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Jemandem, der auf Spitz­namen wie Schlachter“ oder Bestie“ hört und auch so aus­sieht, möchte man lieber nicht im Dunkel begegnen, und so ist es kein Wunder, dass Nils Voigt sagt: Als ich Güney das erste Mal sah, habe ich gedacht, dem willst du nicht im Dun­keln begegnen.“ Eher schon ist es ein Wunder, dass sich die beiden über­haupt kennen. Der eine ist Schieds­richter-Lehr­wart im Fuß­ball­kreis Region Han­nover, der andere Welt­meister im Kick­boxen. Dass sie inzwi­schen regel­mäßig mit­ein­ander zu tun haben, hängt mit einer spe­zi­ellen Pas­sion von Güney Artak zusammen: Er ist Schieds­richter in der Kreis­klasse.

Seit 2016 leitet der 32-jäh­rige Kurde aus der Türkei mit deut­schem Pass Par­tien in und um Han­nover. Bevor­zugt solche, die gerne als Pro­blem­spiele“ bezeichnet werden. Ist doch gut, wenn er Spiele nimmt, die andere nicht haben wollen“, sagt sein Lehr­wart dazu. Wo anderen Schiris ob der erwart­baren Aggres­si­vität die Knie schlot­tern, kann sich Artak not­falls durch seine bloße kör­per­liche Prä­senz Respekt ver­schaffen. Wem man nicht gerne im Dun­keln begegnet, mit dem legt man sich auch besser nicht auf dem Fuß­ball­platz an. Dabei ist er eigent­lich ein ganz lieber Kerl“, sagt Voigt. Aber ers­tens weiß das nicht jeder Que­ru­lant und zwei­tens: Will man es wirk­lich drauf ankommen lassen?

Ich war eher so die Mauer in der Abwehr“

Wie aber wurde der Schlachter zum Schieds­richter? Fuß­ball­lei­den­schaft ver­spürt Artak seit eh und je, als Kind hat er selbst gespielt, beim TSV Kirch­dorf in einem Orts­teil von Bar­sing­hausen. Ich war nicht der Beste, weißt du“, sagt er, eher so die Mauer in der Abwehr.“ Auch wenn er damals weder die Tat­toos noch seinen furcht­erre­genden Bart gehabt haben dürfte, das Bild dazu ent­steht pro­blemlos im Kopf: the But­cher, the Beast, the Wall. Irgend­wann gab er dem Kampf­sport den Vorzug, bei einem Blick auf seine spä­teren Erfolge lässt sich sagen: aus guten Gründen. Bis ihm Arbeits­kol­legen bei VW, die nebenbei Fuß­ball spielten, mit ihrem ewigen Geme­cker über die Pfei­fen­männer auf die Nerven gingen. Ich kenne euch ja ein biss­chen“, hat er zu ihnen gesagt, ihr seid auch nicht ohne.“ Dann hat er über­legt, sich das Ganze aus der Innen­per­spek­tive anzu­sehen – und sich für den Schieds­rich­ter­lehr­gang ange­meldet. Kurz­schluss­re­ak­tion“, sagt er heute dazu und grinst.

Mitt­ler­weile ist Artak einer der bekann­testen Refe­rees im Raum Han­nover. Stand diverse Male in der Zei­tung, ist fleißig bei Insta­gram unter­wegs, sogar das Fern­sehen hat schon was mit ihm gemacht. Nicht alle im han­no­ver­schen Schieds­rich­ter­wesen finden das gut, aber gerade dieses Zusam­men­treffen zweier Welten macht es natür­lich inter­es­sant: Der für viele anrü­chige Kampf­sport trifft auf die Schieds­rich­terei, die – ohne der Zunft zu nahe treten zu wollen – zum guten Teil bevöl­kert ist mit kreuz­braven Regel­hu­bern. Außerdem kann Artak, auch das sorgt bei einigen wohl für Unmut, längst nicht so viele Spiele annehmen, wie er gern würde. Mitt­ler­weile stieg er vom Kick­boxen zum tra­di­tio­nellen Pro­fi­boxen um, ist dort bereits Euro­pa­meister und träumt von einem WM-Kampf im Schwer­ge­wicht. Außerdem führt er in der Fuß­gän­ger­zone von Han­nover ein Shisha-Restau­rant. Warum tut er sich das dann über­haupt noch an mit der Schieds­rich­terei? Es klingt komisch, aber ich genieße die Ruhe. Allein zum Spiel fahren, allein in der Kabine sein. Und das, was auf dem Platz pas­siert, hilft mir beim Reflek­tieren.“

Mein Erschei­nungs­bild ist nicht die Waffe, die ich ein­setzen möchte“

Orts­termin im Walter-Bettges-Sta­dion in Lan­gen­hagen, Partie der zweiten Kreis­klasse zwi­schen dem SC Lan­gen­hagen und TuS Meck­len­heide II. Eigent­lich mache ich mir keine Gedanken um mein Erschei­nungs­bild“, hat Artak vor dem Anpfiff in der Schi­ri­ka­bine gesagt. Es ist auch nicht die Waffe, die ich ein­setzen möchte.“ Tat­säch­lich ist in den fol­genden andert­halb Stunden zu sehen, dass die respekt­ein­flö­ßende Optik nur einen Teil seiner Wir­kung auf dem Platz aus­macht. Hinzu kommen ein feines Gefühl für heikle Situa­tionen und eine gute Men­schen­kenntnis, die er sich früher als Tür­steher in Han­nover ange­eignet hat. Und, nicht zu unter­schätzen, ein tro­ckener Humor. Der kommt bereits bei der Pass­kon­trolle der Heim­mann­schaft zum Tragen, als Artak die Nummer 69 vor­liest, stutzt und die Stirn run­zelt, bis ein kol­lek­tives Gelächter durch die Kabine schallt. Kann los­gehen!

Das anschlie­ßende Auf­ein­an­der­treffen von Lan­gen­hagen und Meck­len­heide II ist defi­nitiv kein Pro­blem­spiel. Den­noch gibt es natür­lich auch hier das eine oder andere Schar­mützel, bei dem die beson­deren Qua­li­täten von Güney Artak im Bereich Kon­flikt­lö­sung zum Tragen kommen. Einmal texten sich die Spieler beider Mann­schaften nach einem Foul gegen­seitig zu, Rudel­bil­dung in Reich­weite. Artak könnte sich in diesem Moment natür­lich mit den Streit­hähnen beschäf­tigen, statt­dessen beugt er sich über den ver­letzt am Boden lie­genden Gefoulten und ruft: Und wer küm­mert sich um den hier?“ Danach ist aus der Fehde urplötz­lich die Luft raus.

Doch Artak kann auch anders. Einmal, es ist eine Weile her, bemerkte er beim Pfeifen, wie auf dem Neben­platz einem uner­fah­renen Schiri die Kon­trolle übers Spiel ent­glitt. Er unter­brach seine Partie, spur­tete nach nebenan und kam dem jungen Kol­legen zu Hilfe. Nachdem er die Kra­wall­brüder ein­gen­ordet hatte, kehrte Artak zu seinem eigenen Platz zurück und pfiff das Spiel see­len­ruhig wieder an.

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Kai Senf