Nach zwölf Jahren und 464 Spielen für Manchester United hat Michael Carrick seine Karriere beendet. Mit ihm geht ein Spieler, der immer im Schatten der Großen stand. Weil er es so wollte.
Es war einer dieser Pässe, die eine gesamte Abwehr aushebeln können. Sanft fiel der Ball hinter der Watford-Viererkette auf den Fuß von Juan Mata, der nur noch auf den mitgelaufenen Marcus Rashford querlegen musste. Das 1:0, eingefädelt von Michael Carrick bei seinem letzten Einsatz im United-Trikot, markierte gleichzeitig auch den Endstand.
Ein Tor wie eine Metapher für die Karriere eines Spielers, der immer am besten war, wenn er den Ausnahmekönnern um sich herum zuarbeiten durfte. Denn aufs Arbeiten verstehen sie sich im Norden Englands. Dort hat Carrick, der unweit der Industriestadt Newcastle aufgewachsen ist, seine privaten wie fußballerischen Wurzeln.
„Der Junge glaubt an sich“
Als 16-Jähriger wagte er den Schritt ins Jugendinternat des Hauptstadtklubs West Ham United. Eine Entscheidung, die seinem späteren Mentor Sir Alex Ferguson imponierte: „Ein Teenager aus Newcastle, der sich alleine auf den Weg nach London macht. Das zeigte mir: Der Junge glaubt an sich.“
Und Ferguson glaubte an den Jungen. Im Sommer 2006 wechselte Carrick für etwas mehr als 27 Millionen Euro von den Tottenham Hotspur zu Manchester United. Der 1,89 m große Ballverteiler reifte im Zentrum der „Red Devils“ binnen kürzester Zeit zum unermüdlichen Mittelfeldmotor.
Ein echter Ferguson-Spieler
Carrick war der Archetyp eines Ferguson-Spielers. Die schottische Trainerlegende wählte im Zweifelsfall immer Zuverlässigkeit vor individueller Klasse. Beim Champions-League-Triumph 2008 gegen den FC Chelsea ackerte der damals 26-jährige Carrick über 120 Minuten auf dem Moskauer Rasen. Anschließend versenkte er pflichtbewusst seinen Elfmeter.
Die Namen, die von diesem Finale nachhallen, sind dennoch andere: Ronaldo, Tevez, van der Sar. Carrick war der vielleicht Unscheinbarste und Letzte, der von dieser goldenen Generation geblieben ist. Alle anderen haben inzwischen ihre Karriere beendet oder den Verein gewechselt. Sein Abschied nach 464 Partien für Englands erfolgreichsten Fußballverein bedeutet nicht nur den Abschied von einem Spieler, sondern auch den endgültigen Abschied von einer verlorengegangenen Mentalität.
Manchester United hatte unter Sir Alex Ferguson immer einen guten, aber selten den besten Kader im Wettbewerb. Seine Teams zeichnete bis zuletzt ein vom gemeinsamen Erfolgshunger getriebener Zusammenhalt aus, den Michael Carrick wie kein Zweiter verkörperte.
„Michael hat den Neuankömmlingen gezeigt, was es heißt, ein United-Spieler zu sein“, würdigte Edwin van der Sar seinen langjährigen Teamkollegen. United-Spieler zu sein, das bedeutete, auf dem Papier bessere Mannschaften als Kollektiv in die Knie zu zwingen.
Unbesungener Held
Ein letztes Mal manifestierte sich diese inzwischen verwässerte Vereins-DNA in der Saison 2012/13. Fergusons letzte Spielzeit an der Seitenlinie im Old Trafford endete entgegen aller Wahrscheinlichkeit mit dem Meistertitel. Seine in die Jahre gekommene Truppe um Vidic, Giggs & Co. ließ den ungleich besser besetzten Stadtrivalen Manchester City satte elf Punkte hinter sich. In 32 von 38 Spielen stand Carrick die vollen 90 Minuten auf dem Platz. Er ist der letzte Kapitän, der unter Sir Alex Ferguson die Binde trug.
Nichtsdestotrotz fällt es Fans wie Außenstehenden schwer, den Namen „Carrick“ in einem Atemzug mit Vereinslegenden wie Paul Scholes und Roy Keane zu erwähnen. Carrick, der sich bei seiner Ankunft in Manchester Keanes alte Rückennummer 16 schnappte und ihr eine neue, in sich ruhende Identität verlieh. Der 36-Jährige blickt auf eine Profikarriere ohne einen einzigen Skandal und ohne einen einzigen Platzverweis in 481 Ligaspielen zurück.
„Wie ein Rolls Royce“
Vielleicht lag es an der stillen Bescheidenheit, mit der Carrick auf wie neben dem Platz seiner Arbeit nachging, dass dem Engländer die öffentliche Anerkennung verwehrt geblieben ist. Gegner und Kollegen wussten allerdings, wie gut Carrick wirklich war. Xabi Alonso erkannte sich in ihm wieder und Mittelfeldpartner Scholes bescheinigte Carrick, „wie ein Rolls Royce über den Rasen zu gleiten“.
Damit ist es nun allerdings vorbei. Der heimatverbundene Engländer wird kein MLS- oder China-Abenteuer wagen. Dafür ist er nicht der Typ. Stattdessen wird Carrick sich der Trainerausbildung widmen, um an der Seitenlinie zu tun, was er schon als Aktiver am besten tat: Spieler besser machen.