Fatuma Adan verhinderte in ihrer Heimat Massaker, Beschneidungen und Zwangsehen – weil sie an den Fußball als Friedensstifter glaubte. Hier erzählt sie davon.
Dachten Sie zu diesem Zeitpunkt ans Aufgeben?
Ich war verzweifelt, aber ich wusste immer, dass ich es wieder gutmachen muss. Ich musste die Mädchen irgendwie zurückholen. Ich beschloss, mit den Ehemännern meiner verlorenen Spielerinnen zu sprechen. Für viele war das jeweilige Mädchen schon die dritte oder vierte Frau. Immerhin überredete ich die Männer dazu, die Mädchen zurück in die Schule zu schicken. Nicht jedoch zurück zum Fußball, keine Chance. Da hatte ich mein größtes persönliches Tief und dachte: Vielleicht sind wir doch noch nicht weit genug für Mädchenfußball.
Wie haben Sie doch noch die Kehrtwende geschafft?
Eines Tages sprach ich mit einem örtlichen Imam, zu dem ich Vertrauen aufgebaut hatte. Ich erklärte ihm, dass wir alle von Fußballspielenden und somit selbstbewussteren Mädchen profitieren könnten. Er war skeptisch. Das ginge nur mit Kopftuch. Ich sagte: Klar, wir spielen die ganze Zeit schon mit Kopftuch. Ich zeigte ihm Fotos. Er verlangte aber auch lange Gewänder über den kurzen Hosen. Ich versprach es ihm. „Dann versuch es“, sagte er. Er würde mich unterstützen. Als nächstes redete ich mit den Müttern einiger Mädchen. Ich erklärte ihnen, was ich vorhatte und fragte: Was wollt ihr für eure Töchter? Wollt ihr eine unabhängige Zukunft für sie? Drei Mütter konnte ich überzeugen. Sie brachten ihre Töchter am nächsten Tag zum Trainingsplatz. Die Mannschaft wuchs.
Spielten Sie auch selbst mit?
Ja, ich spielte mit und das machte einen großen Unterschied. Die Mütter sahen mich als Vorbild für ihre Töchter. In der Hoffnung, dass die Mädchen auch besser in der Schule werden würden, überzeugten sie irgendwann auch die Väter.
Das war 2009. Wo stehen Sie und Ihre Organisation HODI (Horn of Africa Development Initiative) heute?
Gegenwärtig betreuen wir in der gesamten Region um Marsabit herum 348 Jugendmannschaften. 50 davon sind Mädchenmannschaften. Auf meinem Heimatplatz spielen mittlerweile mehr Mädchen als Jungs. Sie spielen in kurzen Hosen. Und gehen sogar in kurzen Hosen zum Training. Das Selbstvertrauen der Mädchen ist enorm gewachsen.
Woran machen Sie das fest?
Wir setzen all unseren Spielerinnen Ziele, die sie in der Schule erreichen sollen. Wir sprechen mit den Mädchen und Eltern auch über Beschneidung, eines der größten Tabuthemen in unserer Gesellschaft. Jedes Mädchen in Marsabit muss beschnitten werden. Wir haben es geschafft, dass mittlerweile zwölf Mädchen diesem Schicksal entgehen konnten. Viele meiner Mädchen haben mittlerweile das Selbstbewusstsein, sich zu Hause zu wehren und sich vor ihren Eltern für ihre Rechte einzusetzen. Mit zwölf Schulen arbeiten wir seit drei Jahren zusammen, 1044 Mädchen haben wir betreut. Keines von ihnen hat die Schule abgebrochen, keine ist schwanger geworden. Eine unserer Mannschaften hat es sogar zu einem nationalen Turnier geschafft. Das zeigt also: Fußball ist eine Lösung.
Sie waren die erste Frau in Nordkenia, die Jura studierte. Hat Ihnen Ihr Beruf als Anwältin bei Ihren Projekten geholfen?
Nicht direkt, aber es gibt Parallelen zwischen den beiden Jobs: Als Anwältin war ich die Stimme für meine Mandanten. Doch ich brauchte einen Fußballplatz, um mein Statement zu machen. Zu zeigen, dass Mädchen es schaffen können. Wenn ich eine Mandantin, die gegen ihren Willen verheiratet worden war, vertrat, war das Verbrechen ja schon geschehen. Aber die Frage ist doch: Was können wir tun, damit die Zwangsverheiratung gar nicht erst passiert? Fußball gab mir und den anderen Mädchen diese Möglichkeit.
Gibt es einen Fußballspieler, der Sie selbst inspiriert hat?
Zinedine Zidane. Er war so ein großartiger Spieler, ein Feingeist auf dem Platz. Ich liebte es, ihm zuzusehen. Bis er in seinem letzten Spiel diese rote Karte bekommen hat. Ich war dermaßen enttäuscht. Aber ich dachte mir auch: Er hatte nie die Chance, dieses Vergehen zu revidieren. Und da kam mir der Gedanke: Vielleicht müssen wir Gewalt nicht bestrafen, sondern Fairplay belohnen. Das inspirierte mich zur Einführung der grünen und weißen Karten.