Alex Hahn ist Spielanalyst beim Hamburger SV. Ein Gespräch über den Einfluss der „Taktik-Nerds“ auf das Spielgeschehen und wie der Matchplan von Nürnbergs Robert Klauß zu verstehen war.
Wie wird das mit den Spielern kommuniziert? Wenn ein Spieler aufgefordert wird, er solle die Rolle des asymmetrischen Linksverteidiger einnehmen, weiß dann der Spieler, was gemeint ist?
Durch die Nachwuchsleistungszentren, die die meisten Spieler durchlaufen, sind die Jungs in der Regel taktisch schon gut ausgebildet. Jeder Trainer hat aber auch seine eigenen Begriffe und bestimmte Detailvorstellungen, die jeder Spieler erst verstehen und verinnerlichen muss. Das sind hart erarbeiteten Automatismen. Die Spieler sind keine Roboter, die wöchentlich ihr Programm runterspielen können. Ich bin mir bewusst, dass wenn ich das Spiel im Video schaue und Szenen dreimal vor- und zurückspulen kann, alles viel leichter und klarer aussieht als auf dem Platz. Und auch in der Herangehensweise der Trainer gibt es auf jeden Fall Unterschiede, die ich über die Jahre beim HSV miterleben durfte.
Sie sind seit sechs Jahren Spielanalyst beim HSV. Wie kommt man dazu?
Ich war schon immer fußballverrückt, habe selbst in der fünften Liga in Nordrhein-Westfalen gespielt und parallel Sport studiert. Zum Ende meines Studiums war ein Praktikum verpflichtend. Dafür habe ich mich dann beim HSV im Bereich Spielanalyse beworben, wurde genommen und konnte mich über die Jahre im Jugendbereich für die Profis empfehlen.
Wie muss man sich die Arbeit des Spielanalysten vorstellen?
Mein Kollege Sören und ich sitzen gemeinsam mit unserem Torwarttrainer in einem Zimmer direkt neben dem Cheftrainerbüro. Ich arbeite viel am Laptop, analysiere Szenen von unserem Team, habe aber auch das Glück, dass ich bei jedem Training mit auf dem Platz stehen darf. So habe ich einen direkten Einblick auf die täglichen Einheiten. Variierende Trainingszeiten, dazu die Vor- und Nachbereitung und dann die Spiele am Wochenende als Highlights – insgesamt ein sehr abwechslungsreicher, aber eben auch zeitintensiver Job. Hinzu kommt, dass ich auch international immer auf dem neuesten Stand sein will und dadurch auch über den Tellerrand hinausschaue.
Mit diesen Kompetenzen scheinen Sie dem Jobprofil eines Trainers näher als das des reinen Taktik-Nerds.
Auch das variiert, je nach Rollenprofil des Analysten, das durch den Verein oder den Chef-Trainer vorgegeben ist. Ich versuche überwiegend, die Analysen qualitativ aufzubauen, als dass ich quantitativ ausschließlich mit Daten und Statistiken arbeite. Aber auch die ziehe ich heran, um die Themen, die ich vermitteln möchte, zu untermauern. Eine gewisse Expertise als, wie Sie es nennen, „Taktik-Nerd“ zu besitzen, ist sicherlich unabdingbar für den Job.
Wie sieht ein Spieltag für Sie aus?
Am Spieltag bereite ich im Stadion alles vor. Die technische Zone muss funktionieren, das Funksignal bereitgestellt werden, die Headsets müssen verteilt und gecheckt werden. Oben auf der Tribüne muss mein Laptop laufen, um die Live-Bilder zuverlässig abgreifen zu können. Erst dann kommt irgendwann die Aufstellung des Gegners. Auch hier ein intensiver Blick, ein Austausch mit dem Trainer, um eventuell nochmal etwas anzupassen. Während des Spiels herrscht dann über Funk, Austausch mit der Bank. In der Halbzeit bespreche ich Themen mit Chef- und Co-Trainer am Laptop, um den Spielern gegebenenfalls nochmal Informationen in der Kabine zu geben. Nach dem Spiel setze ich mich an die Nachbereitung des Spiels, unterteilt in Mannschafts- und Individualanalyse. Erst dann ist der Spieltag für mich beendet.
Da Sie Teil des Trainerteams sind: Wie viel Mitspracherecht hat ein Spielanalyst im Laufe eines Spieles?
Unterschiedlich. Am Ende entscheidet immer der Cheftrainer, klar. Ich versuche aber zu helfen und Einfluss zu nehmen, eben in dem Rahmen, der einem gegeben wird und gewünscht ist. In der Regel setzen wir uns vorher zusammen und gehen Eventualitäten durch, auf die wir dann im Spiel schneller reagieren können, wenn sie eintreten.
Statistiken wie Packing und Expected Goals werden auch in der Berichterstattung immer beliebter. Inwiefern bestimmen diese Daten Ihren Alltag? Welche Statistik gefällt Ihnen persönlich und welche ist Schwachsinn?
Ich kann nicht so viel mit den einzelnen Rohdaten wie gewonnene Zweikämpfe, Torschüsse oder Laufdistanz anfangen, weil diese Daten für sich betrachtet wenig aussagekräftig sind. In Zusammenhang mit einer Analyse können sie aber helfen, um die Qualität des Spiels zu bewerten. Ich will das einmal am Beispiel der Laufdistanz erklären: Hat das eigene Team häufiger den Ball als der Gegner, ist die Gesamtlaufdistanz im Vergleich zum Gegner automatisch geringer, weil in Defensivphasen in der Regel mehr Wege gemacht werden als bei eigenem Ballbesitz. Wir sind immer auf der Suche nach einer Statistik, die erläutert, wer in dem Spiel besser oder schlechter war. Die beiden von Ihnen erwähnten Statistiken, finde ich grundsätzlich spannend, die nutzen wir gerne für unsere Analysen. Bei den Expected Goals ist es zum Beispiel so, dass die Qualität von Torchancen gemessen wird. Sind wir dort besser als der Gegner, sagt das schon mehr aus als die reine Torschussstatistik.
Wie sehen die Trends der Taktik-Analyse aus?
Ich glaube, der Trend wird immer mehr in Richtung Big-Data gehen, um das Spiel und die Spieler noch detaillierter bewerten zu können. Wir werden uns in den nächsten Jahren dem American Football annähern, wo sich Spieler selbst noch intensiver mit dem Spiel und dem Gegner beschäftigen und sogar selbst analysieren, um ihr eigenes Spiel oder ihren Mannschaftsteil zu verbessern. Der Trend wird auch in der Trainingsarbeit fortgeführt werden. Positionstrainer und Standardtrainer werden in Zukunft, glaube ich, keine Seltenheit mehr sein.
Alex Hahn, können Sie dann überhaupt noch ein Amateurspiel genießen, ohne ständig die Spiele zu analysieren?
Ja, das klappt ganz gut. Wenn sich zum Beispiel zeitgleich beide Außenverteidiger auf den Weg nach vorne begeben, habe ich schon das Bedürfnis reinzurufen, aber mit ein, zwei Bier wird das auch weniger (Lacht.).