25 Jahre Wiedervereinigung, das ist auch die Chance, das Gewesene besser zu verstehen. Unser Interviewpartner arbeitete jahrelang für die Stasi – und beobachtete den „rowdyhaften Anhang“ in Berlin.
Wie waren die Fans untereinander vernetzt? Privat hatte ja nicht jeder Telefon.
Viel lief deshalb über die Telefone bei der Arbeit und natürlich mündlich unter der Woche in Kneipen oder wo sich die Fans eben sonst regelmäßig getroffen haben. Außerdem wurde es denen ja einfach gemacht, weil alles von den Vereinen durchorganisiert wurde, zum Beispiel die Fahrt zu Auswärtsspielen mit Sonderzügen, die teilweise kostenlos war. Einige Fans haben allerdings gesagt: Nee, da fahren wir nicht mit, da sind wir unter Beobachtung. Deshalb gab es mit den Bezirksstellen des MfS immer auch einen regen Austausch vor den Spielen. Am Anfang der Spieltagwoche haben wir uns hingesetzt, den Erkenntnisstand abgeglichen und den Kontakt zur Polizei geknüpft. Bei Auswärtsspielen mit den Dienststellen vor Ort und mit der Transportpolizei, die in den Zügen zuständig war. Ich bin ja auch immer im Zug mitgefahren.
Inkognito?
Würde ich nicht so bezeichnen.
Die Union-Fans kannten Sie?
Bei Zuführungen war ich nicht dabei. Aber die wussten das schon, woher ich kam.
Haben die Sie ernst genommen?
Ich denke schon. Man hat gemerkt, dass sie uns immer vorsichtig beobachteten, was wir gerade machen. Wenn sie uns sahen, traten sie ein bisschen kürzer.
Waren Sie bewaffnet?
Nein, wir sind ja immer zu zweit gefahren.
Gab es heikle Situationen?
Eigentlich nur einmal, jedenfalls bei uns, das war auf dem Bahnhof Lichtenberg. Es handelte sich offenbar um ein Versehen, weil uns die Fans nicht erkannt hatten. Wir standen an einer Treppe mit dem Rücken zu ihnen und sie wollten uns runterschubsen. Als wir uns umdrehten, haben die, die uns kannten, die anderen zurückgepfiffen. In dem Augenblick war mir schon sehr mulmig. Na ja, brenzlig fand ich auch immer die Spiele BFC gegen Union im Stadion der Weltjugend. Wenn da auf dem Rückweg bis zur S‑Bahn Friedrichstraße plötzlich hunderte Fans losrannten, dachte ich schon so bei mir: Jetzt solltest du dir lieber ein sicheres Plätzchen suchen.
Für Fans, die über die Stränge schlugen, gab es zum Teil drakonische Strafen. Im Buch „Stadionpartisanen“ berichtet ein Union-Fan, dass er mal in Aue verhaftet wurde und ein halbes Jahr in U‑Haft saß, ohne dass seine Mutter informiert wurde.
So eine lange U‑Haft, das gab es normalerweise nicht. Da muss er schon einen mächtigen Bock geschossen haben.
Ein halbes Jahr Knast ist eine ziemlich fette Bestrafung für einen Bock schießen, wie Sie sagen. Wofür gab es die?
In der Regel bei Körperverletzung, zum Beispiel von gegnerischen Fans, und Widerstand gegen Staatsgewalt. Vermutlich war es eine Kopplung von beidem.
Der Strafkatalog sah unter anderem vor: 1000 Mark Bußgeld für Beschädigung im Zug, für einen tätlichen Angriff auf Ordner vier Monate Haft und für Beleidigung eines Polizisten sogar acht Monate.
Das kann hinkommen.
Kann man das vergessen, wo Sie doch ständig mit solchen Dingen zu tun hatten?
Zu welchen Strafen jemand verurteilt wurde, gehörte nicht in unseren Aufgabenbereich. Wir haben nach den Spielen von der Polizei immer eine Art Statusbericht bekommen, wie viele Fans unterwegs waren, wie viele Ordnungswidrigkeiten und Straftaten begangen wurden. Um die Ermittlungen, die sich über Monate hinzogen, kümmerte sich die Polizei, die die Täter auch vor die Haftrichter brachte.
Hielten Sie selbst so hohe Strafen für gerechtfertigt oder haben Sie darüber nicht nachgedacht?
Auf das Strafmaß hatten wir ja keinen Einfluss und in der Praxis war es ohnehin so, dass nur ein geringer Teil der Straftaten wie Körperverletzung geahndet wurden, da die Ordnungskräfte bei Fußballspielen nicht überall sein konnten. Deshalb gab es schon eine gewisse Grundeinstellung: Es wird schon den Richtigen getroffen haben. Wenn man auch noch wusste, dass es sich um einen bekannten Schläger handelte, dem bisher nur nichts nachgewiesen werden konnte, weil er nie erwischt wurde, dann hatte man, ehrlich gesagt, kein Problem damit, dass er ein halbes Jahr bekam. Wenn die ein Fan bekam, der einem anderen Fan nur eine Backpfeife gab, dann wäre das natürlich keine Relation. Ich kenne so einen Fall nicht, halte den aber auch nicht für ausgeschlossen. Mit Sicherheit hat es auch mal die Falschen getroffen.
Glauben Sie, die Fußballhooligans in der DDR wollten vor allem den Vorbildern im Westen nacheifern oder war das ein spezifisches Ostding?
Wohl beides. Man wollte sicher auch nacheifern, zumal die Kontakte ja zunahmen. Und man wollte wohl auch zeigen, wie gut man ist und dass man sich auch was traut.
Zum Beispiel im BFC-Stadion unter der Ehrentribüne, wo Erich Mielke saß, antisemitische und Anti-DDR-Sprüche rufen – quasi in der Höhle des Löwen. Etliche „Black Eagles“-Mitglieder waren zuvor lediglich für ihr Punksein in den Knast gesteckt worden, wofür sie sich nun auf extreme Art am Staat rächten.
Diesen Zusammenhang haben wir gar nicht gesehen, Erich Mielke wohl erst recht nicht. Für den waren das alles Staatsfeinde. Für uns waren es eher Jugendliche, die sicher keinen gefestigten Standpunkt zur DDR hatten beziehungsweise nicht den erwünschten. Aber den größten Teil dieser Fans – das mag jetzt vielleicht naiv klingen – empfanden wir einfach als fehlgeleitet. Manche wollten einfach nur ein Ventil. Selbst wenn die „Borussen“-Fans „Rep, Rep, Republikaner“ gerufen haben, empfanden wir das als reine Provokation. Die wollten sehen: Was macht die Staatsmacht jetzt?