Neulich noch galt Union als Abstiegskandidat Nummer eins, dann schlugen die Eisernen auf dem Transfermarkt zu wie einst Felix Magath auf Schalke. Zum Leidwesen der Aufstiegshelden?
Umfeld
Union macht ziemlich viel ziemlich gut. Das Stadion An der Alten Försterei, das von Anhängern mitgebaut wurde, besteht zu fast 80 Prozent aus Stehplätzen. Nach Toren erklingen keine den natürlichen Jubel plattwalzenden Remmidemmi-Jingles aus den Boxen. Der Stadion-DJ spielt auch mal Musik von The Cure oder Tocotronic. Ecken oder Freistöße werden nicht von Werbepartnern präsentiert. Und die Fans sind für ihren lautstarken Support bekannt. Kurzum: Es klingt alles wie ein romantisches Märchen inmitten einer turbokapitalistischen Fußballwelt. (Disclaimer: Siehe der Absatz „Trikot“).
Diese Atmosphäre zieht nicht nur alteingesessene Köpenicker, zugezogene Studenten, verkrachte Künstler und hektische Medienschaffende an, sondern auch Fußballfans aus Großbritannien, die im Premier-League-Spiel der Superreichen seit einigen Jahren nicht mehr mitmachen dürfen (oder können). Manchmal kommen über 200 Fans von der Insel rübergeflogen, nur um sich ein Spiel zwischen Union und Sandhausen anzugucken. (Bei Union gibt es mittlerweile sogar einen Mitarbeiter, der sich um Fans aus Großbritannien und Skandinavien kümmert). Die Rechnung der Fußballtouristen ist einfach: Flugticket 40 Euro, Eintrittskarte 12 Euro, Unterkunft im Hostel-Dorm 20 Euro. Macht insgesamt 72 Euro. Dafür bekommt man bei Arsenal oder Manchester City vielleicht ein halbes Ticket unterm Dach, wo man sich nicht mal über die ganzen Verbote (Rauchen, Alkohol, Stehen) aufregen kann – denn unflätige Sprache ist in englischen Stadien auch nicht mehr erlaubt.
Aber natürlich kann sich dieses zarte Biotop auch schlagartig verändern. Denn was ist, wenn Union seine Stadionpläne verwirklicht und die Kapazität auf 37.000 Plätze erweitert? Kommen dann statt der 200 Fans aus Großbritannien auf einmal 2000? Machen sich dann Berliner Airbnb-Touristen auf den Tribünen breit? Überlaufen die Modefans die Alte Försterei?
Trikot
Eine luxemburgische Immobilienfirma als Brustsponsor: Das ist so Berlin, oder? Nun, man kann es eher zynisch nennen, in einer Zeit, in der viele Berliner für bezahlbaren Wohnraum kämpfen, mit einem solchen Unternehmen zu werben. Von den Fans hagelte es zu Recht viel Kritik. Keine Kaufempfehlung für die Leibchen an dieser Stelle. Auch wenn das Heim- und das Auswärtstrikot schön schlicht in weiß und rot gehalten sind (sogar die Typografie des unpassenden Brustsponsors hält sich angenehm zurück). Bleibt nur die Hoffnung, dass man nie aufs Ausweichtrikot zurückgreifen muss, denn das sieht aus wie ein verschollenes Textil aus Marushas Gardebore vor ihrem ersten Loveparade-Auftritt. Wenn man lange genug auf die Quadratmuster schaut, sieht man vermutlich den 3D-Grundriss einer Traumwohnung im Kreuzberger Bergmannkiez, die man sich nur leisten kann, wenn man Spieler bei Hertha BSC ist.
11FREUNDE-Prognose
„Wenn wir drin bleiben, ist das wie der Gewinn der Meisterschaft!“, sagt Neven Subotic. Damit hat er nicht ganz Unrecht, allerdings ist das erste Jahr für Underdogs in der Bundesliga oft einfacher als das zweite. (Vgl. Darmstadt 98 und FC Ingolstadt in der Saison 2015/16). Oh, du schöne Euphorie.
Der Verein versteht es weiterhin recht gut, die Union-Familie zusammenzuhalten. So wurden etwa die Ticketpreise nicht erhöht. Außerdem wird man am ersten Bundesliga-Spieltag gemeinsam mit einer Banner-Aktion den verstorbenen Union-Fans gedenken, die „den historischen Spieltag nicht mehr selbst miterleben können“.
In den bisherigen sechs Testspielen blieb Union ohne Niederlage. Gegen Bröndby gewann die Mannschaft 2:1, gegen Wolfsburg spielte es 1:1‑Unentschieden.
Wenn Trainer Urs Fischer eine gute Mischung aus Neuen und Aufstiegshelden auf den Platz bringt, wird das Hochgefühl die Mannschaft durch die Saison tragen und einige Pseudo-Experten, die Union als Absteiger Nummer eins gesehen haben, alt aussehen lassen. So wie zum Beispiel den Autor dieser Zeilen, der Union in unserem Bundesliga-Sonderheft auf Platz 18 getippt hat und hier seine Meinung revidiert. Die neue Prognose lautet: Platz 15. Und selbst wenn es wieder runter geht, wird am Ende niemand sagen: „So ‚ne Scheiße, wir steigen ab!“
In einer alten Version des Textes haben wir geschrieben: „Viele Mitarbeiter standen früher selbst in der Kurve“. Das ist bei Union natürlich nicht möglich, denn es gibt keine Kurve. Wir haben den Satz korrigiert. Anm. d. Red.