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Seite 3: „Grundeinstellung: Es wird schon den Richtigen getroffen haben“

Wie waren die Fans unter­ein­ander ver­netzt? Privat hatte ja nicht jeder Telefon.
Viel lief des­halb über die Tele­fone bei der Arbeit und natür­lich münd­lich unter der Woche in Kneipen oder wo sich die Fans eben sonst regel­mäßig getroffen haben. Außerdem wurde es denen ja ein­fach gemacht, weil alles von den Ver­einen durch­or­ga­ni­siert wurde, zum Bei­spiel die Fahrt zu Aus­wärts­spielen mit Son­der­zügen, die teil­weise kos­tenlos war. Einige Fans haben aller­dings gesagt: Nee, da fahren wir nicht mit, da sind wir unter Beob­ach­tung. Des­halb gab es mit den Bezirks­stellen des MfS immer auch einen regen Aus­tausch vor den Spielen. Am Anfang der Spiel­tag­woche haben wir uns hin­ge­setzt, den Erkennt­nis­stand abge­gli­chen und den Kon­takt zur Polizei geknüpft. Bei Aus­wärts­spielen mit den Dienst­stellen vor Ort und mit der Trans­port­po­lizei, die in den Zügen zuständig war. Ich bin ja auch immer im Zug mit­ge­fahren.

Inko­gnito?
Würde ich nicht so bezeichnen.

Die Union-Fans kannten Sie?
Bei Zufüh­rungen war ich nicht dabei. Aber die wussten das schon, woher ich kam.

Haben die Sie ernst genommen?
Ich denke schon. Man hat gemerkt, dass sie uns immer vor­sichtig beob­ach­teten, was wir gerade machen. Wenn sie uns sahen, traten sie ein biss­chen kürzer.
 
Waren Sie bewaffnet?
Nein, wir sind ja immer zu zweit gefahren.

Gab es heikle Situa­tionen?
Eigent­lich nur einmal, jeden­falls bei uns, das war auf dem Bahnhof Lich­ten­berg. Es han­delte sich offenbar um ein Ver­sehen, weil uns die Fans nicht erkannt hatten. Wir standen an einer Treppe mit dem Rücken zu ihnen und sie wollten uns run­ter­schubsen. Als wir uns umdrehten, haben die, die uns kannten, die anderen zurück­ge­pfiffen. In dem Augen­blick war mir schon sehr mulmig. Na ja, brenzlig fand ich auch immer die Spiele BFC gegen Union im Sta­dion der Welt­ju­gend. Wenn da auf dem Rückweg bis zur S‑Bahn Fried­rich­straße plötz­lich hun­derte Fans los­rannten, dachte ich schon so bei mir: Jetzt soll­test du dir lieber ein sicheres Plätz­chen suchen.

Für Fans, die über die Stränge schlugen, gab es zum Teil dra­ko­ni­sche Strafen. Im Buch Sta­di­onpar­ti­sanen“ berichtet ein Union-Fan, dass er mal in Aue ver­haftet wurde und ein halbes Jahr in U‑Haft saß, ohne dass seine Mutter infor­miert wurde.
So eine lange U‑Haft, das gab es nor­ma­ler­weise nicht. Da muss er schon einen mäch­tigen Bock geschossen haben.

Ein halbes Jahr Knast ist eine ziem­lich fette Bestra­fung für einen Bock schießen, wie Sie sagen. Wofür gab es die?
In der Regel bei Kör­per­ver­let­zung, zum Bei­spiel von geg­ne­ri­schen Fans, und Wider­stand gegen Staats­ge­walt. Ver­mut­lich war es eine Kopp­lung von beidem.

Der Straf­ka­talog sah unter anderem vor: 1000 Mark Buß­geld für Beschä­di­gung im Zug, für einen tät­li­chen Angriff auf Ordner vier Monate Haft und für Belei­di­gung eines Poli­zisten sogar acht Monate.
Das kann hin­kommen.

Kann man das ver­gessen, wo Sie doch ständig mit sol­chen Dingen zu tun hatten?
Zu wel­chen Strafen jemand ver­ur­teilt wurde, gehörte nicht in unseren Auf­ga­ben­be­reich. Wir haben nach den Spielen von der Polizei immer eine Art Sta­tus­be­richt bekommen, wie viele Fans unter­wegs waren, wie viele Ord­nungs­wid­rig­keiten und Straf­taten begangen wurden. Um die Ermitt­lungen, die sich über Monate hin­zogen, küm­merte sich die Polizei, die die Täter auch vor die Haft­richter brachte.

Hielten Sie selbst so hohe Strafen für gerecht­fer­tigt oder haben Sie dar­über nicht nach­ge­dacht? 
Auf das Strafmaß hatten wir ja keinen Ein­fluss und in der Praxis war es ohnehin so, dass nur ein geringer Teil der Straf­taten wie Kör­per­ver­let­zung geahndet wurden, da die Ord­nungs­kräfte bei Fuß­ball­spielen nicht überall sein konnten. Des­halb gab es schon eine gewisse Grund­ein­stel­lung: Es wird schon den Rich­tigen getroffen haben. Wenn man auch noch wusste, dass es sich um einen bekannten Schläger han­delte, dem bisher nur nichts nach­ge­wiesen werden konnte, weil er nie erwischt wurde, dann hatte man, ehr­lich gesagt, kein Pro­blem damit, dass er ein halbes Jahr bekam. Wenn die ein Fan bekam, der einem anderen Fan nur eine Back­pfeife gab, dann wäre das natür­lich keine Rela­tion. Ich kenne so einen Fall nicht, halte den aber auch nicht für aus­ge­schlossen. Mit Sicher­heit hat es auch mal die Fal­schen getroffen.

Glauben Sie, die Fuß­ball­hoo­li­gans in der DDR wollten vor allem den Vor­bil­dern im Westen nach­ei­fern oder war das ein spe­zi­fi­sches Ost­ding?
Wohl beides. Man wollte sicher auch nach­ei­fern, zumal die Kon­takte ja zunahmen. Und man wollte wohl auch zeigen, wie gut man ist und dass man sich auch was traut.

Zum Bei­spiel im BFC-Sta­dion unter der Ehren­tri­büne, wo Erich Mielke saß, anti­se­mi­ti­sche und Anti-DDR-Sprüche rufen – quasi in der Höhle des Löwen. Etliche Black Eagles“-Mitglieder waren zuvor ledig­lich für ihr Punk­sein in den Knast gesteckt worden, wofür sie sich nun auf extreme Art am Staat rächten.
Diesen Zusam­men­hang haben wir gar nicht gesehen, Erich Mielke wohl erst recht nicht. Für den waren das alles Staats­feinde. Für uns waren es eher Jugend­liche, die sicher keinen gefes­tigten Stand­punkt zur DDR hatten bezie­hungs­weise nicht den erwünschten. Aber den größten Teil dieser Fans – das mag jetzt viel­leicht naiv klingen – emp­fanden wir ein­fach als fehl­ge­leitet. Manche wollten ein­fach nur ein Ventil. Selbst wenn die Borussen“-Fans Rep, Rep, Repu­bli­kaner“ gerufen haben, emp­fanden wir das als reine Pro­vo­ka­tion. Die wollten sehen: Was macht die Staats­macht jetzt?