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Aus dem Frei­burger Mann­schafts­hotel hängt ein Fan-Trans­pa­rent, auf dem steht: Es gibt nur einen Chris­tian Streich!“ Dem Geehrten gefällt das nicht.

Was stört Sie daran? Dass das Trans­pa­rent Sie zu sehr in den Vor­der­grund rückt?
Ich bin jetzt eine öffent­liche Person. Das wollte ich nie sein, und des­halb wollte ich diesen Job ursprüng­lich nicht machen. Doch ich bin nicht naiv, und es ist, wie es ist. Ich werde dafür bezahlt und fertig.

Steht man als Trainer nicht immer unter Be obach­tung? Egal, wo man trai­niert?
Natür­lich. Trotzdem gibt es Unter­schiede. Wo ich jetzt auch hin­gehe, ich werde immer wieder erkannt. Egal, ob in Berlin im Museum oder in einer Kneipe.

Wurden Sie von den Dimen­sionen der Popu larität über­rascht?
Es ist eher so: Wenn du nicht darin lebst, weißt du nicht, wie es sich anfühlt. Es gibt eine Ahnung davon, doch die und die Rea­lität sind zwei paar Schuhe.

Für das, was Ihnen gerade wider­fährt, gibt es zwei Gründe: zum einen die sehr erfolg­reiche Rück­runde des SC Frei­burg, zum anderen die Tat­sache, dass alle Welt auf Sie als Typ abfährt. Ist es das, was eigent­lich nervt?
Nö, das ist das Ange­nehme. Aber man hat oft das Gefühl, nur eine Repro­duk­ti­ons­fläche zu sein, eine Hülle. Nehmen wir zum Bei­spiel Gespräche mit Jour­na­listen. Ich habe keine Lust, irgend­wel­chen Kram zu reden, also erzähle ich echte Geschichten. Als das erste Mal eine Seite Drei über mich erschien, war ich wahn­sinnig geschmei­chelt, doch mitt­ler­weile weiß ich manchmal nicht, was ich noch erzählen soll. Ich erlebe ja außer­halb des Fuß­balls nichts mehr.

Irgend­wann sind die Medien mit Ihnen durch, dann wird sich das wieder legen.
Stimmt, dann warten sie auf eine Nega­tiv­serie und meinen Absturz.

Richten Sie Ihr Frei­zeit­ver­halten danach aus? Früher sollen Sie Stamm­gast eines Frei­burger Musik­clubs gewesen sein.
Es stand ja bereits in der Zei­tung, dass ich dort hin­gehe. Darauf habe ich zum Besitzer gesagt: Du fin­dest das wahr­schein­lich gar nicht so schlecht. Aber viel­leicht ziehst du da mit eine Kli­entel an, die dir nicht so gut gefällt. Und ich komme jetzt leider nicht mehr.“

Warum nicht?
Weil ich den ganzen Tag über Fuß­ball rede. Das muss nicht auch noch sein, wenn ich in der Kneipe bei einem Bier sitze. Es ließe sich in der jet­zigen Situa­tion aber kaum ver­meiden. Dabei bin ich noch der gleiche Mensch und Fuß­ball­trainer wie vorher. Ich arbeite ja jetzt nicht anders.

Kann man eine Pro­fi­mann­schaft genauso trai­nieren wie ein Jugend­team?
Nicht, was die Übungen angeht. Aber was die Inten­sität und die Fuß­ball­idee betrifft, ganz bestimmt. Es wäre Wahn­sinn, wenn ich jetzt viel mehr arbeiten würde. Dann hätte ich als Jugend­trainer etwas falsch gemacht.

Gibt es denn keine Unter­schiede, etwa bei der all­um­fas­senden Durch­leuch­tung des Spiels?
Das schon, wobei man da vor­sichtig sein muss. Irgend­wann ist es auch mal gut mit der Durch­leuch­tung. Es bringt nichts, wenn man sich die ganze Zeit nur Videos anschaut.
Der Natio­nalelf wurde vor jedem EM-Spiel ein 500-Seiten-Ordner mit Mate­rial über den kom­menden Gegner über­geben. So was Ähn­li­ches bekomme ich auch. Darin steht, dass der Oliver Sorg im letzten Spiel neun Zwei­kämpfe ver­loren und vier gewonnen hat. Also, ich lese das nicht! Mein Co-Trainer hat sich mal die Mühe gemacht, den genannten Fall zu ana­ly­sieren. Es war in unserer Aus­wer­tung genau umge­kehrt mit den Zwei­kämpfen.

Gibt es denn Daten, die Sie zwin­gend benö­tigen?
Nein. Zumin­dest können sie für mich nicht die Arbeit mit Men­schen ersetzen. Eine Fuß­ball­mann­schaft ist ein hete­ro­genes System, die Spieler kommen aus unter­schied­li­chen sozialen Schichten und Kul­turen. Ich finde es wichtig, wenn sie merken, dass ich mich für sie inter­es­siere und nicht nur für ihre Ball­an­nahme.

Ein unge­wöhn­li­cher Ansatz.
Es gibt sicher tau­send Wege, die Sache anzu­gehen. Aber ich habe mich schon immer für zwi­schen­mensch­liche Zusam­men­hänge inter­es­siert, und das ist einer der Gründe dafür, dass ich Trainer geworden bin. Würde ich mich mehr für tech­ni­sche Abläufe begeis­tern, wäre ich viel­leicht Auto­me­cha­niker oder Com­pu­ter­spe­zia­list geworden.

Haben Sie sich schon als Spieler für das Zwi­schen­mensch­liche inter­es­siert?
Als ich 1988 zum FC Hom­burg kam, hatte der Trainer Slo­bodan Cendic gerade 21 neue Spieler geholt, dar­unter welche aus Polen und Argen­ti­nien. Ich bin auf die zuge­gangen und habe sie gefragt, wie es bei ihnen zu Hause ist. Auch mit Cendic habe ich viel gespro­chen, er hat mir zum Bei­spiel von seiner Zeit als Medi­zin­stu­dent erzählt.

Jimmy Hartwig, der gegen Ende seiner Kar­riere auch beim FC Hom­burg aktiv war, hat Cendic als ahnungs­losen Cho­le­riker“ beschrieben.
Cho­le­riker kommt hin, ahnungslos über­haupt nicht. Das war ein sehr inter­es­santer Mensch, ein großer, schlanker Asket. Eines Tages hat er zu mir gesagt: Geh nach Hause, stu­dieren!“ Ich hab geant­wortet: Ich kann nicht stu­dieren, ich hab kein Abitur.“ Kannst du aber auch nicht Bun­des­liga spielen“, hat er gemeint. Bist du zu langsam und hast dünne Beine. Geh nach Hause und mach anstän­digen Beruf!“

Das war brutal.
Das war offen.

Andere Spieler würden sagen: Der Mann hat meine Kar­riere zer­stört.“
Wenn ich zu langsam bin, kann er ja nichts dafür. Er hat ein­fach nur die Wahr­heit gesagt.

Keine reflex­ar­tige Wut von Ihrer Seite?
Keine Wut, nur Ent­täu­schung. Er hat es halt auf den Punkt gebracht. Und er hat mich ja trotzdem kicken lassen. Einmal habe ich in Essen ein Tor geschossen, was nicht oft vorkam, da hat er gesagt: Ist nicht normal, jetzt schießt Streich schon ein Tor! Müssen wir auf­passen, dass wir nicht auf­steigen.“ Das war durchaus aner­ken­nend gemeint. Trotzdem muss man als Spieler solch eine Ehr­lich­keit ver­kraften können. Viel­leicht hat er gewusst, dass ich das ver­kraften kann.

Haben Sie damals schon daran gedacht, Trainer zu werden?
Nein. Ich wollte das Abi nach­ma­chen, stu­dieren und viel­leicht Lehrer werden. Als Kind war ich nur auf der Haupt­schule, weil ich immer kicken war und meine Noten nicht gut genug waren. Aber ich habe mir damals schon man­ches Mal gedacht, dass die vom Gym­na­sium auch nicht unbe­dingt intel­li­genter sind.

Ihre Eltern haben eine Metz­gerei betrieben. Waren Sie als Nach­folger vor­ge­sehen?
Das wäre nichts für mich gewesen. Richtig harte, kör­per­liche Arbeit und jeden Morgen um vier Uhr auf­stehen. Wissen Sie, wenn man in einem Fami­li­en­be­trieb auf­wächst, ist das hart. Da hat das Leben ein unge­heures Tempo und das hört nie auf.

Haben Sie aus dieser Zeit etwas für Ihre Trai­ner­ar­beit gelernt?
Für alles Mög­liche kann man da etwas mit­nehmen. Wir haben an der B3 gewohnt, der Bun­des­straße von Lör­rach nach Karls­ruhe mit 8000 Autos am Tag. Ich war stets mit Men­schen kon­fron­tiert. Kunden, die etwas kaufen wollten. So ein­deutig war das Ver­hältnis nicht immer. Wir waren ein offenes Haus und man­ches Mal saß ein fremder Mann bei uns am Küchen­tisch, weil meine Oma einen hung­rigen Han­dels­ver­treter aus Ham­burg zum Abend­essen ein­ge­laden hat. Das war ein Prinzip aus der Nach­kriegs­zeit: Du musst den Leuten etwas zu essen geben.

Lernt man dabei milieu­über­grei­fendes Kom­mu­ni­zieren?
Absolut. Und man lernt alle Schichten kennen. Manchmal kamen Alko­ho­liker ohne Geld, die etwas zu trinken wollten. Zu denen hat meine Oma gesagt: Hocken Sie sich hin, Sie kriegen gleich was zu trinken. Aber erst essen Sie was!“

Das hört sich fast roman­tisch an.
In der Erzäh­lung viel­leicht. Aber es war nicht roman­tisch. Nur unmit­telbar, schnell und direkt, was mir heute als Trainer hilft. Doch für meine Eltern war es ein Glück, dass sie das Geschäft vor 21 Jahren ver­kauft haben. Danach war erst einmal Ruhe. Solange ein Geschäft im Haus ist, wo aus­schließ­lich die Familie arbeitet, ist nie­mals Ruhe. Meine Mutter ist immer gerannt oder zumin­dest in sehr schnellem Schritt gegangen.

Mussten Sie mit­helfen, wenn Sie aus der Schule kamen?
Erst gab es Mit­tag­essen, dann mussten wir helfen, meine Schwester und ich. Gegen Nach­mittag habe ich gesehen, dass ich über den Bach zum Kicken kam. Wenn ich dann immer noch helfen sollte, hat mein Vater über den Bach gerufen. Der hatte eine sehr laute Stimme.

Essen Sie Fleisch?
Ja, aber nicht sehr viel.

Weil Sie früher so viel essen mussten?
Über­haupt nicht. Meine Mutter hat bestimmt dreimal in der Woche kein Fleisch gemacht. Mein Vater wollte kein Fleisch mehr, wenn er den ganzen Tag gewurstet hat. Als Metzger musst du ständig Brät pro­bieren. Wenn meine Mutter abends noch Brat­wurst ser­viert hätte, wäre mein Vater weg­ge­laufen.

Nachdem Sie Ihre aktive Kar­riere beim Frei­burger FC und den Stutt­garter Kickers begonnen hatten, kamen Sie 1987 als Spieler zum SC Frei­burg. Das war aber noch ein anderer Verein als der SC, den wir heute kennen, oder?
Es war unvor­stellbar. Prä­si­dent Sto­cker hat damals seine Kaf­fee­ma­schine von zu Hause zum Spiel mit­ge­bracht und für die zwei Leute, die dar­über geschrieben haben, Kaffee gekocht. Danach hat er drei Stunden die Straße gekehrt und die Maschine wieder mit­ge­nommen.

Sie haben nur ein Jahr beim SC Frei­burg gespielt. Warum hat es Sie später wieder zu dem Klub zurück­ge­zogen?
Ich habe meine Kar­riere beim Frei­burger FC aus­klingen lassen und par­allel mein Abitur nach­ge­macht. Irgend­wann hab ich den Herrn Sto­cker getroffen und gefragt: Sagen Sie mal, Herr Sto­cker, haben Sie viel­leicht was als Jugend­trainer für mich?“ Ein paar Tage später hat er ange­rufen und gesagt: Wenn du willst, kannst du die C‑Jugend trai­nieren.“

Hatten Sie bereits die Idee, das zum Beruf zu machen?
Nein. Ich habe Geschichte, Deutsch und Sport auf Lehramt stu­diert, wobei mein Haupt­in­ter­esse auf Geschichte lag. Doch wenn ich an die Lehr­pläne dachte und daran, dass ich den Schü­lern zwölf Mal etwas über die Fran­zö­si­sche Revo­lu­tion erzählen sollte, wurde mir mulmig. Jour­na­list zu werden, konnte ich mir auch nicht recht vor­stellen. Also wusste ich nicht, was ich machen sollte.

Haben Sie die Leh­rer­aus­bil­dung abge­schlossen?
Ich habe zwei Monate Refe­ren­da­riat gemacht, aber Geschichte und Deutsch sind bru­tale, lese­inten­sive Fächer. Mitt­ler­weile war ich A‑Jugendtrainer beim SC und musste mich ent­scheiden: Setze ich das Refe­ren­da­riat fort oder mache ich den Fuß­ball­lehrer?

Sie wurden Fuß­ball­lehrer und haben die Frei­burger Fuß­ball­schule mit auf­ge­baut. Der große Zam­pano im Klub war zu jener Zeit Volker Finke: ein Visionär, aber auch kein ein­fa­cher Cha­rakter. Wie haben Sie sich mit ihm ver­standen?
Ich fand ihn span­nend, er war ja damals noch relativ jung. Wenn er zu seinem Büro lief, kam er jedes Mal an unserer Umkleide vorbei, das waren zehn Meter. Wir haben jeden Tag mit­ein­ander zu tun gehabt.

Sie sind beide Lehrer …
Ja, aber er ist ein rich­tiger Lehrer, der den Beruf viele Jahre aus­geübt hat.

Hat er Sie geprägt?
Was mir sehr ent­gegen kam, waren seine freie Auf­fas­sung von Fuß­ball und die Idee, Über­zahl in Ball­nähe zu schaffen. Eigent­lich hat er kicken lassen wie bei der D‑Jugend, wo immer alle zum Ball rennen. Nur wurde es bei ihm ein biss­chen mehr gesteuert.

War er ein Kon­troll­freak?
Was die Arbeit im Jugend­be­reich angeht, hat er uns ver­traut.

Hat es nie zwi­schen Ihnen gekracht?
Die ersten Jahre nicht. Später kam Andreas Rettig als Manager, der SC Frei­burg wurde all­mäh­lich anders und Finke hatte starke Aus­ein­an­der­set­zungen mit Sto­cker. Das hatte dann auch Aus­wir­kungen auf meinen Bereich. Wenn man lange so intensiv zusam­men­ar­beitet, gibt es immer Rei­bungen.

Haben Sie nie über­legt, zu gehen?
Ich konn te nicht. Ich habe zwei‑, dreimal mit Sto­cker dar­über geredet, aber er hat das immer abge­bogen, und was willst du machen, wenn der eigene Prä­si­dent vorm Sta­dion steht und die Straße kehrt? Willst du dann sagen, Ich habe ein lukra­tives Angebot und gehe weg“?

Wer war der talen­tier­teste Spieler, den Sie je trai­niert haben?
Das kann ich nicht sagen, es ist aber auch nicht so wichtig. Talent macht höchs­tens 15 Pro­zent des Gesamten aus. Hinzu kommen gene­ti­sche und phy­si­sche Vor­aus­set­zungen, aber auch andere Sachen wie Fleiß und Empa­thie. Spieler wie Ömer Toprak und Tobias Willi haben sich dadurch aus­ge­zeichnet, dass sie auch für die Reser­visten der A2-Jugend noch Inter­esse auf­ge­bracht haben. Das sind in der Regel die Jungs, die es bei uns weit bringen.

Wie sehr konnten Sie sich um Ersatz­spieler der A2 küm­mern?
Für mich war völlig egal, ob einer später Bun­des­liga spielen würde oder vierte Liga.

Aber der Verein betreibt die Fuß­ball­schu le doch, um Bun­des­li­ga­profis her­vor­zu­bringen.
Schon klar, aber so dürfen wir nicht denken. Wir müssen die glei­chen Rah­men­be­din­gungen für alle schaffen, und das hilft gerade den expo­nierten Spie­lern, Ver­ant­wor­tung zu über­nehmen. Viel mehr, als wenn man mit 17 zu irgend­wel­chen Tur­nieren nach Abu Dhabi ins 28-Sterne-Hotel geflogen wird und aus gol­denen Schüs­seln frisst, wie es manchmal pas­siert. Dann ist es gut, wenn sie danach wieder zu uns kommen und neben einem Bur­schen sitzen, der am Wochen­ende geheult hat, weil er in der A2 nicht zum Ein­satz kam.

Hassen Sie Spie­ler­be­rater?
Nein, die machen auch nur ihren Beruf.

Aber sie sind es doch in der Regel, die den Spie­lern gol­dene Schüs­seln ser­vieren.
Ja, aber das ist Unwis­sen­heit. Andere Prio­ri­täten. Da geht es ums Geld. Und das hat ja erst mal nichts mit den jungen Spie­lern zu tun. Die werden ja nicht so gut, weil sie geld­gierig sind, son­dern weil sie fuß­ball­gierig sind. Ein Ronaldo war erst heiß aufs Kicken, dann hat er viel Geld ver­dient.

Und damit kommen die Berater ins Spiel.
Das ist ein kom­plexes Thema. Vor Jahren habe ich mich richtig dar­über geär­gert, aber das ist heute nicht mehr so, weil ich keine Lust habe, mich an etwas auf­zu­reiben, was ich nicht ändern kann. Mein Ansatz ist ein anderer: Spie­ler­be­rater sind überall, sie sind wie Ameisen und du musst sie ein­fach an dir hoch­laufen lassen. Wichtig ist, dass ich den Jungs erkläre, was diese Men­schen machen, warum sie es machen und dass es auch hier unter­schied­liche Per­sön­lich­keiten gibt. Und dass sie mit der Ent­schei­dung, die ihnen am meisten Geld bringt, nicht auto­ma­tisch am glück­lichsten werden.

Ein Bei­spiel?
Nicht, dass bei uns alles super wäre, aber manchmal sehe ich Spieler aus unserer Jugend, sozial intel­li­gente Spieler, die sich in anderen Bun­des­li­ga­klubs ganz anders bewegen müssen, um über­haupt irgend­eine Form von Aner­ken­nung zu finden. Da sieht man eine deut­liche Ver­än­de­rung des Spie­lers in einem anderen System, das weniger durch­lässig ist. Ent­weder du passt dich dort an oder du bist der totale Außen­seiter. Das ist für mich eine fremde Welt.

Hatten Sie Sorge, dass die von Ihnen ver­tre­tenen Werte in Gefahr geraten, jetzt wo Sie als Chef­trainer arbeiten?
Natür­lich hatte ich Angst, dass es heißen könnte, ich würde Spieler ver­schleißen oder komi­schen Fuß­ball spielen lassen. Das hat alles mit­ge­spielt, als es sei­ner­zeit darum ging, den Job zu über­nehmen.

Statt­dessen werden Sie nun als kau­ziger, erfolg­rei­cher Gegen­ent­wurf zum medial über­in­sze­nierten modernen Fuß­ball gefeiert, was iro­ni­scher­weise wieder eine starke mediale Auf­merk­sam­keit zur Folge hat.
Iro­nisch schon, aber viel­leicht auch erwartbar. Das klingt jetzt komisch, aber ich habe gewusst, dass es so kommen könnte. Man hat ja auch schon vorher ohne Kameras 46 Jahre gelebt, und ich weiß ja, wie ich auf Men­schen wirke.

Sie befrie­digen offenbar ein Bedürfnis nach Authen­ti­zität im Fuß­ball. Warum fällt es Ihnen so schwer, das positiv zu bewerten?
Selbst­ver­ständ­lich kann ich das, aber manch mal ist es ein biss­chen viel. Neu­lich bin im Trai­nings­lager mit dem Fahrrad auf den Berg gefahren, da steht jemand vor mir und sagt: Ich glaub’s nich, ich glaub’s nich, ich glaub’s nich!“ Ich sag: Jo, reg dich jetzt nich uff, ich weiß schon …“ Er sagt: Bist du der Chris­tian Streich? Ich glaub’s nich, ich guck die ganze Zeit Bun­des­liga!“ Ich sag’: Jo, und wer bist du? Sag mir, was du machst.“ Er sagt: Ich handel mit irgendwas.“ Ich sag: Ich handel auch.“

Haben Sie Angst vor unrea­lis­ti­schen Erwar­tungen? Sie haben in der letzten Rück­runde mit dem SC Frei­burg 27 Punkte geholt. Da könnte man ja theo­re­tisch in der ganzen kom­menden Saison 54 holen.
Wenn das die Erwar­tungen sind, sage ich: Ihr habt keine Ahnung“, doch mit der Druck­si­tua­tion muss ich trotzdem umgehen. Natür­lich kann ich sagen, ihr habt sie nicht mehr alle, doch die Leute haben die Latte nun mal dort hin­ge­legt und ich sehe sie ja.

Haben Sie einen Plan B für den Fall, dass es als Trainer in Frei­burg für Sie nicht mehr gut läuft?
Nein. Bringt ja eh nichts. Um eine Sicher­heit für den Kopf zu haben, habe ich mir zu Beginn gesagt, dass ich ja wieder die A‑Jugend trai­nieren könnte. Aber ist das eine rea­lis­ti­sche Alter­na­tive? Soll ich etwa dem Kol­legen den Job weg­nehmen und laufe dann als Zombie dort rum?

Würden Sie über­haupt zurück ins zweite Glied gehen, nachdem Sie anfangs gar nicht ins erste wollten?
Ich weiß inzwi­schen nicht mehr, ob ich unbe­wusst nicht doch ins erste Glied wollte. Ich bin mir meiner nie zu hun­dert Pro­zent sicher. Über ein Fuß­ball­spiel und meine Ent­schei­dungen kann ich wesent­lich ver­läss­li­cher spre­chen als über mich selbst.

Tod­un­glück­lich wirken Sie nicht, wenn man Sie am Spiel­feld­rand und beim Trai­ning sieht.
Ich bin über­haupt nicht unglück­lich. Es macht mir großen Spaß.

Dann müssen Sie viel­leicht den Volker Finke machen und 15 Jahre als Chef­trainer in Frei­burg arbeiten.
Falls ich vorher nicht sterbe. Kann schon sein, dass es mich irgend­wann von der Bank haut.

Erwischt es nicht eher die Stillen, die alles in sich hin­ein­fressen?
Das könnte sein. Wenn man mich fest­binden würde, würde ich erst recht drauf­gehen.

Schreckt Sie der Gedanke an eine Ent­las­sung?
Das weniger, wenn­gleich ich als Vater von zwei Kin­dern auch öko­no­misch denken muss. Was mir mehr Sorgen macht, ist, wenn ich sehe, wie immer wieder Trainer als Sau durchs Dorf getrieben werden.

Sind Sie eigent­lich ein Fuß­ball-Nerd, der sich näch­te­lang Spiele ansieht?
Ich schaue Cham­pions League, aber die eng­li­sche Liga habe ich zum Bei­spiel das ganze Jahr über nicht gesehen. Da finde ich die Bun­des­liga inter­es­santer. Und wenn ich den ganzen Tag gear­beitet habe, bin ich abends wahn­sinnig müde und lese lieber ein biss­chen, auch wenn das zuletzt leider weniger geworden ist.

Sach­bü­cher oder Romane?
Romane.

Mit wel­chen Vor­lieben?
Jona­than Franzen oder mal wieder den Dos­to­jewski, den ich zuletzt vor 20 Jahren in der Hand hatte: Die Brüder Kara­masow“. Aber so ein dickes Buch kriege ich im Moment nicht gut durch.

Sie gehen in Ihre erste kom­plette Saison als Bun­des­li­ga­trainer. Kennen Sie so etwas wie Ver­sa­gens­angst?
Man will ja nicht, dass die Leute ent­täuscht sind, weil das Team dau­ernd ver­liert oder, schlimmer noch, schlechten Fuß­ball spielt. Dann geht man nach Hause und grü­belt, hat aber viel­leicht keine Idee mehr. Mit anderen Worten: Als Trainer kennt man immer auch Ver­sa­gens­angst. Ich zumin­dest.

Sie sind Pes­si­mist.
Der Herr Sto­cker hat immer zu mir gesagt: Ich möchte einmal so ein Opti­mist sein wie du!“ Das ist aber der ein­zige Mensch, der das gemeint hat. Solange ich über den Pes­si­mismus nicht meinen Mut ver­liere, ist es ohnehin egal.

Was pas­siert, wenn Sie den Mut ver­lieren?
Dann lasse ich viel­leicht soge­nannten Ergeb­nis­fuß­ball spielen: hinten rein stellen und hoffen, dass man 1:0 gewinnt. Aber ich glaube, das funk­tio­niert nicht. Ergeb­nis­fuß­ball in meinem Sinne bedeutet, dass man so gut wie mög­lich spielt und ver­sucht, das best­mög­liche Ergebnis zu erzielen.

Bei der Euro­pa­meis­ter­schaft haben sich 13 von 16 Teams hinten rein­ge­stellt. Ist das 1:0‑Denken nicht tief ver­wur­zelt im Fuß­ball?
Mir soll’s recht sein. Wenn viele Mann­schaften so denken und wir gleich­zeitig unseren Mut behalten, wäre es nicht unser Schaden.

Glauben Sie, dass Ihre Elf die for­sche Spiel­weise auch bei einer Nie­der­la­gen­serie bei­be­hält?
Keine Ahnung. Ich hoffe es.

Sind Sie gespannt, wie die Mann­schaft in solch einem Fall reagiert?
Nein. Ver­lieren gefällt mir nicht.

Von Huub Ste­vens heißt es, er kann so schlecht ver­lieren, dass er seine Kinder nicht beim Mensch ärger dich nicht“ gewinnen ließ.
Ich lasse die auch nicht gewinnen. Weil ich sie sonst ja nicht ernst­nehmen würde. Und weil ich gewinnen will, im Rahmen meines päd­ago­gi­schen Ansatzes.

Chris­tian Streich, was machen Sie eigent­lich, wenn der SC Frei­burg in der nächsten Saison tat­säch­lich 54 Punkte holt? Leisten Sie dann Abbitte und gestehen, keine Ahnung von Fuß­ball zu haben?
Dann gebe ich zu, dass ich mich geirrt habe. Aber mehr Ahnung habe ich trotzdem.