Eintracht Frankfurt verliert bei Benfica Lissabon, die SGE-Fans feiern trotzdem eine weitere europäische Fußballparty. Unser Autor hat mitgefeiert.
Die Probleme, die eigentlich keine sind, sondern ein großer Spaß, beginnen am Security Check. Mehr als 100 Milliliter Flüssigkeit sind nicht erlaubt, klar. Dummerweise ist eine 0,5‑Liter-Dose Apfelwein auch Flüssigkeit und darf dementsprechend nicht mit. Der Security-Mitarbeiter zeigt sich uneinsichtig, sämtlichen Halb-Argumenten des knapp Fünfzigjährigen Mannes mit Eintracht-Schal zum Trotz, eine kurze Diskussion, das urhessische Wort „Hannebambel“ fällt, dann trollt sich der Fan zurück zu seinen johlenden Kumpels und macht im Handumdrehen aus 0,5 Liter Apfelwein 0,0 Liter Apfelwein. Es ist etwa halb acht morgens.
Es gibt so Vereine, die haben eine riesige Fanschar, selten allerdings größere Erfolgserlebnisse. Qualifiziert sich ein solcher Verein dann für Europa, setzt eine erstaunliche Völkerwanderung in Gang. 10.000 Gladbacher in Rom, 15.000 Kölner in London. X‑tausend Frankfurter, egal wohin. In dieser unverhofften Europa-League-Saison, mit dem Pokalsieg im Rücken und der generellen Erstaunlichkeit des Frankfurter Aufschwungs unter den Flügeln, scheinen die Eintracht-Fans noch einmal reiselustiger als sonst. 20.000 Fans waren in Rom, 3.000 im bitterkalten Charkiw, sogar ein paar hundert im verbotenen Marseille. Für Lissabon, das nun in nüchternen Lettern am Boarding-Gate blinkt, hat der Klub lediglich 3.200 Tickets bekommen. Benfica, so hieß es, fürchte um seinen Heimvorteil.
„Ob mit Bus oder Bahn oder Flugzeug scheißegal“, ist mehr als eine Liedzeile
Nicht zu unrecht. 3.200 Tickets sind verfügbar gewesen, etwa die doppelte Menge an Eintracht-Fans sind in Lissabon. Sie haben keine Kosten und Mühen gescheut, und das im tatsächlichen Wortsinne. Direkt nach der Auslosung, noch bevor überhaupt das Kontingent feststand, schnellten die Flugpreise von Frankfurt nach Lissabon von knapp 200 Euro auf 700 Euro in die Höhe. Altervnativrouten führen über Köln, Stuttgart, Porto, Faro. „Ob mit Bus oder Bahn oder Flugzeug scheißegal“, singen die Frankfurter Fans gerne. Aber es ist tatsächlich mehr als eine Liedzeile in Frankfurt. Es ist ein Modus Operandi.
Und dann wäre da ja noch die Sache mit den Eintrittskarten. Es sind so viele Eintrachtler Mitglied bei Benfica geworden, um auf diese Weise an Tickets zu kommen, dass sich der Verein zu einer öffentlichen Stellungnahme bemüßigt sah. Die Mitgliedschaften, hieß es darin, würden erst nach dem Spiel zugestellt werden. Das betrifft natürlich nicht jene Verrückte, die nach Viertelfinal-Auslosung einfach allen sieben möglichen Gegnern beigetreten sind. Sicher ist sicher.
„Im Herzen von Europa“ in der Straßenmusikversion
Andere haben sich über diverse Ecken Tickets für die neutralen Blöcke verschafft. Zwei Kumpels aus Berlin etwa, die auf dem Praça do Comércio, dem Treffpuntk der Fans direkt am Wasser, eine Literflasche Super Bock köpfen, haben über den portugiesischen Bekannten eines entfernten Bekannten eines Freundes zwei Tickets ergattert. Lustlos gestaltete, ausgedruckte DinA4-Seiten mit einem QR-Code drauf. Für 90 Euro das Stück, was prinzipiell knapp 80 Euro zu viel sind. Entweder also, die beiden haben absolute Top-Plätze erwischt, oder sind übers Ohr gehauen worden. Sie würden es nehmen, wie es kommt, sagen die beiden und widmen sich lieber wieder ihrem Super Bock.
Der Praça do Comércio hat schon viel gesehen. Das große Erdbeben von 1755. Die Ermordung Carlos‘ von Portugal 1908. Die Nelkenrevolution 1974. Heute sieht er: Einen Frankfurter, der an der Reiterstatue Josés des Ersten eine riesengroße SGE-Fahne schwenkt. Drogendealer, die ihr Kerngeschäft vergessen und lieber mit ihren potentiellen Kunden über Fußball fachsimpeln. Einen Eintracht-Fan, der einem Straßenmusiker die Gitarre abschwatzt, sich damit hinsetzt und „Im Herzen von Europa“ spielt. Sofort bildet sich ein Halbkreis aus knapp hundert Fans, alle singen mit, der Straßenmusiker steht daneben und staunt. Der ganz normale Auswärtswahnsinn, heute in G‑Dur.