Eine WM in Katar? Der Osnabrücker Aktionskünstler Volker-Johannes Trieb zeigte ziemlich deutlich, was er davon hält – und kippte der FIFA heute früh anlässlich der Auslosung eine tonnenschwere Protestnote vor die Tür. Hier erklärt er, warum.
Heute im Morgengrauen war es so weit. Der Lkw aus Deutschland fuhr bei der FIFA vor und kippte seine Ladung ab: handgenähte Stoff-Fußbälle, die Volker-Johannes Trieb (55) und seine fleißigen Helfer mit Sand befüllt hatten – und zwar 6.500 Stück. Diese Zahl hat Symbolkraft. Sie steht für jene 6.500 ausländischen Bauarbeiter, die laut eines Guardian-Berichts seit der Vergabe des Turniers auf Baustellen in Katar ihr Leben verloren haben. 11FREUNDE sprach mit Trieb über seine Beweggründe.
Volker-Johannes Trieb, Sie hatten sich bereits am Donnerstag von Osnabrück auf den Weg nach Zürich gemacht. Heute morgen haben Sie dort ihre prall mit Sand gefüllten „Fußbälle“ deponiert – direkt vor dem Hauptquartier der FIFA. Mit welchem Ziel?
Ich wollte ein paar Bilder um die Welt schicken und an die vielen toten Wanderarbeiter erinnern, die auf den Stadionbaustellen im WM-Gastgeberland Katar unter menschenunwürdigsten Bedingungen ihr Leben gelassen haben. Durch die gewaltige Menge an Bällen wollte ich zugleich die gigantische Zahl an Todesopfern sichtbar machen.
Wobei die vom Guardian ermittelte Zahl 6.500 aus dem Februar vergangenen Jahres stammt und womöglich viel zu niedrig gegriffen ist.
Amnesty International spricht inzwischen von mehr als 15.000 Opfern. Das ist eine riesige Zahl, die auf den ersten Blick fast schon unglaublich wirkt. Aber diese Menschen sind ja nicht alle vom Baugerüst gefallen, sie sind auf verschiedenste Weisen ums Leben gekommen. Einige hatten sich einfach nur Verletzungen zugezogen, an denen man in Deutschland nie und nimmer hätte sterben müssen. Leider ist die medizinische Versorgung der ausländischen Wanderarbeiter in Katar so katastrophal, dass sie keine Chance hatten.
Kann man davon ausgehen, dass Sie selbst im kommenden Winter keine WM-Spiele gucken werden?
Absolut. Wobei ich eh kein großer Fußballfan bin. Ich war 2006 beim WM-Spiel zwischen Deutschland und Schweden und fand’s witzig, dass die deutschen Fans gesungen haben: „Ihr seid nur ein Möbellieferant!“ Die Atmosphäre war trotzdem positiv und von Respekt erfüllt. Ich war auch schon auf Schalke und bei Rapid Wien und hab die wahnsinnige Stimmung dort genossen. Das hat mich mehr beeindruckt als das, was auf dem Rasen abging. Aber was da in Katar stattfinden soll, finde ich absolut krank: Da treffen sich die Völker der Erde zu einem eigentlich schönen Ereignis, um friedlich ihre Kräfte zu messen. Und dann trampeln sie quasi auf den Gräbern der verstorbenen Arbeiter herum.
WM-Organisations-Chef Nasser Al Khater hat gerade erst Englands Nationaltrainer Neville Southgate für dessen Katar-Kritik gerügt. Southgate solle sich selbst ein Bild machen, nicht nachplappern, was in irgendwelchen Zeitungsberichten geschrieben stehe.
Ich habe selbst mit Menschenrechtsorganisationen aus Bangladesch gesprochen. Dort trifft quasi jeden Tag ein Sarg aus Katar ein. Die ganze Welt weiß inzwischen, was Sache ist. Aber sie schaut einfach weg.
Sie haben jeden ihrer 6.500 Stoff-Fußbälle mit einer vielsagenden Aufschrift bedruckt: „Weltgewissen, du bist ein Fleck der Schande“.
Dieses Zitat stammt aus dem Werk von Truus Menger-Oversteegen, einer niederländischen Malerin, Bildhauerin und Widerstandskämpferin gegen die NS-Okkupation, die ich selbst noch kennengelernt habe. Ich finde ihre Worte in diesem Zusammenhang sehr treffend.
Hinzu kommt, dass das Weltgewissen zurzeit eher mit Putins Krieg in der Ukraine beschäftigt ist. Da gerät Katar leicht in Vergessenheit.
Das kann man nicht gegeneinander ausspielen. Der Krieg ist furchtbar, ganz klar. Aber das, was in Katar passiert, ist auch Krieg – Krieg gegen die Menschlichkeit. Da wie dort sterben Menschen, Tausende. Deswegen sollte Deutschland auch sehr gut überlegen, ob es als Ersatz für russisches Gas ausgerechnet Gas aus Katar kaufen will. Da kommen wir vom Regen in die Traufe. Dann ziehe ich mir im Winter lieber einen Pulli mehr an.
Nochmal zurück zu Ihrer Aktion: 6.500 Bälle zu nähen und anschließend mit Sand zu füllen, das muss doch eine unfassbar schweißtreibende Arbeit gewesen sein.
Die Bälle haben wir nähen lassen. Sie waren mit Reißverschlüssen versehen, so dass wir den Sand rein schippen und sie anschließend sofort verschließen konnten. Das Problem war, dass das Nähen etwas länger gedauert hatte als ursprünglich geplant, so dass wir am Ende nur drei, vier Tage fürs Sandeinfüllen hatten. Eine komplette Osnabrücker Lehrwerkstatt hat uns dabei geholfen, ebenso wie einige Fans des VfL Osnabrück. Zum Beladen des Lkw kam sogar der Vorstand des VfL. Die haben richtig mit angepackt. Auch die AWO International hat uns bei dem Projekt unterstützt. Ihnen allen danke ich sehr.
Braucht so eine Aktion nicht ungeheuer viel Planung und gleichzeitig absolute Geheimhaltung?
Wir hatten jemanden, der die Lage in Zürich für uns ausbaldowert hat. Wir hatten drei Alternativpläne: entweder die Bälle vor den Haupteingang der FIFA-Zentrale zu kippen oder vor die FIFA-Ticketzentrale oder vor den Eingang des FIFA-Museums. Zehn Bälle hatte ich für einen anderen Zweck aufgehoben. Die stehen nun der FIFA zur Verfügung, für ihr Museum.
„Das war eine politische Aktion“
Von Ihnen stammt der Ausspruch: „Als Künstler oder kreativer Mensch stolpert man von einer Pubertät in die nächste.“ War diese Aktion Kunst?
Von Haus aus bin ich ja bildender Künstler. Aber das war eine politische Aktion nach dem Motto: Solidarität ist Zärtlichkeit unter den Völkern.
Haben Sie keine Angst vor möglichen juristischen Konsequenzen?
Unser erklärtes Ziel war, mit allem, was wir tun, im Rahmen einer Ordnungswidrigkeit zu bleiben. Es sollte ja auch keine Randale-Aktion werden, sondern eher eine Gedenkveranstaltung in einem würdigen Rahmen. Deshalb hat uns auch der Cellist Willem Schulz nach Zürich begleitet, um vor Ort ein Requiem zu spielen.
Bis zur WM in Katar ziehen noch einige Monate ins Land, planen Sie weitere Aktionen?
Zum WM-Beginn am 21. November schalten wir zahlreiche Traueranzeigen in deutschen Zeitungen. Außerdem planen wir eine große Aktion in einem deutschen Stadion. Am 10. Dezember, also während des Turniers, ist Tag der Menschenrechte. Das wäre auch ein guter Zeitpunkt für eine Aktion.
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