Alex Hahn ist Spielanalyst beim Hamburger SV. Ein Gespräch über den Einfluss der „Taktik-Nerds“ auf das Spielgeschehen und wie der Matchplan von Nürnbergs Robert Klauß zu verstehen war.
Alex Hahn, was ist ein breitziehender linker Zehner?
Den klassischen Spielmacher oder Zehner kennt ja eigentlich jeder, zentral hinter den Stürmern. Ein breitziehender Zehner bewegt sich hingegen im Ballbesitz situativ aus dem Zentrum in die Halbräume, beziehungsweise auf die Flügel. Ziel ist es, bei Mannschaften, die im Zentrum kompakt verteidigen, Überzahlsituationen auf den Außenbahnen zu schaffen.
Und was ist ein asymmetrischer Linksverteidiger?
Es wird das Positionsspiel der beiden Außenverteidiger eines Teams bei eigenem Ballbesitz verglichen. Der Linksverteidiger könnte sich beim Aufbauspiel zum Beispiel flach anbieten, während der Rechtsverteidiger höher am Flügel, also asymmetrisch, Richtung Mittellinie positioniert ist.
Vor einer Woche verwendete Nürnbergs Trainer Robert Klauß Begriffe wie diese. Asymmetrischer Linksverteidiger, abkippende Dreierkette, breitziehender linken Zehner, ballferner Zehner, 4−2−2−2, Pressinglinie eins. Wenn Sie nur die Begrifflichkeiten hören, entsteht dann ein Bild bei Ihnen im Kopf, wie gespielt wird?
Ja, in der Tat – und nicht nur ein Bild, sondern mehrere Situationen und Spielzüge.
Könnten Sie uns erklären, wie das aussah?
Nürnberg wollte mit drei Spielern, unter anderem mit dem sich flach anbietenden „asymmetrischen“ Linksverteidiger, das Spiel aufbauen. Mit dem breitziehenden Zehner, der situativ auf den Flügel ausweicht, wollten sie die Laufwege für den gegnerischen Sechser verlängern und in die freien Räume hinter den Gegenspielern kommen. Und ein ballferner Zehner bewegt sich in dem Raum zwischen Mittelfeld und Abwehr des Gegners, in den der Ball gerade nicht gespielt wird. Das 4−2−2−2 beschreibt die taktische Anordnung der Nürnberger im Spiel gegen den Ball. Eine Viererkette, zwei Sechser vor der Abwehr, zwei aus den Halbräumen agierende Flügelspieler und zwei Stürmer. Die „Pressinglinie Eins“ ist die Definition der Pressinghöhe von Robert Klauß, also ein alternativer Begriff für ein hohes Pressing.
War der Matchplan, wie ihn Klauß nannte, in Ihren geschulten Augen zu erkennen oder kann man getrost sagen, dass davon nichts zu sehen war?
Was ja in dem kurzen Clip, der viral ging, nicht gezeigt wurde, ist, dass Klauß auch von der mangelnden Umsetzung und Ausführung des Matchplans und den Basics, wie Zweikämpfe gewinnen, Sprints setzen und sauberem Passspiel spricht. Ich habe zu dem PK-Ausschnitt auch viel mit meinen geschätzten Kollegen Sören Meier, der sich bei uns um die Analyse der gegnerischen Mannschaften kümmert, gesprochen – und ja, wir haben den Nürnberger Matchplan erkannt.
„Viele junge Trainer werden auch nur aufgrund ihres Alters als Laptoptrainer abgestempelt.“
Im Anschluss der Pressekonferenz wurde Klauß von einigen kritisiert, dass er auf diese Weise nicht mehr zu verstehen sei. Können Sie die Kritik nachvollziehen, dass der Fussball von Laptoptrainern zunehmend bestimmt und immer technischer wird?
Nein, sonst wäre ich in meinem Aufgabenbereich auch fehl am Platz. Der Fußball entwickelt sich, alle versuchen, die letzten, vielleicht entscheidenden Prozent herauszukitzeln. Viele junge Trainer werden auch nur aufgrund ihres Alters als Laptoptrainer abgestempelt. Sie bringen aber neue spannende Aspekte ein, entwickeln den Fußball weiter, denn im Vergleich mit anderen Sportarten wie Hockey oder American Football hat unser Sport, was technisch-taktische Aspekte angeht, noch immer Luft nach oben. Und nochmal: Robert Klauß hat ja in der PK auch deutlich gesagt, dass es in der Partie auf Nürnberger Seite um die fehlenden Grundtugenden gegangen ist. Nur den Ausschnitt der PK zu seinem Matchplan zu werten, ist ihm gegenüber unfair. Die Kunst ist es letztlich, die wichtigen taktischen Aspekte und die Grundtugenden des Spiels als Trainer wöchentlich in Einklang zu bringen und dem eigenen Team zu vermitteln.
Alex Hahn, sie sind seit sechs Jahren Spielanalyst beim HSV. Was ist Ihre konkrete Rolle innerhalb des Trainerteams?
Als Spielanalyst bin ich eine Art Berater und Zulieferer für den Chef- und die Co-Trainer. Ich versuche mit detaillierten Analysen dem Trainerteam zu helfen, sich und das Team bestmöglich auf die Spiele vor- und nachzubereiten.
Inwiefern können Sie die Spieler direkt beeinflussen?
Der Einfluss auf die Spieler variiert, je nachdem, was der Cheftrainer wünscht und zulässt. Es kann sein, dass der Analyst direkt Spielszenen mit den einzelnen Spielern bespricht und Empfehlungen und Informationen weitergibt. Oder er bereitet all das akribisch für das Trainerteam vor, das dann wiederum die Gespräche übernimmt. In beiden Fällen wirke ich als Analyst auf die Spieler ein.
Wie sehr hat sich der Aufgabenbereich gewandelt, seitdem Sie auch direkt mit der Bank kommunizieren dürfen?
Klar, die Analysearbeit im Trainerteam entwickelt sich. Durch die Kommunikation mit der Bank versuchen wir während des Spiels schon einzuwirken und nicht erst, wie die Jahre zuvor, in der Halbzeit, wenn sich das Trainerteam in der Kabine trifft. Jetzt können wir sowohl übers Headset mit der Bank kommunizieren als auch kurze Spielszenen in die technische Zone schicken. Der Austausch über mögliche spieltaktische Änderungen ist viel dynamischer und schneller geworden.
Zum Beispiel?
Die meisten Teams haben zwei bis drei Formationen zwischen denen sie variieren. Zusammen mit meinem Kollegen Sören versuche ich dann ab der Bekanntgabe der gegnerischen Aufstellung herauszufinden, welche die wahrscheinliche taktische Formation des Gegners sein wird. Falls die von unseren Analysen abweicht, reagieren wir zeitnah, schicken ein Bild aus unserer Perspektive herunter, damit der Trainer direkt reagieren kann.