Ganz anders tritt der Deutsche Sportclub für Fußballstatistiken e.V. (DSFS) auf, der auf seiner Homepage gerne von großen Erfolgen berichtet. Am Anfang stand Pionier Helmut Druwen, der im Juni 1971 über eine Annonce im „Kicker“ fünf Mitstreiter fand. Zwei Jahre später zählte der DSFS bereits 23 Mitglieder, darunter befanden sich etliche Männer aus einer privaten überregionalen Tippgemeinschaft. Sie nannte sich hochtrabend Bundesliga-Experten-Club (BEC), Mitglied werden konnte jeder.
Beim DSFS verweist man heute stolz auf die Einführung eines regelmäßig erscheinenden Clubbriefs (einseitig, DIN A4, ab 1971) und auf die erste große Anschaffung im Jahr 1972: ein Umdrucker, in der Fachsprache Matrizendrucker, mit dem man Abzüge in kleinen Auflagen herstellen konnte. Er kostete den Verein 184 Mark – finanziert wurde er mit den kurz zuvor eingeführten Mitgliedsbeiträgen (2,50 Mark pro Monat). Im November 1980 folgte die erste Publikation, ein 20-seitiges DIN-A5-Heftchen mit dem Titel „Der HSV – Erfolgsbilanz eines großen Bundesligavereins“.
Der DSFS erfasst Statistiken noch in Büchern
1981 veröffentlichte der DSFS „Die Halbzeitbilanz der Amateur-Oberliga 1980/81“, der Grundstein für die Bücherreihen von mittlerweile über 400 Statistikbänden und vor allem für das jährlich erscheinende Saison-Abschlusswerk des Statistikervereins. Früher hieß es „Deutschlands Fußball in Zahlen“, heute „Deutscher Fußball-Almanach“. „Hört sich schmissiger an“, sagt der Vereinsvorsitzende Dirk Hennig. Der 44-Jährige lebt in Kassel und sammelt neben Statistiken noch Modellautos, Telefonkarten und Sturmtruppen-Taschenbücher. Er versichert: Trotz Internet und digitaler Datenbanken gibt es für das über 350-seitige Mammutwerk immer noch Abnehmer – 1500 Exemplare werden pro Jahr verkauft.
Dabei erweist sich die Recherche zu den Daten für die mittlerweile rund 400 Mitglieder nicht immer als einfach. Zwar sammelt der DSFS vornehmlich Statistiken des deutschen Fußballs, doch geht er dabei eben auch bis hinunter in die C‑Jugend-Bezirksliga und historisch weit zurück. Daher ist man auf die Mithilfe der Städte und Verbände angewiesen, wo man aber von dem Zahlenwahnsinn häufig nichts wissen will. „Der hessische Fußballverband behauptete kürzlich: ‚Warum sammelt ihr das noch? Es liegt doch alles vor!‘ Ich fragte also: ‚Wo denn?‘ Darauf hatten sie keine Antwort“, sagt Henning. Hinzu kommt, dass sich auch das Internet für Hobbystatistiker mit professionellem Anspruch nicht immer als Fundgrube erweist.
Vor allem dann nicht, wenn man es wirklich ganz genau wissen will. Etwa bei der Schiedsrichtersollregel, die im hessischen Fußball dafür sorgt, dass Vereine Schiedsrichter für eine bestimmte Anzahl von Spielen abstellen müssen. Bei einer Regelverletzung gibt es Punktabzug und/oder Geldstrafen. „Diese wird auf den einschlägigen Internetseiten meistens nicht erfasst“, sagt Dirk Henning. Er klingt dabei ein bisschen empört.
Fußball und Dinge in Listen zu erfassen
Die größte Herausforderung für den DSFS stellt die Recherche des deutschen Nachkriegsfußballs dar. „Es wurden Ligen zusammengestellt, wenig später neu strukturiert, Vereine spielten kurzzeitig in Liga A, dann wieder in Liga D – ein einziges Chaos!“, sagt Henning. Jedes Ergebnis aus dem Jahr 1946 sei daher „eine blaue Mauritius“. Über die Partie SG Borsigwalde gegen SG Stralau aus der Stadtklasse Berlin, Staffel B, Saison 1945/46 ist immer noch nichts bekannt. Zu vermuten sei, so Henning, dass sie erst nachträglich gewertet wurde. Doch wo wurde das dokumentiert? „So etwas ist für einen Statistiker grauenhaft.“
Ein englischer Journalist schrieb einmal: „Männer lieben zwei Dinge: Fußball und Dinge in Listen zu erfassen.“ Aber was sammeln die Männer mit ihren Listen eigentlich? Den Inhalt oder nur den Verweis darauf? Pflegen sie ihre Erinnerung oder schlichtweg ihr System? „Die Daten vermengen sich mit der Erinnerung und der Fantasie“, sagt Stokkermans. „Ich male mir aus, was sich hinter den Zahlen verbirgt.“ Dirk Henning hingegen sagt: „Warum ich das mache? Vielleicht weil ich Perfektionist bin.“
Eigentlich ein Dilemma, denn Fußballarchive haben keine Ränder und Enden. Es gibt immer noch eine Liga unter der, die man gerade abgeschlossen hat, oder einen Pokal, der nie dokumentiert wurde. „Wenn man diesen Fakt akzeptiert, beunruhigt das nicht“, sagt er.
Für Iordan Tsirov ist die Recherche auch die Suche nach Wahrheit und Vollständigkeit. So war etwa eine Aufzeichnung aus der bulgarischen Amateurliga Yugoiztochna (5. Liga) lange lückenhaft. Es fehlte der Eintrag zum Spiel Sozopol gegen Stambolovo vom 12. Spieltag der Saison 2007/08. Tsirov wühlte sich wochenlang durch Zeitungsarchive, kontaktierte andere Statistiker, den Verband, die Vereine – ohne Erfolg. Schließlich fand er den Namen des damaligen Trainers von Sozopol heraus, und rief ihn an, seitdem ist alles gut. Das Spiel endete 0:7. Es könnte eines Tages sehr wichtig werden.