Fatuma Adan verhinderte in ihrer Heimat Massaker, Beschneidungen und Zwangsehen – weil sie an den Fußball als Friedensstifter glaubte. Hier erzählt sie davon.
Fatuma Adan, Sie lieben den Fußball, durften aber bis zu Ihrem 25. Lebensjahr in Nordkenia selbst nicht spielen. Wie haben Sie das ausgehalten?
Ich durfte nur in der Öffentlichkeit nicht spielen. Zu Hause hatte ich extremes Glück: Meine Eltern und Brüder waren liberal. Mein Vater hat mich immer mitgucken lassen, wenn er ein Spiel im Fernsehen sah. Mit meinen Brüdern spielte ich zu Hause Fußball. Ich war nie das Mädchen, das für sie putzen und kochen musste.
Wie ging es anderen Mädchen in Ihrem Alter?
Kaum eine kam zu Hause mit dem Fußball in Berührung, auch wenn sie es noch so sehr wollte. Und in der Öffentlichkeit erst recht nicht. Es war uns nicht erlaubt die Beine zu heben und draußen gesehen zu werden. Nicht zu rufen, zu lachen, im Hintergrund zu sprechen. Obwohl ich Muslimin bin, war dies übrigens kein religiöses Phänomen. Bei uns leben auch viele Christinnen, für die das Gleiche galt. Auch andere Sportarten durften wir nicht ausüben. Ich kann zum Beispiel kein Fahrrad fahren.
Bevor Sie sich mit Mädchenfußball befassten, haben Sie die Initiative „Shoot to score, not to kill“ gegründet. Wie kam es dazu?
Das fing 2003 an. Zu dem Zeitpunkt versuchte ich zum ersten Mal, Fußballspiele in einer Art örtlichem Pub zu schauen. Dort liefen häufig Spiele der Premier League. Eines Tages überredete ich meinen Bruder, mich mitzunehmen. Er war skeptisch, aber schließlich stimmte er zu. Im Pub war ich die einzige Frau. Alle Männer dort waren gegen mich, ich blieb trotzdem und kam immer wieder. Ich brach das Schweigen, indem ich irgendwann anfing ein Team anzufeuern, zu schreien, wenn ein Tor fiel. Nach ein paar Monaten akzeptierten mich die Männer.
Wie haben Sie es dann auf den Platz geschafft?
Das dauerte noch einige Jahre. Im Juli 2005 gab es in Marsabit ein großes Massaker bei dem viele Menschen getötet wurden. Ich dachte die ganze Zeit: Was kann ich tun? Wie kann ich dazu beitragen, dass so etwas nie wieder passiert? Und dann erinnerte ich an meine große Liebe, den Fußball. Ich sah, wie viel Einfluss er auf die Männer verschiedener Stämme hatte.
Wie konnten Sie das für Ihre Zwecke nutzen?
Eines Tages entschied ich mich, zum Fußballplatz zu gehen, dem zentralen Ort der Gemeinde. Und wie damals im Pub blickten mich alle entgeistert an und fragten: „Was tut sie hier? Das ist ein Männerspiel!“ Aber ich wusste, dass sie mich nicht angreifen würden, weil ich nicht aggressiv auftrat. Und ich fragte die Männer: „Kann ich mithelfen, die regionale Liga neu zu organisieren?“
Wie reagierte die Männer?
Sie lachten und sagten: „Was weißt du schon über Fußball?“ Ich sagte: „Ihr kämpft die ganze Zeit, sogar während des Spiels. Immer Stamm gegen Stamm. Können wir das nicht anders machen? Können wir nicht ein gemischtes Spiel organisieren?“ Ich traf erwartungsgemäß auf sehr viel Widerstand, aber einige wenige fanden die Idee gut. Und so entstand ein kurzes Spiel mit einigen wenigen Spielern verschiedener Stämme. Und ich kam fortan einfach jeden Tag zum Platz und versuchte einer der Jungs zu werden. Da ich mein Kopftuch nicht ablegte, brach ich keine religiösen Regeln. Ich ließ nicht locker, ich war einfach da. Es dauerte fast ein Jahr, bis ich das Vertrauen der Männer hatte. Niemand hätte geglaubt, dass es möglich wäre, aber ich entwickelte das Konzept: „Shoot to score, not to kill“.
Was hat es damit auf sich?
Fast jeder der jungen Männer dort hatte eine Waffe, die er von den Älteren bekommen hatte, um Leute aus anderen Stämmen zu töten. Oft brachten sie die Waffen mit zum Training. Einmal entsicherte einer im Streit um ein Tor seine Waffe und zielte auf einen anderen. In dem Moment wusste ich nicht, was ich tun sollte. Mir war klar: Schießt er, dann stirbt jemand. Ich versuchte ihn zu beruhigen: „Wenn du schießt, verlieren wir nicht nur ein Leben. Dann verlieren wir alles, auch den Fußball. Lass uns verhandeln, lass uns reden.“ Fortan trafen wir uns in der Halbzeit der Spiele und diskutierten mit beiden Mannschaften strittige Situationen. Ich moderierte diese Gespräche. Und das war der Start unseres gewaltfreien Programms.
Warum haben die Männer ausgerechnet Sie respektiert?
Das kann ich immer noch nicht genau sagen. Ich war einfach zum richtigen Moment am richtigen Ort. Ich habe nie meine Hand gehoben. Wenn jemand mich schlagen wollte, sagte ich: „Ok, schlag mich!“ Aber niemand tat es, obwohl sie wütend waren. Dann entschuldigten sie sich und ich akzeptierte das sofort. Aus meinen Aktionen heraus entstand eine kleine Bewegung. Es gab Zeiten da kämpften Stämme gegeneinander, aber die Kinder derselben Stämme spielten auf dem Platz friedlich miteinander. Auch wenn draußen Menschen getötet wurden, spielten wir weiter.
Welche weiteren Regeln auße haben Sie noch etabliert?
Wir haben die grüne und die weiße Karte eingeführt, für die man nach dem Spiel sogenannte „Peace Point erhälts“. Die grüne Karte bekommt ein Spieler für faire Aktionen während des Spiels, die weiße Karte wird am Ende vom Schiedsrichter an das gesamte Team vergeben, wenn kein Spieler sich unfair verhalten hat. Das galt auch für das Verhalten außerhalb des Spielfeldes: Wenn einer aus der Mannschaft draußen in eine Schlägerei verwickelt war, konnte die ganze Mannschaft keine weiße Karte bekommen. Das hat vielen gezeigt, dass man nur als Mannschaft gemeinsam stark ist. Man konnte drei Tore schießen, aber wenn man nicht genug „Peace Points“ hatte, konnte man keinen Pokal gewinnen. Mittlerweile ist die Herkunft aus unterschiedlichen Stämmen kein Problem mehr innerhalb der Mannschaften.
Wie haben Sie dann die Mädchen ins Spiel gebracht?
2008 fühlte ich mich selbstbewusst genug, einzufordern, dass auch Mädchen mitspielen sollten. Und wieder hieß es: Das ist gegen unsere kulturellen Regeln. Zu dem Zeitpunkt hatte ich aber schon zwölf Mädchen zusammen getrommelt, die unbedingt spielen wollten. Ich nahm sie einfach mit auf den Platz. Das führte zu vielen Diskussionen und Streit, vor allem mit den Eltern. Ein Vater schlug mich, mitten auf dem Fußballfeld. Er schrie mich an: „Warum bringst du meine Tochter dazu, ihre Beine zu heben?“ Und ich sagte nur: „Dein Verhalten ist genau der Grund dafür, warum ich das tue.“
Hatten Sie in diesen Momenten Angst?
Nein, aber Respekt. Ich wusste: Diesmal waren alle gegen mich: Die Stammesältesten, die Eltern der Mädchen und sogar meine Jungs, die mich mittlerweile respektierten. Trotzdem organisierte ich Spiele für die Mädchen, einmal fuhren wir sogar 600 Kilometer nach Nairobi und verloren dort gegen eine andere Mädchenmannschaft 0:8. Einige Eltern waren sehr erbost über die Fahrt. Sie nahmen ihre Mädchen aus dem Team. Ich verlor sieben Spielerinnen, alle zwölf oder 13 Jahre alt. Sie wurden verheiratet. Und gingen dadurch auch nicht mehr zur Schule. Ich machte mir selbst große Vorwürfe.
Dachten Sie zu diesem Zeitpunkt ans Aufgeben?
Ich war verzweifelt, aber ich wusste immer, dass ich es wieder gutmachen muss. Ich musste die Mädchen irgendwie zurückholen. Ich beschloss, mit den Ehemännern meiner verlorenen Spielerinnen zu sprechen. Für viele war das jeweilige Mädchen schon die dritte oder vierte Frau. Immerhin überredete ich die Männer dazu, die Mädchen zurück in die Schule zu schicken. Nicht jedoch zurück zum Fußball, keine Chance. Da hatte ich mein größtes persönliches Tief und dachte: Vielleicht sind wir doch noch nicht weit genug für Mädchenfußball.
Wie haben Sie doch noch die Kehrtwende geschafft?
Eines Tages sprach ich mit einem örtlichen Imam, zu dem ich Vertrauen aufgebaut hatte. Ich erklärte ihm, dass wir alle von Fußballspielenden und somit selbstbewussteren Mädchen profitieren könnten. Er war skeptisch. Das ginge nur mit Kopftuch. Ich sagte: Klar, wir spielen die ganze Zeit schon mit Kopftuch. Ich zeigte ihm Fotos. Er verlangte aber auch lange Gewänder über den kurzen Hosen. Ich versprach es ihm. „Dann versuch es“, sagte er. Er würde mich unterstützen. Als nächstes redete ich mit den Müttern einiger Mädchen. Ich erklärte ihnen, was ich vorhatte und fragte: Was wollt ihr für eure Töchter? Wollt ihr eine unabhängige Zukunft für sie? Drei Mütter konnte ich überzeugen. Sie brachten ihre Töchter am nächsten Tag zum Trainingsplatz. Die Mannschaft wuchs.
Spielten Sie auch selbst mit?
Ja, ich spielte mit und das machte einen großen Unterschied. Die Mütter sahen mich als Vorbild für ihre Töchter. In der Hoffnung, dass die Mädchen auch besser in der Schule werden würden, überzeugten sie irgendwann auch die Väter.
Das war 2009. Wo stehen Sie und Ihre Organisation HODI (Horn of Africa Development Initiative) heute?
Gegenwärtig betreuen wir in der gesamten Region um Marsabit herum 348 Jugendmannschaften. 50 davon sind Mädchenmannschaften. Auf meinem Heimatplatz spielen mittlerweile mehr Mädchen als Jungs. Sie spielen in kurzen Hosen. Und gehen sogar in kurzen Hosen zum Training. Das Selbstvertrauen der Mädchen ist enorm gewachsen.
Woran machen Sie das fest?
Wir setzen all unseren Spielerinnen Ziele, die sie in der Schule erreichen sollen. Wir sprechen mit den Mädchen und Eltern auch über Beschneidung, eines der größten Tabuthemen in unserer Gesellschaft. Jedes Mädchen in Marsabit muss beschnitten werden. Wir haben es geschafft, dass mittlerweile zwölf Mädchen diesem Schicksal entgehen konnten. Viele meiner Mädchen haben mittlerweile das Selbstbewusstsein, sich zu Hause zu wehren und sich vor ihren Eltern für ihre Rechte einzusetzen. Mit zwölf Schulen arbeiten wir seit drei Jahren zusammen, 1044 Mädchen haben wir betreut. Keines von ihnen hat die Schule abgebrochen, keine ist schwanger geworden. Eine unserer Mannschaften hat es sogar zu einem nationalen Turnier geschafft. Das zeigt also: Fußball ist eine Lösung.
Sie waren die erste Frau in Nordkenia, die Jura studierte. Hat Ihnen Ihr Beruf als Anwältin bei Ihren Projekten geholfen?
Nicht direkt, aber es gibt Parallelen zwischen den beiden Jobs: Als Anwältin war ich die Stimme für meine Mandanten. Doch ich brauchte einen Fußballplatz, um mein Statement zu machen. Zu zeigen, dass Mädchen es schaffen können. Wenn ich eine Mandantin, die gegen ihren Willen verheiratet worden war, vertrat, war das Verbrechen ja schon geschehen. Aber die Frage ist doch: Was können wir tun, damit die Zwangsverheiratung gar nicht erst passiert? Fußball gab mir und den anderen Mädchen diese Möglichkeit.
Gibt es einen Fußballspieler, der Sie selbst inspiriert hat?
Zinedine Zidane. Er war so ein großartiger Spieler, ein Feingeist auf dem Platz. Ich liebte es, ihm zuzusehen. Bis er in seinem letzten Spiel diese rote Karte bekommen hat. Ich war dermaßen enttäuscht. Aber ich dachte mir auch: Er hatte nie die Chance, dieses Vergehen zu revidieren. Und da kam mir der Gedanke: Vielleicht müssen wir Gewalt nicht bestrafen, sondern Fairplay belohnen. Das inspirierte mich zur Einführung der grünen und weißen Karten.