Nicht nur die Uefa trägt Schuld am Regenbogen-Verbot, Jogi Löw bleiben noch fünf Spiele und englische Fans liefern mehr Unterhaltung als ihre Mannschaft. Unser Newsletter „11FREUNDE am Morgen“.
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Noch fünf Spiele. Soviele Partien wird Joachim Löw noch als Bundestrainer amtieren – wenn es richtig gut läuft und die Nationalelf ins EM-Finale einzieht. Oder heute Abend ist schon Schluss. Dann nämlich, wenn die deutsche Nationalelf wider Erwarten gegen Ungarn verlieren sollte. Insofern wurden wir gestern bei der Betrachtung der DFB-Pressekonferenz ein bisschen wehmütig, bei der Vorstellung, nie wieder einer dieser speziellen Veranstaltungen beiwohnen zu können, in denen es ja weniger um die Verbreitung von Neuigkeiten oder starken Meinungen ging, sondern eher um die Vermittlung einer beruhigenden Grundstimmung und der Botschaft, dass alles irgendwie, irgendwo, irgendwann „scho au“ (Löw) in Ordnung kommt. Gestern beispielsweise sedierte der Bundestrainer meisterhaft die Aufregung um die Regenbogen-Illumination der Allianz Arena runter: „Ich hätte mich sehr gefreut, wenn die Lichter angegangen wären. Auf der anderen Seite ist es wichtig, wenn die Lichter bei uns sportlich nicht ausgehen“. Und als es darum ging, ob womöglich Leon Goretzka den maladen Thomas Müller ersetzen könne, zeigte Löw unnachahmlich, wie man sich in vier Sätzen dreimal selbst relativieren kann: „Ich denke schon. Aber es ist natürlich noch ein Fragezeichen. Im Training macht er einen sehr guten Eindruck. Die Frage ist, wie es bei 90 Minuten im Wettkampf wäre. Ich denke aber, dass er absolut bereit ist.“ Spätestens beim dritten Satz dürfte die Hälfte des Auditoriums vor dem heimischen Laptop eingenickt gewesen sein. Und das ist ja stets das große Ziel. Wir hoffen sehr, dass es noch ein, zwei, drei dieser transzendentalen Veranstaltungen gibt, bevor der Mann mit der Haarmütze geht. Unser Abschiedslied gibt es hier.
England ist Gruppensieger. Die letzten beiden Partien der Gruppe D waren gestern Abend eher Spiele der zäheren Sorte. Am Ende reichte der englischen Nationalelf ein unspektakuläres 1:0 gegen Tschechien, um als Gruppensieger ins Achtelfinale einzuziehen. Als Gruppenzweiter ist Kroatien nach dem 3:1 gegen die unglückseligen Schotten im Achtelfinale dabei. Und Tschechien war wegen der schon vorher gesammelten vier Punkte als einer der, nun ja, besseren Gruppendritten auch schon vor dem Kick gegen England weiter. Angesichts der mäßigen Spannung konnten wir uns gestern abend ganz auf die Randaspekte der Partie in Wembley konzentrieren, etwa auf das andauernde Martyrium des Jadon Sancho, der wieder einmal nicht in den Startelf stand und mit finsterer Miene auf der Tribüne saß. Dass er am Ende noch für sechs Minuten eingewechselt wurde, war ein schwacher Trost, zumal beide Teams zu diesem Zeitpunkt jede Form von Angriffsbemühungen längst eingestellt hatten. Richtiggehend erheiternd waren hingegen die regelmäßigen Schwenks der TV-Kameras ins englische Publikum. Dort sahen wir nämlich immer wieder Zuschauer, die sich entweder gerade noch so auf den Beinen halten konnten, sich ungelenk umarmten, neben dem Takt sangen oder die sonst irgendeinen Unfug auf den Rängen machten – das ganze Standardprogramm englischer Anhänger bei großen Turnieren halt. Wäre es nach uns gegangen, hätte die TV-Regie auch gar nichts vom Rasen zeigen müssen.
Skandal im Sperrbezirk. Die Aufregung um die vom Münchner Stadtrat beantragte und von der UEFA abgelehnte Illumination der Münchner Allianz Arena nahm gestern leicht hysterische Züge an. Die Regenbogenfahne ist ja ein lebensfrohes und optimistisches Zeichen des Kampfes für mehr Toleranz, für eine vielfältige Gesellschaft, für einen offenen und toleranten Umgang mit sexuellen Identitäten. Und wäre die Außenhaut des Münchner Stadions am heutigen Abend in diese Farben getaucht worden, hätte sich das EM-Turnier nicht nur auf elegante Weise am „Pride Month“ beteiligt, sondern hätte zugleich auch eine Botschaft an all die Regierungen gesendet, die derzeit Homophobie wieder gesellschaftsfähig machen wollen. Dass dieses Vorhaben gescheitert ist und nun jede Leichtigkeit aus dem Projekt gewichen ist, hat viele Gründe, und nicht alle liegen bei der UEFA. Natürlich ist der Verband der schurkische Hauptakteur, der im Zweifel den Geschäftsbeziehungen zu einem Autokraten wie Viktor Orban den Vorrang vor moralischen Erwägungen oder gesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten gibt. Was angesichts des bisherigen Geschäftsgebarens des Verbandes allerdings auch nicht überraschend ist, und die Frage aufwirft, was eigentlich der DFB in den letzten Wochen so beruflich gemacht hat. Wahrscheinlich war er zu sehr damit beschäftigt, seine eigene Ethik-Kommision mit Intrigen arbeitsunfähig zu schießen, um eine Mittlerrolle einzunehmen und einen Kompromiss zu suchen, der nicht nur lautet: „Gerne irgendwann, aber bitte nicht heute!“ Und schließlich darf man auch fragen, ob es eigentlich klug vom Münchner Stadtrat und dem auf Krawall gebürsteten Oberbürgermeister war, die Illumination stets ostentativ mit den homophoben Gesetzen des Viktor Orban zu verknüpfen. Mal abgesehen davon, dass die ungarische Nationalelf nicht im Parlament sitzt und auch keine vom Regierungschef zusammengestellte Auswahl ist, nimmt der zwanghafte Fokus auf die Ungarn dem Projekt eher die Strahlkraft, suggeriert das doch, anderswo sei alles weitgehend in Ordnung mit der Gleichstellung der Homo- und Transsexuellen. Ist es aber nicht, gar nicht. Auch nicht hier in Deutschland.
„Ich bin am Boden zerstört. Wir hatten gehofft, dass das heute ein Auftakt wird. Jetzt ist es ein Ende!“
Historische Fehleinschätzung. Eine Leseempfehlung aus dem 11Freunde-CLUB ist heute die irrlichternde Reise der englischen Nationalelf zur EM 1980. Das Team um Kevin Keegan fuhr als selbsternannter Favorit zur EM 1980 nach Italien – und musste lernen, dass elf Spieler noch keine Mannschaft bilden. Der Kollege Jon Spurling hat das sehr unterhaltsam aufgeschrieben.
Zurück in die Achtziger! Heute suchen wir einen echten Gewinner. Einen echten Teufelskerl, der von Rekord zu Rekord eilte und Adi Furler vor Ehrfurcht den Schnauzbart beben ließ. Lösungen natürlich wie immer an philipp@11freunde.de. Gestern gab es viele halbrichtige Lösungen, die ich aber nicht gelten lassen konnte. Wer nämlich „TSV Vestenbergsgreuth“ schrieb, musste ja in dem geröteten Pavianhintern irgendwie ein „T“ erkannt haben. Aber es ging natürlich um den „Pokalschreck Vestenbergsgreuth“ (Po-kahl-shrek Fest-Ten-Berg-SG-Reut“). Und immerhin etwa hundert Teilnehmer lagen dann auch ganz richtig. Glückwunsch euch allen!
Der Abend der Entscheidung. Bitte stellt euch diesen Claim mit einer markanten Sky-Trailer-Stimme gesprochen vor, denn heute geht es gleich in zwei Gruppen rund. Den Anfang machen die Partien Slowakei-Spanien (18 Uhr, Tipp: 0:3) und Schweden-Polen (18 Uhr, Tipp 2:1). Und dann kickt Deutschland gegen Ungarn (21 Uhr, Tipp: 1:1) und Frankreich-Portugal (21 Uhr, Tipp: 0:4). Ein defätistischer, aber gar nicht so unrealistischer Tipp.
Ansonsten bitte ich die leicht verspätete Zustellung des Newsletters zu entschuldigen. Ich könnte die alte Ede-Geyer-Entschuldigung („Oma hat gezahnt“) heranführen, mache es aber stattdessen wie ein klassischer DHL-Bote („Ich wollte den Newsletter zustellen, aber die Adresse war nicht korrekt. Und außerdem hat keiner aufgemacht.“)
Einen guten Spieltag wünscht euch