Lajos Detari war ein Komet: Er zog 1988 gleißend am Firmament der Frankfurter Eintracht vorüber und verglühte nach nur einer Saison. Was ist aus ihm geworden?
Lajos Detari, was bedeutet Ihnen der Fußball noch?
Fußball ist alles, ich habe mit sechs Jahren angefangen,ich bin bis heute Trainer. Mein ganzes Leben ist Fußball.
Warum gerade Fußball?
Ich fing an, weil wir in Budapest direkt neben einem Fußballplatz wohnten, um den herum auch viele Kinder lebten. Wir haben jede freie Minute nur Fußball gespielt. Da Ungarn zu dieser Zeit ganz arm war, haben wir jeden Tag sechs bis sieben Stunden Fußball gespielt.
Mit zwölf Jahren kamen Sie in die Kaderschmiede von Honved Budapest, stiegen in die erste Mannschaft auf und wechselten 1987 zu Eintracht Frankfurt. Wann war der Gedanke in Ihnen gereift, ins Ausland zu wechseln?
Ich durchlief alle Nachwuchsmannschaften, war 1981 oben angekommen und habe das erste Mal mit der ersten Mannschaft gespielt. Wir wurden drei Mal ungarischer Meister, ich wurde Torschützenkönig, Nationalspieler, und der ungarische Verband hatte die Idee, die jungen Spieler vielleicht ins Ausland gehen zu lassen, damit wir wieder eine starke Nationalmannschaft bekommen.
Es sollen ja mehrere europäische Vereine interessiert gewesen sein. Warum entschieden Sie sich gerade Frankfurt?
Darauf hatte ich gar keinen Einfluss. Ich weiß es nicht. Alle Gespräche liefen hinter meinem Rücken, ich war nur ein Spieler, und der ungarische Verband hat das alles bestimmt. Ich weiß nicht, ob es andere Möglichkeiten gab, vielleicht nach Monaco oder sogar Barcelona zu gehen. Aber der Verband hat das mit Frankfurt gedreht. Und damit war ich sehr glücklich, weil die Bundesliga zu der Zeit eine der stärksten Ligen der Welt war.
Sie hatten Anlaufschwierigkeiten. Die Mannschaft steckte tief im Tabellenkeller, sie spielten nicht gut und gerieten schnell ins Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik. Wie schwer waren diese ersten Monate für Sie persönlich?
Das war eine sehr schwere Zeit. Es war damals so ein großer Sprung aus dem armen Ungarn in eines der reichsten Länder der Welt zu kommen. Ich war noch sehr jung, 24 Jahre, kam aus einem anderen Land, sprach nicht deutsch, habe eine andere Mentalität. Ich brauchte einfach Zeit. Mit dem Training habe ich kein Problem gehabt. Es ist nicht so, dass wir bei Honved keinen Fußball gespielt haben (lacht).
Gab es Tage, an denen das Heimweh so groß war, dass Sie nur nach Hause wollten?
Nein, wenn es schlecht läuft, gehe ich doch nicht einfach nach hause. Das ist nicht unsere Mentalität. An schlechten Tagen habe ich viel mit István Sztani (floh nach dem ungarischen Volksauftand und wurde 1959 mit der Eintracht Deutscher Meister, Anm d. Red.) gesprochen. Er hat mir einfach gesagt: „Du musst noch mehr arbeiten, um das zu ändern, hab Geduld, bleib ruhig, deine Zeit wird kommen. Du lernst Deutsch, und du wirst gut spielen.“ Aber auch Kalli Feldkamp, Wolfgang Kraus (damaliger Manager, Anm. d. Red.) und Charly Körbel waren immer für mich da.
Gab es einen Zeitpunkt, von dem an Sie sich in Frankfurt richtig wohl gefühlt haben?
Im Januar 1988 hatten wir in Frankfurt ein Hallenturnier, und ich spiele sehr, sehr gerne in der Halle. Dort ist es super gegangen, wir haben richtig gezaubert, die ganze Halle hat getobt. Da merkte ich, dass ich dazugehöre und ein Teil von Eintracht Frankfurt bin.
In den Punktspielen taten sich die Mannschaft und auch Sie selbst sehr lange schwer.
Es war ein sehr schwieriges Jahr für uns, aber der letzte Teil war sehr schön. Wir haben uns unten herausgespielt und gegen Bochum den Pokal gewonnen.
Durch Ihr entscheidendes Freistoßtor. Träumen Sie auch heute noch davon?
Na klar, so etwas kannst du nicht vergessen. Aus Freistössen habe ich viele Tore gemacht. Das war eine gute Situation und ein wichtiges Tor. Aber viel unglaublicher war, dass 30000 Fans aus Frankfurt mit im Stadion waren, ein tolles Erlebnis.
Sie waren wohl einer der ersten Bundesliga-Spieler mit bunten Fußballschuhen. Warum trugen Sie im Finale die schwarzen Töppen?
(schmunzelt) Ja, ich hatte einen Vertrag mit Puma, und die haben mir die bereitgestellt. Sie waren in den ungarischen Landesfarben gehalten. Vielleicht war ich der erste, mit bunten Schuhen. Und vor dem Finale war das nicht so einfach. Sie müssen wissen, ein Fußballspieler hat manchmal einen Klaps. Man fängt an zu zweifeln, ist abergläubisch und denkt, mit den alten Schuhe geht’s besser… Zum Glück ist es gut gegangen (lacht).
Sie waren Held in Frankfurt – sind es heute noch. Warum verließen Sie die Eintracht nach nur einer Saison?
Ich wollte eigentlich nicht weg. Die Zeit bei der Eintracht war sehr schön. Natürlich habe ich gehört, dass einige Vereine Interesse gezeigt haben, aber da war auch viel Politik im Spiel. Ich war ja nicht einmal definitiv verkauft an Frankfurt, sondern nur vom Verband ausgeliehen. Eintracht hatte in dieser Zeit auch viele Schulden, gerade beim Eishockey. Und das war für den Verein ganz einfach auch eine gute Möglichkeit, mich zu verkaufen, um an frisches Geld zu gelangen. Am Ende waren es 17 Millionen Mark… Das war ein super Geschäft für den ungarischen Verband und den Sportminister, die sagten: „Wir möchten, dass du nach Griechenland gehst.“
Wann haben sie erfahren, dass sie zu Olympiakos Piräus gehen sollten?
Ich habe gewusst, dass sich Olympiakos, das ungarische Sportministerium und Eintracht Frankfurt trafen und über mich gesprochen hatten.
Bei aller Treue zu Eintracht Frankfurt: Sie hatten von Italien und von Juventus Turin geträumt.
Ich hatte auch die Möglichkeit, in dieser Zeit zu Juventus Turin zu gehen und habe einige Male mit den Managern gesprochen. Natürlich wollte ich da nicht nach Griechenland, sondern nach Italien. Aber Juventus Turin hat weniger Geld geboten. Das war mein Traum, der leider nicht Erfüllung ging, weil das Geld die größere Rolle gespielt hat. Das war eine sehr schwere Sache für mich und hat sehr wehgetan.
Also stand nicht Ihre Treue, sondern die Politik im Weg?
So einfach ist das nicht. Ich denke, Kalli Feldkamp hat auch gewusst, dass es in dieser Zeit und mit diesen Schulden gar nicht anders ging, als mich zu verkaufen. Aber ich habe sehr schöne Erinnerungen, es war eine tolle Zeit bei der Eintracht. Kalli und ich haben uns dann auch 1991 beim Freundschaftsspiel Ungarn gegen Deutschland getroffen und gesprochen.
Vom Potenzial und Talent her hätten Sie sich einen großen Verein aber ohne Zweifel zugetraut.
Ja, natürlich. Als ich in Bologna gespielt habe, war ich in dieser Zeit einer der besten Ausländer in der Liga. Ich hätte mir Juventus Turin, AC Mailand oder Inter zugetraut.
Haben Sie den damaligen Wechsel nach Griechenland bereut?
Viele haben diese Frage gestellt, ob ich froh oder unzufrieden mit meiner Karriere bin. Da kann man nur philosophieren und spekulieren. Das war auch nicht meine Entscheidung. In dieser Zeit hat mich niemand gefragt. Ich konnte nicht machen, was ich wollte. Aber ich denke, ich bin glücklich und mit mir im Reinen. Natürlich, mit ein bisschen Glück hätte alles eine andere Wendung nehmen können.
Blicken Sie manchmal wehmütig gen Frankfurt?
Ja, natürlich vermisse ich Frankfurt. Vor vielleicht einem halben Jahr war ich in Frankfurt im Stadion. Das ungarische Fernsehen hat da ein Interview mit mir gemacht. Mit Charly Körbel war ich auf dem Zimmer, er hat mir viel geholfen, aber auch mit Smolarek oder Möller war das Verhältnis sehr gut. Daran erinnert man sich gerne. Vor kurzem hat Charly angerufen und wollte mich zur Traditionself einladen. Aber wir hatten leider ein Meisterschaftsspiel. Wir telefonieren regelmäßig und bleiben in Kontakt.
Nach der goldenen Mannschaft um Puskas sorgte der ungarische Fußball bis in die Gegenwart kaum für positive Schlagzeilen. Warum?
Nach Puskas war es vielen großen ungarischen Spielern versagt geblieben, bei einem großen Verein im Ausland zu spielen. Im Moment schafft es keiner, weil die Spieler einfach nicht stark genug sind. Wir haben Talente, die jedoch leider nur in kleinen Vereinen spielen. Wir brauchen Spieler bei Chelsea oder AC Mailand. Aber seit 50 Jahren ist nichts passiert. Stellen Sie sich vor: Wir waren 1986 zum letzten Mal bei der WM in Mexiko dabei. Danach wir hatten wir niemals nur die kleinste Chance, uns zu qualifizieren. Und der Abstand ist noch größer geworden.
Was muss denn passieren, um den ungarischen Fußball aus dem Dornröschenschlaf zu wecken?
(holt tief Luft) Ooooh, wir haben im ungarischen Fußball viele Probleme, sowohl finanziell als auch in der ganzen Konstruktion und Basis. Wir brauchen ein Konzept, dass über zehn bis fünfzehn Jahre angelegt ist, das anfängt, mit den jungen Spielern zu arbeiten, auf sie setzt. Dafür brauchen wir aber ein fähiges Kollegium, mehr Sportplätze, gute Trainer, die auch Auslandserfahrung haben, die viele Sprachen sprechen. Ungarn ist nicht stehen geblieben, sondern noch die Treppe runter gegangen. Jaja, wir haben viele Probleme.
Ganz Ungarn hat große Sehnsucht nach gutem Fußball.
Ja, natürlich. Aber, ein großes Problem ist auch, dass wir nur über unsere goldene Mannschaft sprechen. Und weil wir nur über sie sprechen, sie als Maßstab nehmen, haben wir dabei die Gegenwart und Zukunft vergessen. Natürlich sind wir sehr stolz: Das sind Helden, die eine große Bedeutung für unser Land haben. Aber diese Zeit ist vorbei, wir müssen nach vorne schauen, was aber seit 50 Jahren nicht passiert ist.
Wann qualifiziert sich Ungarn denn nun mal wieder für ein großes Turnier?
(Holt noch tiefer Luft) Puuuh, das ist sehr schwer zu beantworten. Ich bin natürlich Optimist, aber muss auch Realist sein. Gerade heute sind die Qualifikationen so schwer geworden. Länder wie Rumänien, Polen, Ukraine haben super Mannschaften. Und diese Länder und Verbände haben auch Probleme.… Wir können im Moment nur träumen. Ein Freund und ich machen schon immer den Spaß, dass ich wohl der Letzte sein werde, der für Ungarn ein Tor bei einer WM geschossen hat. Aber so möchte ich nicht sterben. Vielleicht kommt doch noch einmal dieser Tag.
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HINWEIS: Dieses Interview wurde bereits im Jahr 2007 geführt. Zuletzt arbeitete Lajos Detari als Trainer bei Ferencváros Budapest.