „Es gibt schon Tore, die so passieren, wie man das vorbereitet hat. Denn selten zeigt der Gegner die Probleme am Spieltag nicht, die man vorbereitet hat.“ Das Tor von Nadiem Amiri in Leipzig ist so ein vorbereitetes Tor. Der Spielzug ist nicht so einstudiert, wie man das etwa aus dem Basketball kennt, aber in ihm stecken Videoanalysen und die vielen Trainingsstunden der Woche. Und natürlich die Prinzipien, die der Trainer seiner Mannschaft im Laufe des letzten Jahres beigebracht hat. Eigentlich ist alles, was Julian Nagelsmann sich in den letzten zehn Jahren erarbeitet hat, in dieses Tor eingeflossen.
Fußball ist nicht planbar
Doch so lang die Vorgeschichte des Tors auch sein mag, es reicht in Leipzig weder zum Sieg noch zum Unentschieden. Der Ausgleich fällt, nachdem Hoffenheim sich nicht richtig aus der Abwehr herausspielt. Beim Stand von 1:1 fliegt Sandro Wagner vom Platz, und in der Schlussphase schießt Marcel Sabitzer durch einen abgefälschten Ball den Siegtreffer für Leipzig. Nagelsmann hatte seinen Spielern gesagt, dass Sabitzer die meisten Tore aus dem Halbfeld geschossen hat und sie ihn dort besonders unter Druck setzen müssten. Nun trifft Sabitzer aus dem Halbfeld, Fußball ist kein planbares Spiel.
Der Mannschaftsbus von Hoffenheim steht in den Katakomben des Leipziger Stadions. Nagelsmann verschwindet darin als einer der ersten, in sich gekehrt. Am nächsten Tag ist frei. Montag ist der Tag zwischen den Spieltagen, Dienstag ist Ausbildungstag. Er wird sich neue Übungen ausdenken.