Borussia Dortmund zeigt bei Manchester City eine bärenstarke Leistung. Das ist gut. Und schlecht. Denn es wirft eine Frage auf, die keiner mehr hören kann.
Na, das war doch bislang eine rundherum gelungene Woche für Borussia Dortmund, trotz oder gerade wegen dreier Spiele, deren einzige substanzielle Gemeinsamkeit das nackte Ergebnis ist. Durch das 1:2 des BVB gegen Eintracht Frankfurt am Samstag, in Verbindung mit Gladbachs 2:1 gegen Freiburg, wurde zuerst mal ein Worst-Case-Szenario abgewendet: Marco Rose, der teuerste Coach der Bundesligageschichte, wird seinen Posten in Dortmund nun doch nicht als totaler Loser antreten, der den Erfolgstrainer Edin Terzic gegen den Willen des Volkes verdrängt hat.
Und bei der unglücklichen 1:2‑Niederlage der Dortmunder in Manchester drei Tage später wurde offenbar, dass die sportliche Leitung der Westfalen etwas geschafft hat, das bislang als undurchführbar galt: zwei komplett unterschiedliche Kader zusammenzustellen, einen für die Liga und einen für die Pokalwettbewerbe. Wie man das hinbekommen hat, ohne nur einen Cent mehr Geld auszugeben, das ist allerdings die große Frage, die auch am Dienstagabend wieder jeden umtrieb, der ein Mikrofon in der Hand hielt.
Warum nur ringen dieselben Fußballer, die den 1. FC Köln nicht schlagen können und zu Hause gegen einen Aufsteiger fünf Tore kassieren, an anderen Tagen die Kampfschweine des FC Sevilla nieder und halten scheinbar locker mit Peps Wunderteam mit, das – wie am Mittwoch gemeldet wurde – den Scheich in Abu Dahbi jedes Jahr 407 Millionen Euro allein an Gehalt kostet? Wie Mats Hummels sagen würde … nein, wie er vorgestern sagte: „Schwierige Antwort.“
Ob das ein Freudscher Versprecher war, ist schon die nächste Ungereimtheit. Doch zunächst mal zurück zur schwierigen Frage. Sie ist ja nun wirklich nicht neu. Seit mehr als sechs Jahren hat man das Gefühl, dass der BVB sein Potenzial zu selten oder zumindest nicht konstant genug abrufen kann. Um das zu ändern, hat der Verein schon viel unternommen. Aus dem Führungsduo Aki und Susi ist inzwischen ein Quartett geworden, doch auch das unstrittige Know-how von Matthias Sammer und Sebastian Kehl hat sich bislang nur punktuell bemerkbar gemacht. Was ebenfalls für das Stühlerücken auf der Trainerbank gilt, auf der in diesem Zeitraum sechs höchst unterschiedliche Typen mit verschiedensten Methoden und Spielsystemen saßen.
Und auch der Kader hat ja kaum noch etwas mit dem gemein, der im Frühjahr 2015 als Titelkandidat auf Platz 18 stand und Jürgen Klopp in die vorzeitige Vertragsauflösung trieb. Jedenfalls gibt es selbst unter den größten Dortmund-Hassern wohl niemanden, der Lukasz Piszczek oder Marcel Schmelzer die Schuld am ganzen Schlamassel gibt, den neben Marco Reus letzten Veteranen aus der Klopp-Ära. Wobei, Mats Hummels ist ja auch noch da. Oder besser: wieder da. An ihm sieht man gut, was der Klub auf der Suche nach einer Erklärung für das Unerklärliche noch alles probiert hat.
Hummels wurde ja im Sommer 2019 zurückgeholt, weil eine interne Analyse ergeben hatte, dass es im Kader nicht genug routinierte Führungsspieler mit dem viel zitierten Sieger-Gen gab, die in kritischen Momenten das Heft in die Hand nehmen. Davor, so wird man sich vielleicht erinnern, hieß es hinter vorgehaltener Hand, dass im Kader zu viele routinierte Spieler stünden, die nicht mehr hungrig genug wären. Auch deswegen kamen dann ja viele junge Talente, denen es naturgemäß an dem mangelte, was Hummels dann einbringen sollte. Und was Axel Witsel einbringen sollte. Und Emre Can. Und Thomas Delaney. Und Thomas Meunier. Alles erfahrene Nationalspieler, denen man noch nie vorgeworfen hat, dass sie mal Bock zu haben scheinen und mal nicht. Zumindest nicht auf ihren bisherigen Stationen.
Womit wir dann also endlich bei der Mentalitätsscheiße wären. Die geht ja nicht nur Maro Reus auf die Eier, sondern eigentlich jedem, der etwas intensiver über Fußball nachdenkt, als man es am Stammtisch tut. Und deswegen war es völlig richtig, dass der BVB sich stets gegen die ebenso pauschalen wie undefinierten Vorwürfe verwahrte, der Mannschaft fehle es an Willen oder sie habe die falsche Einstellung. Plötzlich aber klingt das ganz anders.
Am Wochenende nahmen Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc bei ihrer Kritik an der Leistung des BVB beide den Ausdruck „Körpersprache“ in den Mund. Damit waren sie nur noch einen Schritt davon entfernt, das M‑Wort zu verwenden. Denn was sonst soll Körpersprache nach außen hin zeigen, wenn nicht den inneren Willen und die Entschlossenheit, also das, was der Laie gemeinhin als Einstellung oder eben Mentalität bezeichnet?
Noch einen halben Schritt weiter ging vorgestern Hummels. Die „schwierige Antwort“, die er Sky-Reporter Raphael Honigstein gab, lautete nämlich: „Man erarbeitet sich das jeden Tag im Training. Wenn man’s jeden Tag im Training zeigt, zeigt man es auch im Spiel.“ Und vor dem DAZN-Mikrofon benutzte der Dortmunder Abwehrchef dann Wörter wie „Einsatz, Konzentration, Seriosität, Leidenschaft“. Sein Fazit: „Wir dürfen uns nicht aussuchen, wann wir das zeigen.“
Viel direkter kann man die Trainingsleistungen von Kollegen nicht ansprechen. Wen genau Hummels damit gemeint hat, blieb ungesagt, es dürfte aber kein Zufall sein, dass Ästheten wie Julian Brandt und Giovanni Reyna gerade nicht erste Wahl sind. Ja, selbst Wunderknabe Erling Haaland wirft momentan die eine oder andere Frage auf. Entweder hat er vor dem Spiel am Dienstag nordische Motivationssprüche vor sich hingemurmelt … oder die Champions-League-Hymne mitgesungen. Das wäre einerseits bewundernswert, da vermutlich nicht mal ihr Komponist den Text kennt. Andererseits erweckte es nur drei Tage, nachdem Can der unglückliche Satz herausrutschte, er habe „keinen Bock, Europa League zu spielen“, den Eindruck, als würden manche Borussen sich eben doch aussuchen, wann sie was zeigen. Wie man das ändert? Hm, schwierige Antwort.