Jaroslav Drobny gab am Ende einer Chaos-Saison in der hysterischen Elf des HSV den Mann ohne Nerven. Der Auftritt des Tschechen in der Relegation war für Tim Jürgens der Lichtblick in einer düsteren Spielzeit.
Es grenzt fast an Masochismus, als Sympatisant des Hamburger SV am Ende dieser Saison den herausragenden Augenblick zu benennen. Denn machen wir uns nichts vor: Das war ein Horrorjahr. Chaos wie auf der schlingernden Costa Concordia, wo der Kapitän in Sektlaune längst im Beiboot saß, als die Passagiere dem Untergang erst gewahr wurden: Wer in die flackernden Augen von Oliver Kreuzer blickte, wenn dieser wieder mal erklären musste, dass noch nichts verloren sei. Heiko Westermann, der zumindest keinen Hehl daraus machte, dass er und die Kollegen wie die Besatzung des kippenden Luxusliners völlig orientierungslos durch die Saison schleuderten. Oder Vorstandschef Carl-Edgar Jarchow, der mit tiefen Kratern im Gesicht mehr und mehr zum Mount Rushmore des Hamburger Dramas avancierte.
Von den Spielern im Stich gelassen
Kurz: Es war keiner da, der dem Betrachter auch nur ansatzweise das Gefühl vermitteln konnte, dass diese Tragödie womöglich noch gut ausgehen könne. Im Gegenteil, je länger die Saison dauerte, desto lächerlicher wurden die Übersprunghandlungen, die Totalausfälle, die Peinlichkeiten. Das Bild, das allein vermeintliche Führungsspieler wie René Adler, Heiko Westermann oder auch Rafael Van der Vaart zeitweise abgaben, war nicht einmal mehr beschämend. Es hinterließ nur noch das tiefe Gefühl von Traurigkeit, das sich einstellt, wenn man im Stich gelassen wird.
In dieser Situation trat irgendwann Jaroslav Drobny auf den Plan – und es schien, als sei der Schalter fürs Farbfernsehen umgelegt worden. Nicht etwa, weil er im Akkord Unhaltbare wegfaustete oder seinem Ruf als Elfmeterkiller gerecht wurde. Sondern nur, weil er seinen Job exakt so erledigte, wie es von einem Fußballer auf seinem Leistungsniveau gemeinhin erwartet werden darf.
Nachdem Drobny gut zwei Jahre lang kaum ein Pflichtspiel bestritten hatte, ersetzte er René Adler, den kurz vor den Relegationsspielen ein Bandscheibenvorfall ereilte. Und plötzlich stand da hinten wieder einer, der Eckbälle ohne mit der Wimper zu zucken abfischte, der seinen Vorderleuten verbal in den Allerwertesten trat, wenn er mal wieder nach irgendeiner Stilblüte eines Kollegen den Feuerwehrmann geben musste. Der in einer hitzigen Situation in der Manier seines Vorgängers Uli Stein den Ball unter den Arm stemmte, einige Sekunden ins Nirvana starrte, mit schaufelnden Bewegungen einen langen Abschlag ankündigte und dann mit der Gelassenheit des Siegers die Pille aus der Gefahrenzone hämmerte.
Er war wie „Mr. Wolf“ in „Pulp Fiction“
Jaroslav Drobny war wie die wacker aufspielende Kapelle auf der sinkenden Titanic. Der Lichtblick am Ende dieses Geisterbahn-Tunnels. Er war wie „Mr. Wolf“, der Cleaner aus dem Tarantino-Klassiker „Pulp Fiction“, der, nachdem Vincent Vega den Kopf eines Kleinkriminellen durch einen fehlgeleiteten Schuss feinsäuberlich auf dem Rücksitz eines Autos verteilt hat, die unappetitliche Bescherung mit Coolness, Präzision und gebotener Umgänglichkeit wieder in Ordnung bringt.
Das Interview, das Drobny nach dem enervierenden Rückspiel gegen die Spielvereinigung Greuther Fürth einem Sky-Reporter gab, wurde in all seiner Beiläufigkeit zum TV-Meilenstein. Etwas widerwillig stellte sich der Matchwinner im Augenblick des Triumphs. Als er gefragt wurde, was Trainer Mirko Slomka der Mannschaft vor dem Spiel mit auf den Weg gegeben habe, antwortete Drobny: „Nichts.“ Er sagte dann noch irgendwas, von wegen Analyse, worauf man beim Gegner achten solle, Selbstbewusstsein undsoweiter, man kennt diese Sätze ja. Aber es bestand kein Zweifel, dass Drobny persönlich für die Relegationsspiele keine extra Einweisung mehr benötigt hatte.
Eine Frage noch!
Entsprechend wenig Lust hatte er, weitere Fragen zu beantworten. Nachdem er noch zu Protokoll gegeben hatte, dass die mitgereisten HSV-Fans „geil“ gewesen seien, eilte er von dannen, während der Sky-Reporter versuchte, ihm noch eine Frage zu stellen. Der TV-Kollege sagte: „Sie waren heute aber auch geil…“
Doch da war Drobny schon in den Katakomben verschwunden. Was für ein Auftritt.