Er lag mit Trainern und Präsidenten im Clinch, spielte mit Bademeistern und feierte Wodkapartys in Lettland: Heute feiert Rüdiger Abramczik Geburtstag. Der „Flankengott“ über seine ereignisreiche Karriere.
Das Interview erschien erstmals in 11FREUNDE #167. Das Heft findet ihr bei uns im Shop.
Rüdiger Abramczik, stimmt es eigentlich, dass Fans früher nachts bei Ihnen zu Hause angerufen haben?
Ja, das kam schon mal vor. Nur gut, dass es damals noch keine Handys gab.
Der „Stern“ veröffentlichte 1977 eine Art Starporträt über Sie. Darin heißt es: „Einmal erwischte ihn ein Mädel am Telefon und fragte: ‚Bisse verheiratet? Hasse ’ne Alte?‘“
(Lacht.) Ich erinnere mich, wie ein Mädel bei meiner Mutter klingelte und sagte: „Hallo, ich wollt nur sagen, dass ich ein Kind von Rüdiger bekomme.“ Meine Mutter war total durcheinander, sagte: „Mensch, Rüdiger, das war auch noch so ’ne Hässliche.“
Außerdem sollen Sie einem alten Bolzplatzkumpel durch die Führerscheinprüfung geholfen haben.
Das stimmt sogar. Ich kannte in Gelsenkirchen den Mann, der die Prüfer einteilte. Also sagte ich: „Sieh mal zu, dass da nicht einer den Jungen fünfmal rückwärts einparken lässt. Das kann der nicht.“ Was soll ich sagen: Mein Kumpel hat die Prüfung bestanden.
Der Bericht trägt den Titel „Der Flankengott aus dem Kohlenpott“. Wie wurden Sie zum Rechtsaußen?
Mein Vater war ein großer Bewunderer von Stan Libuda. Wenn er zurück von den Spielen in der Glückaufkampfbahn kam, hat er mir die Tricks vom Stan gezeigt. In der Jugend beim Erler SV rückte ich dann auf eben diese Position. Natürlich habe ich mir etwas von Stan abgeschaut, doch kopieren konnte ich ihn nicht, er war schließlich viel kleiner und stämmiger als ich.
Hat Ihr Vater Sie also besonders gefördert, damit Sie Libudas Nachfolger werden?
Mein Vater war Schlosser auf Zeche, wollte das aber bei seinen Kindern verhindern. Meine Brüder wurden Heizungsmonteur, Architekt oder arbeiteten im kaufmännischen Bereich. Die Arbeit für die Bergleute war sehr gefährlich, von daher war ich auch nicht so heiß darauf, da runter zu fahren. Meine Eltern waren zwar bei jedem Jugendspiel dabei, doch „besonders gefördert“ kann man auch nicht sagen: Mein Vater war sehr kritisch.
Inwiefern?
Es kam schon mal vor, dass er mich nach schlechten Spielen hat stehen lassen. Da musste ich nach Hause laufen oder mir 50 Pfennig für die Straßenbahn leihen. Als ich nach Hause kam, saß er am Küchentisch und sagte: „So ein Scheißdreck, hör’ lieber auf mit Fußball. Was du da gespielt hast, war ja eine Katastrophe.“ Er hat einfach nicht eingesehen, dass ich in der Jugend einen Jahrgang übersprungen hatte und es deswegen sehr schwer für mich war.
Mit 16 Jahren trainierten Sie schon bei Schalkes Profis mit.
Mein erstes Training werde ich nie vergessen. Trainer Ivica Horvath schickte mich zum Platzwart Ernst Kalwitzki, damit er mir alles zeigt. Als ich so durch die Räume ging, sah ich all die Trikots, Handtücher, Trainingsanzüge und Spinde der Spieler. Ich dachte: „Sauber, da kriegst du jetzt schön deinen eigenen Spind.“ Doch Kalwitzki führte mich in eine Abstellkammer mit den alten Seilchen, Medizinbällen und Leibchen, wo es bestialisch gestunken hat. Dann kloppte er einen Nagel neben die Leisten und sagte: „So, hier ziehst du dich um.“
Wie sind die Mitspieler mit Ihnen umgegangen?
Kalwitzki gab mir immer viel zu große Klamotten, ich sah aus wie ein Osterhase. Trotzdem haben sie mich sehr gut aufgenommen, auch weil ich keine Eingewöhnungsprobleme hatte. Ich habe direkt mein Debüt bei der Eröffnungsfeier des Parkstadions gegen Feyenoord gegeben und den Holländer in der ersten Halbzeit schön eingedreht. Plötzlich stand unser Präsident Oskar Siebert in der Kabine und rief: „Der Junge muss ausgewechselt werden, der hat gar keinen Vertrag, die holen uns den weg.“
Also wurden Sie gleich in Ihrem ersten Spiel zur Halbzeit ausgewechselt?
Ja, die Fans haben die Welt nicht mehr verstanden. Ich war sauer. Erst spielst du vor 70 000 Zuschauern und dann fährst du auf dem Fahrrad nach Hause. Die anderen Spieler besaßen dicke Autos, doch ich hatte keine Kohle. Mein Vater saß wieder am Küchentisch: „Hast du wirklich so schlecht gespielt? Mir ist das gar nicht aufgefallen.“ Ich erklärte alles und am nächsten Tag hat er mit dem Siebert dann meinen ersten Vertrag ausbaldowert.
Spätestens da muss Ihr Vater doch stolz auf Sie gewesen sein.
Er war weiterhin nicht überzeugt und sagte: „Ich kritisier’ dich so lange, bis du Nationalspieler bist.“ Vier Jahre später, nach meinem ersten Länderspiel, fuhr ich zu meinem Elternhaus und meinte zu ihm: „Na, wat is?“ Er schwieg und äußerte sich von da an nie mehr zu meinen Spielen.
Das klingt fast wie der Satz Ihres späteren Trainers Max Merkel: „Ehe der Abramczik Nationalspieler wird, werde ich Sänger in der Metropolitan Oper.“
Und? Hat er hinterher gesungen? Nein, Merkel hatte Muffe und nie etwas eingehalten, was er gesagt hat. Wir haben ihn als Trainer auch nie ernst genommen und wären unter ihm fast abgestiegen. Der Spruch hat mir natürlich geschadet, weil der Druck automatisch wuchs. Aber im Endeffekt war mir der Kerl doch scheißegal.