In der Ukraine finden Fußballspiele momentan unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Selbst das Pokalfinale sollte hinter verschlossenen Türen stattfinden. Wir sprachen mit Eugen Bantysh, Mitglied von FSE (Football Supporters Europe) und Kenner der ukrainischen Fanszene, über die verfahrene Situation.
Eugen Bantysh, Fußballspiele finden in der Ukraine momentan unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Doch mal ehrlich: Interessiert Fußball überhaupt noch?
Natürlich. Es ist jedenfalls eine große Diskussion darüber entfacht, warum diese Geisterspiel-Regelung überhaupt die Partien in der Westukraine betrifft. Es wäre für die Fans noch nachvollziehbar, wenn der Verband aus Sorge vor Ausschreitungen oder aufgrund der aktuellen Unruhen die Spiele auf der Krim oder der Ostukraine absagt – aber im Westen?
Die ukrainische Regierung hat vor einigen Wochen einen Brief an den Verband geschrieben. In diesem heißt es: „Die Zwischenfälle bei den Spielen am 27. April in Charkow und am 2. Mai in Odessa haben bewiesen, wie groß die Gefahr für schwere Ausschreitungen ist.“ Welche Rolle haben die Ultras bei diesen Vorfällen eingenommen?
Die Tragödie vom 2. Mai begann mit dem Fußballspiel zwischen Chornomorets Odessa und Metalist Charkiw. Vor dem Spiel organisierten die Ultragruppen der Vereine einen gemeinsamen Marsch. Dabei kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, und ein Gewerkschaftshaus ging in Flammen aufging – am Ende starben 46 Menschen. Die einen sprechen von Provokationen prorussischer Kräfte, die anderen geben den nationalistischen Ultras die Schuld für die Eskalation.
Das Innenministerium forderte daraufhin nicht nur Geisterspiele, sondern auch die Verlegung der verbleibenden Partien in den Westen. Schachtar hat am vergangenen Wochenende den Titel vor leeren Rängen im zentralukrainischen Tscherkassy gewonnen. Auch um das heutige Pokalfinale zwischen Schachtar Donezk und Dynamo Kiew wirft viele Rätsel auf. Wo findet es denn jetzt statt?
Noch vorgestern konnte oder wollte der Verband keine verbindliche Aussage zum Austragungsort machen. Auch wusste man nicht, ob das Spiel ohne oder mit Zuschauern stattfinden wird. Am Mittwochmorgen gab es dann eine Demonstration in Kiew. Das Finale wird jetzt in Poltawa stattfinden. Mit Zuschauern.
Ursprünglich sollte das Spiel in der ostukrainischen Stadt Charkiw stattfinden. Dann wurde es in die westukrainische Stadt Lwiw verlegt. Wieso jetzt Poltawa?
Lwiw wäre die beste Wahl gewesen, denn in der dortigen EM-Arena gibt es die besten Voraussetzungen für dieses Finale. Warum der Verband das nicht mehr will? In Ultrakreisen mehren sich die Gerüchte, dass Schachtars Präsident Rinat Achmetow den Verband gedrängt habe, das Spiel nach Poltawa zu verlegen.
Warum?
Die Ultras glauben, dass den Menschen in der Ostukraine seit Monaten ein falsches Bild von der Westukraine vermittelt wird. Ein Bild von Faschisten und Verbrechern. Wenn die Schachtar-Fans nun nach Lwiw fahren, könnten sie ein anderes Bild sehen. Das wolle Achmetow vermeiden, heißt es.
Wie äußert sich eigentlich der Protest der Fans und Ultras?
Es gibt immer wieder kleinere Aktionen am Stadion. Neulich erst haben Dynamo-Kiew-Ultras Banner am Stadion aufgehängt, auf denen sie den Verband und die Geisterspiele kritisierten.
Und das gibt keine Probleme?
Die meisten Ultras haben oft gute Verbindungen zum Klub – und in den großen Stadien und im Umfeld des Stadions ist es meist sehr unproblematisch sich politisch pro-ukrainisch zu äußern. An der Donbass-Arena (Heimstadion von Schachtar Donezk, d. Red.) haben Schachtar-Ultras kürzlich Ukraine-Fahnen aufgehängt und danach Pro-Ukraine-Lieder gesungen. Es gab eine Verwarnung – mehr nicht.
Sind denn alle Fußball-Ultras in der Ukraine pro-ukrainisch?
Die Ultras ja.
Auch die im Donbass oder auf der Krim?
Auch die. Es ist ja so, dass sich auch in der Ostukraine oder auf der Krim viel mehr Leute gegen Wladimir Putin positionieren würden. Doch sie haben Angst. Gerade in den kleineren Städten und auf dem Land, wo bewaffnete Separatisten durch die Straßen marschieren und man natürlich nicht einfach so mit einer Ukraine-Flagge auf die Straße geht.
Bis vor einigen Monaten waren viele Ultragruppen in der Ukraine stark verfeindet, was sich auch immer wieder in heftigen Schlägereien ausdrückte. Erstaunt Sie der aktuelle Zusammenschluss nicht?
Nein, denn die meisten Ultragruppen sind nationalistisch und anti-kommunistisch eingestellt. Insofern macht ihre pro-ukrainische Ausrichtung Sinn und auch der Schulterschluss gegen Janukowytsch oder Putin. Sie lehnen alles Sowjetische ab. Allerdings geht es bei dem Zusammenschluss auch um Schutz vor den Separatisten oder vor russischen Geheimdienstmitarbeitern.
In den vergangenen Jahren war es für linke Fans gefährlich, überhaupt ins Stadion zu gehen. Ein Beispiel sind die linken Fans von Arsenal Kiew. Wie ist es heute?
Arsenal musste seine Mannschaft während der Saison aus dem Spielbetreib abmelden. Der Klub war pleite. Die Arsenal-Fans habe ich daher seit ein paar Monaten nicht mehr gesehen. Ansonsten stehen die Rivalitäten hinten an. Selbst bitter verfeindete Lager laufen Seite an Seite: Anhänger von Chornomorets Odessa neben denen von Karpaty Lwiw und Fans von Metalist Charkiw neben denen von Dnipro Dnipropetrovsk. Bei anderen Spielen feuerten Dynamo-Fans die Mannschaft von Odessa an. Sie treffen sich zu gemeinsamen Freundschaftsspielen – wie kürzlich die Ultras von Dynamo und Schachtar –, oder sie singen zusammen Lieder.
Wovon handeln die Lieder?
Es gibt ein Lied, das von allen Ultras gesungen wird. Es ist schwer zu übersetzen: Ganz grob handelt es davon, dass Putin ein Schwanz ist.
Die Bewohner der ostukrainischen Oblaste Luhansk und Donezk stimmten in umstrittenen Referenden für eine Abspaltung von der Ukraine. Wie wird es für die Klubs weitergehen?
Ich hoffe, dass die östlichen Klubs Sorja Luhansk und Schachtar Donezk weiterhin in der ukrainischen Liga und Teil der Ukraine bleiben.
Und die Vereine von der Krim?
Tawrija Simferopol und der FC Sewastopol werden vermutlich in der russischen Liga spielen. Gerade die Fans von Tawrija waren anfangs sehr Russland-skeptisch eingestellt und haben sich an den Maidan-Protesten beteiligt. Mittlerweile sind sie aber verstummt.