Wir haben einen neuen Kolumnisten: Ab sofort schreibt Robin Gosens für uns jeden Monat über Fußball und das Leben. Zum Auftakt beschreibt er die einzigartige Leidenschaft der Tifosi in Italien. Und erklärt, warum er deshalb manchmal lieber nicht das Haus verlässt.
Diese Kolumne stammt aus unserer aktuellen Ausgabe 11FREUNDE #240. Das Heft ist ab sofort überall am Kiosk und hier bei uns im Shop erhältlich.
Ungefähr eine Woche, nachdem ich 2017 bei Atalanta Bergamo angekommen war, trudelte eine Nachricht des Teammanagers in den Gruppenchat der Mannschaft: „Ragazzi, in zehn Minuten ist Abfahrt zum ‚Festa della Dea‘.“ Im Bus fragte ich meinen Schweizer Kollegen Remo Freuler, was das denn für ein Fest sei. Und er sagte nur: „Lass dich überraschen.“ Was ich dann erlebte, werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Tausende Fans warteten auf einem Festival-Gelände mit großer Bühne und einer Art Kirmes. Wir Spieler wurden zur Bühne gefahren, dort anderthalb Stunden lang gefeiert, und mir war gleich klar: Für diesen Verein wirst du in jedem Spiel dein letztes Hemd geben!
Mein Eindruck ist, dass man in Deutschland mit einer gewissen Skepsis und einigermaßen desinteressiert auf den italienischen Fußball schaut. Mich beneiden die meisten Menschen eher um das Dolce Vita in Italien und nicht, weil ich in der Serie A spiele. Das gilt auch für viele meiner Profikollegen, die eher wissen wollen, ob das Essen wirklich so wahnsinnig gut schmeckt und ob es schon mittags Vino Rosso gibt (trifft übrigens beides zu), als dass sie mich nach dem Fußball fragen. Daher weiß auch kaum jemand, wie einzigartig die Leidenschaft der Tifosi immer noch ist.
„Eine ziemlich romantische Vorstellung vom Fußball, wie ich finde: tutti insieme, alle zusammen“
efühlt gibt es für sie nur Fußball, und als Spieler ihres Lieblingsvereins bist du Gott. Das mag übertrieben klingen, aber es gab schon die Momente, in denen ich mich genau so gefühlt habe: Wenn man am Wochenende ein wichtiges Tor geschossen hat, braucht man in der Stadt eine halbe Stunde für hundert Meter, weil jeder ein Foto oder eine Umarmung möchte oder dir einfach nur mitteilen will, wie großartig du bist. Egal wie scheiße ihre Woche war – brennt Atalanta ein Feuerwerk ab, dann ist die Welt in Ordnung. Sie schütten dir ihr Herz aus und erzählen Dinge, die ein Deutscher erst nach zehn Jahren Freundschaft oder vier Litern Bier auspacken würde.
Die Emotionalität der Fans sorgt aber auch dafür, dass du besser nicht das Haus verlässt, wenn es mal eher mies läuft. Mein guter Freund und Mannschaftskollege Marten de Roon hat das so auf den Punkt gebracht: „Wenn wir gewinnen, kriege ich den besten Tisch im Lokal und mein Essen umsonst. Wenn wir verlieren, muss meine Frau das Essen abholen.“ Ich habe schon etliche Geschichten von Spielern gehört, die zu Hause von verärgerten Fans empfangen, deren Autos zerkratzt oder die via Social Media aufs Übelste beleidigt wurden. So was habe ich zum Glück noch nicht erlebt, aber nach Niederlagen überlege ich mir sehr gut, das Haus zu verlassen. Dann wollen die Leute nämlich stundenlang mit dir über das Spiel reden, weil du ihnen das Wochenende versaut hast.
Im italienischen Fußball gibt es einfach keine Distanz zwischen Spielern und Tifosi. Sobald du ihr Trikot überstreifst, bist du einer vor ihnen. Eine ziemlich romantische Vorstellung vom Fußball, wie ich finde: tutti insieme, alle zusammen. Für mich ist damit aber auch die Pflicht verbunden, mein Leben auf dem Platz zu lassen, um es mal pathetisch zu sagen. Aber kein Problem, anders kann ich sowieso nicht Fußball spielen.
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