Shootingstar, Wunderkind, nächster Bayern-Coach! Niemand wird so gelobt wie der Trainer der TSG Hoffenheim. Aber was ist dran am jüngsten Coach der Liga? Eine Trainingswoche mit Julian Nagelsmann.
In Nagelsmanns Arbeitszimmer verbietet es sich, ihn als nerdigen Laptoptrainer einzusortieren. Es gibt zwar einen Laptop, aber überall liegen Zettel herum. Er macht sich darauf gerne Notizen und heftet Trainingspläne in altertümlich wuchtigen Aktenordnern ab. Nagelsmann mag Theoretiker und passionierter Taktiker sein, aber er sagt: „Fußball ist ein players game und kein coaches game.“ Für ihn sind seine Spieler keine Figuren, die er samstags beim Taktikschach auf dem Rasen hin- und herschiebt. Er ist wie ein Spielertrainer, der nicht mehr mitspielt, aber das gerne würde und seinem Team nicht nur altersmäßig nah ist. „Fußball soll kein Taktik-Battle für Trainer sein“, sagt er entschieden.
Löst die TSG Hoffenheim also endlich das Versprechen ein, innovativ zu sein und von der Ausbildung eigener Talente zu leben, mit der der Klub mal angetreten war? „Die Frage würde ich eindeutig mit Ja beantworten“, sagt Hoffenheims Manager Alexander Rosen. Analog zu seinem Cheftrainer ist er mit 37 Jahren jüngster Manager der Bundesliga. „Die Ziele waren immer da, aber sie wurden nicht gelebt“, sagt er. Zwischendurch sah es mal so aus, als würde die Transferpolitik des Vereins im Büro eines Spielerberaters entschieden, dem das Ohr von Hopp gehörte. An die Stelle ist hausinterne Weitsicht getreten.
Die Trainingswoche
Inzwischen scheint der Klub sich sowieso leise vom Übervater zu emanzipieren und gar so etwas wie ein Eigenleben zu entwickeln. Es gibt sogar ganz normale regionale Sponsoren, Klempnerbetriebe oder Bestatter.
Donnerstags kommt endlich die Sonne raus und die Temperaturen steigen erstmals in der Woche auf über null Grad. Nagelsmanns Trainingswoche ist klar strukturiert. Am Montag soll weder das vergangene Spiel eine Rolle spielen noch das kommende, sondern alle einfach mal durchatmen. Den Dienstag nennt er „Ausbildungstag“, an dem unterschiedliche seiner Prinzipien vertieft werden. Mittwochs wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit gezielt auf den Gegner hin trainiert. Donnerstags gibt es morgens eine Videoschulung, nachmittags spielen Elf gegen Elf ebenfalls ohne Publikum über den ganzen Platz. Am Freitag wird die Belastung runtergefahren und es gibt nur noch Feinschliff.
Anders gegen Leipzig
Nagelsmann ist vor allem ein Lehrer des Fußballs. Er will seinen Spielern etwas beibringen, auch den älteren, und sie so auf die Bundesliga vorbereiten – ganz allgemein und für jedes einzelne Spiel. Er hat dazu ein Curriculum, in dem jeder Trainingstag und jede Übung einer Idee folgen. Am Vortag etwa hatte Nagelsmann eine Taktiktafel auf den Platz geschleppt und seinen Spielern gezeigt, wie man Leipzig erwischen könnte. Er will diesmal nämlich anders spielen als sonst, mehr über außen, mit mehr langen Bällen. Er muss ihnen also etwas beibringen, das teilweise konträr zu dem ist, was er sonst lehrt.
Im Prinzip arbeitet er wie Pep Guardiola, der jedes Spiel als ein auf die Schwächen des Gegners angepasstes Unikat angeht. Dazu passend werden die Übungen der Arbeitswoche ausgewählt. Die Spieler sollen lernen, intuitiv richtig zu handeln und nicht nachdenken müssen, was noch mal auf der Taktiktafel stand. „Das Entwickeln von Trainingsübungen auf einen Schwerpunkt hin ist eine sehr kreative Arbeit, die mir viel Spaß macht“, sagt Nagelsmann. Nie will er eine Übung zweimal machen, weshalb er inzwischen auf Hunderte Trainingsformen zurückgreifen kann. Wenn ihm was schönes Neues einfällt, kommt er morgens freudestrahlend ins Büro.
Systemabsturz
Doch als das donnerstägliche Trainingsspiel beginnt, gibt es einen Systemabsturz. Die A‑Elf, die gegen Leipzig ran soll, kommt mit 0:3 unter die Räder. Kaum etwas von dem, was Nagelsmann erarbeiten wollte, ist zu sehen. Als die Spieler in der Kabine verschwinden, bespricht er sich auf dem Rasen noch lange mit seinen Assistenten und geht dann wortlos rein. „Das war eines der schlechtesten Trainingsspiele, das ich gesehen habe, seit Julian hier Trainer ist“, sagt Alexander Rosen, der von seinem Büro in der ersten Etage aus zugeschaut hat. „Die meisten Trainer würden nach so einer Leistung draufhauen.“ Was der Manager ungesagt nachhallen lassen will: Nagelsmann wird nicht draufhauen.