Blumenhändler, Super-Torwart, Liga-Spaßvogel – Wolfgang Kleff hat immer das gemacht, was er wollte. Und dazu kann man ihm nur gratulieren. Heute wird er 75 Jahre alt.
Im Sommer 1984 hat Wolfgang Kleff genug. Er ist zu diesem Zeitpunkt seit 19 Jahren Fußball-Torwart und 37 Jahre alt. Seine Karriere scheint vorbei, sie war lang und ruhmreich. Mit Borussia Mönchengladbach hat Kleff fünf Meisterschaften, einen Pokalsieg und 1975 sogar den Uefa-Cup-Erfolg gefeiert. Er war eines der Gesichter der legendären Fohlen-Elf, jener Gladbacher Generation, die nicht nur erfolgreich spielte, sondern in Deutschland und Europa aus Interessierten Fans und aus Fans Liebhaber machte. Kleff war immer ein wenig anders, immer ein wenig verrückter, lustiger, alternativer. „Otto“ rufen sie ihn, weil er Otto Waalkes so verblüffend ähnlich sieht und mit dem Komiker befreundet ist. In der Nationalmannschaft ist er nie am großen Sepp Maier vorbeigekommen, aber während der Witzbold aus München eher den Charme eines Stammtisch-Schenkelklopfers ausstrahlt, ist Kleff ein unterhaltsamer Freigeist geblieben.
Eine Blumenfarm in der Elfenbeinküste
Vor allem aber war er ein großer Sportler. Kleff hat 120.000 Menschen im Bernabeu zu Madrid in den Wahnsinn getrieben, stand zwischen 1969 und 1976 mal 244 Spiele am Stück zwischen den Pfosten, seine Reflexe waren atemberaubend. Jetzt ist mal Zeit für was Neues. Und Kleff wäre nicht Kleff, wenn es nicht etwas wäre, das die Öffentlichkeit mal wieder vollkommen verwundert.
Also erklärt er im Sommer 1984, inzwischen seit zwei Jahren für Fortuna Düsseldorf aktiv, seinen Rücktritt. Um auf einer Blumenfarm in der Elfenbeinküste zu arbeiten.
„Ein guter Freund war an dieser Farm beteiligt“, erinnert sich Kleff, „er sagte: ›Wolfgang, das wird dir gefallen. Drei Monate bist du da unten, dann wieder in Deutschland. Genießt das schöne Wetter in Afrika, und spielst deine Kontakte aus.‹ Ich sagte zu.“ Ohne irgendeinen Vertrag unterschrieben zu haben, erzählte Kleff den Journalisten von seinem Plan und lud sie alle zu einem Trip an die Elfenbeinküste ein. Um Flamingoblumen zu verkaufen.
„Meine Hose? Ne, die kriegt ihr nicht!“
Vorher aber will sich Kleff angemessen von der großen Bühne verabschieden. Er hat es sich schließlich verdient „so abzutreten, wie ich das wollte“. Also geht er vor dem letzten Heimspiel der Saison 1983/84 am 33. Spieltag zu Trainer Willibert Kremer und bittet darum, eine Viertelstunde vor dem Abpfiff ausgewechselt zu werden, um mit einer Ehrenrunde aus der Bundesliga zu entschwinden. Kremer lehnt das ab. Also muss Kleff die Sache mal wieder selbst in die Hand nehmen. „In der 73. Minute flog der Ball ins Aus, ich machte einen Abschlag – und zog mir dabei leider leider eine Zerrung zu“, erinnert sich Kleff. Kaum vom Platz gehumpelt, sagt der Torwart seinen Fans so „Auf Wiedersehen“, wie er sich das ausgemalt hatte. „Otto, Otto!“, ruft das Volk und fordert Abschiedsgeschenke. Kleff schmeißt Handschuhe, Trikot, Stutzen ins Publikum. Als die Fans auch noch die Hose des Keepers fordern, zeigt der der Kurve kurz seinen blanken Hintern und schickt ein Grinsen hinterher. „Ich rief: Ne, die kriegt ihr nicht! Deshalb der nackte Popo. Ein Fotograf machte das berühmte Foto, die Zeitungen schrieben anschließend: ›Wolfgang Kleff zeigte auf diese Weise, was er vom Düsseldorfer Vorstand hielt‹ – völliger Quatsch. Aber ich habe es nie korrigieren wollen. War mir doch egal.“ Wolfgang Kleff hat mal wieder sein Ding durchgezogen.
Dass die Blumenfarm kurz darauf verkauft wurde und Kleff nun ohne Frührente in Afrika und einen Arbeitgeber dastand? Dass er dann doch bis 1987 für Rot-Weiß Oberhausen, Bochum und dem FSV Salmrohr das Tor hüten musste? Dass er, der Europapokalheld von einst, im 900-Seelen-Kaff Salmrohr auf Asche trainierte und ein Jahr lang im Hotel schlief? Dass eine von ihm eröffnete Herren-Botique mehr Schulden als verkaufte Hemden hinterließ? Dass er Jahre später am Herzen erkrankte, und 2009 aufgrund eines Schlaganfalls haarscharf am Tod vorbei schrammte? Dass all das schöne Geld, verdient mit vielen tausend Paraden und mörderischen Zweikämpfen, drauf ging, weil Kleff weder eine Krankenversicherung abgeschlossen, noch nach dem Ende der Laufbahn Arbeitslosengeld beantragt hatte? Dass er nur überlebte, weil die Ärzte einen Herzschrittmacher einsetzten und Wasser aus seiner Lunge saugten?
„Einen 500er Mercedes werde ich mir nicht mehr leisten“
Wie denkt er heute darüber?
„Nun“, beginnt Wolfgang Kleff, der durch das Leben gesegelt ist wie früher durch den Strafraum. „Tja“, räuspert sich dieser Glücksritter der Fußballszene, „das waren zum Teil schon teuflische Zeiten.“ Aber soll er sich jetzt darüber beklagen, dass die Kohle weg ist und „ich mir in diesem Leben bestimmt keinen 500er Mercedes mehr kaufen werde“? Dass bei einem, der früher nach jedem Heimspiel einen 30 Zentimeter langen „Herrenstreifen“ in seinem Mönchengladbacher Lieblingscafé verputzte, die Pumpe heute nur noch 60 Prozent Leistung schafft? Macht es Wolfgang Kleff, diesen unverbesserlichen Optimisten, nicht fertig, dass er alt geworden ist?
„Soll ich ihnen sagen, was ich mache, wenn ich morgens in den Spiegel schaue?“, kontert der Ex-Torwart mit einer Gegenfrage und beantwortet die gleich selbst: „Dann sehe ich mich kleinen Scheißer im Spiegel und sage mir: Da bist du ja immer noch, alter Junge!“ Was Wolfgang Kleff sagen will: „Ich freue mich über jeden Tag.“ Sogar noch mehr als früher, als er jung und fit und berühmt war. Die Geburt seiner Kinder – eine Tochter, ein Sohn – haben den nach eigener Aussage introvertierten und feinfühligen Mann ein noch besseres Gespür für die schönen Momente im Leben verschafft. Die Krankheiten, Operationen und Tänze auf der Rasierklinge des Lebens haben ihn „irgendwie devoter“ gemacht. Er glaubt nicht unbedingt an Gott, aber an eine höhere Macht, bei der sich bei seinen seltenen Besuchen in der Kirche bedankt. Und er hat sich eine eigene Lebensphilosophie gebastelt, die irgendwie sehr zu einem passt, der früher sein Geld damit verdiente, Tore zu verhindern in einem Spiel, das von Toren lebt. Der Fußballprofi war und Profis nun mal damit umgehen müssen, das es nicht nur große Siege, sondern auch große Niederlagen gibt.
„Das Leben“, sagt Wolfgang Kleff, „besteht daraus, zu akzeptieren.“ Er tut das. Und beschreibt sich selbst als „weich, gutgläubig, fast naiv“. Ein kleiner Junge sei er immer gewesen, immer geblieben. Heute wird er 75 Jahre alt. Man kann ihm nur gratulieren. Vielleicht ja mit Flamingoblumen.