Der Kader von Swansea City besteht zu knapp einem Drittel aus Spaniern. Durch seine schlaue Transferpolitik und ein stimmiges Spielsystem hat sich der walisische Emporkömmling eine Nische erschlossen.
Dem ersten Mal haftet eine bestimmte Erwartung an. So auch bei Miguel Pérez Cuestas erster Nacht in seiner neuen Heimat. Gewiss, Mrs. Eames hatte ihn freundlich Willkommen geheißen. Gerechnet hatte der Spanier dennoch mit einer anderen Delegation. Denn Mrs. Eames’ Verdienste um seinen neuen Klub beschränkten sich bis dato auf die Geburt und Erziehung von Michael Eames. Der ist Zeugwart von Swansea City. Cuesta, genannt Michu, nahm es klaglos hin. Und nächtigte im Haus der Mutter des Zeugwarts. Der Abgesandte Swanseas hatte ihn am Flughafen vergessen.
22 Tore und fünf Vorlagen später ist Michus klaglose Eingliederung eine hübsche Anekdote. Und die Verfehlung Nährboden für zwei Mysterien. Wie schaffte es ein Provinzklub von der südwalisischen Küste zum liebeswerten Underdog der Premier League? Und warum spielen sieben Spanier an einem Ort mit 200 Regentagen im Jahr?
Mit vier Spaniern zum Titel
Die „Swans“ sind Sinnbild für den bescheidenen Sympathikus im hochkommerzialisierten Konzert der Großen. Der Klub teilt sich das „Liberty Stadium“ mit einem Rugby-Team und das örtliche Trainingsgelände mit kletternden Studenten und tennisspielenden Geschäftsleuten – gelebte Sozialromantik. Wildfremde Menschen hätten ihm in der Umkleide schon auf die Schultern geklopft, berichtet der deutsche Ersatztorhüter Gerhard Tremmel: „Sie gratulierten mir zum letzten Sieg und fragten nach dem Befinden meiner Frau.“
Swansea City schafft es, finanzielle Vernunft mit sportlichem Erfolg zu paaren. Vor zehn Jahren konnte der Abstieg in die Fünftklassigkeit erst am finalen Spieltag abgewendet werden. In der Premier League ging es nach dem sensationellen Aufstieg 2011 mit dem kleinsten Etat der Liga auf die Plätze elf und neun. Seinen Gipfel erreichte der unvermutete Aufschwung im Februar. Die „Swans“ gewannen den League Cup in Wembley. Das spektakuläre 5:0 im Finale über Bradford brachte die Schwäne in die Europa League. Ein Treppenwitz des britischen Fußballs.
Zu den Säulen der Waliser zählten vier Spanier: Defensivmann Chico Flores, statistisch einer der besten Verteidiger der Premier League, der ungemein lauffreudige Außenverteidiger Àngel Rangel, Flügelstürmer Pablo Hernández, der zehn Tore direkt vorbereitete, und eben Michu. Dessen Qualitäten waren aus seiner Zeit bei Rayo Vallecano bekannt, trotzdem bemühte sich nur Swansea ernsthaft um den großgewachsenen Stoßstürmer. Und machte mit 2,5 Millionen Euro Ablöse ein Schnäppchen. „Viele Vereinsbosse meinen, sie müssten ihren Club mit Geld zukleistern, um Erfolg zu haben“, spottete Swanseas Vorstandsvorsitzender Huw Jenkins. „Wir betrachten es als unsere Mission, diese Denkweise zu enttarnen.“
In der aktuellen Transferperiode wurde das Vorhaben konsequent verfolgt. Trainer Michael Laudrup konnte drei weitere Iberer im „Liberty Stadium“ begrüßen. Am Trio waren zahlreiche Vereine interessiert, doch Swansea scheint unter dem öffentlichen Transferradar zu arbeiten und ist in der Primera Division bestens vernetzt. Alejandro Pozuelo und José Alberto Cañas wechselten von Betis Sevilla, Jordi Amat kam von Espanyol Barcelona. So steht das spanische Lager momentan bei sieben Mitgliedern.
Alle walisisch-spanischen Transfergeschäfte waren eine wohltuende Antipode zum gegenwärtigen Transferwahnsinn. Für die sieben Akteure segnete Huw Jenkins in der Summe 13,4 Millionen Euro ab – halb so viel wie Borussia Dortmund für Henrikh Mkhitaryan in die Ukraine überwies. „Die Premier League und La Liga sind die zwei Topligen, aber aufgrund der Finanzkrise herrscht eine enorme ökonomische Differenz“, hebt Laudrup den Zusammenhang zwischen Wirtschaftlichkeit und Qualität hervor.
Der Fokus auf die iberische Halbinsel ist nicht nur finanziell, sondern auch sportlich eine weise Strategie. Mittlerweile hat sich Swansea bei Spaniens Mittelfeldklubs zum Aushängeschild der Premier League gemausert. „Swansea ist in Spanien sehr bekannt“, sagt Mittelfeldspieler Cañas. „Zusammen mit Wigan Athletic ist der Klub einer der meist beachteten.“
„Swanselona“
Neben dem nach wie vor exzellenten Ruf der Premier League können die „Swans“ auf die gewachsene Erfahrung im Umgang mit sensiblen Iberern verweisen. Mit Jordi Gómez, Jordi López, Gorka Pintado, Albert Serrán und Roberto Martínez, der nach seinem Karriereende auch den Trainerposten innehatte, schwangen sich in der jüngeren Vergangenheit bereits einige Landsmänner zu prägenden Persönlichkeiten auf.
Außerdem – und das ist mittlerweile das wichtigste Argument – passen die technisch bestens ausgebildeten Spanier vollkommen ins konstruktive Spielkonzept der Waliser. Die Tonlage in den britischen Medien ist berauscht, denn Swanseas Kombinationsfußball steht im krassen Kontraszum zum flächendeckenden Stil der britischen Mannschaften. In Anlehnung an das sportliche Vorbild FC Barcelona schreiben die Zeitungen von „Swanselona“ oder den „Swansea Triangles“, weil die Spieler ihr Kurzpassspiel meist im Dreieck zelebrieren.
„Sie sind technisch fast perfekt“, lobte Arsenal-Coach Arsene Wenger. Und Wenger, Architekt des „One-Touch-Football“ weiß, wovon er spricht. Den Zeiten, in denen walisische Mannschaften von den Rängen Schafslaute zu hören bekamen, hat Swansea City ein Ende bereitet. Selbst wenn. Einem unerwarteten Empfang könnten die „Swans“ mit stoischer Gelassenheit begegnen. So wie einst Miguel Pérez Cuesta seiner ersten Nacht in Wales.