Neulich noch galt Union als Abstiegskandidat Nummer eins, dann schlugen die Eisernen auf dem Transfermarkt zu wie einst Felix Magath auf Schalke. Zum Leidwesen der Aufstiegshelden?
Rückblick
„So ‚ne Scheiße, wir steigen auf!“, sangen die Fans vor zweieinhalb Jahren, als Union schon mal an die Tür zur Bundesliga klopfte. Das war leicht ironisch, aber hatte auch etwas Wahres: Denn nicht wenige Union-Anhänger finden die Zweite Liga ganz okay. Sie sehen das Unterhaus als natürlichen Lebensraum der Eisernen. Ein Aufstieg in die Bundesliga birgt die Angst, dass sinnlose Transfers getätigt werden. Dass Vereinsmitarbeiter größenwahnsinnig werden. Dass der Teamgeist verloren geht. Dass die Ideale für den schnellen Profit über Bord geworfen werden.
Die Sorge war damals unbegründet, denn Union ging vor der Zielgeraden die Puste aus. So wie auch 2018, als Union nach der Hinserie noch auf Platz vier der Zweiten Liga lag, aber am Ende nur Achter wurde.
Auch in der abgelaufenen Saison spielte Union dauerhaft oben mit, aber immer wieder ließ das Team etliche Big Points liegen. Wenn die Konkurrenz verlor, verloren auch die Köpenicker. Wenn die Konkurrenz Unentschieden spielte, gewannen die Unioner nicht. Oder anders: Das, was man 2018/19 in der Zweiten Liga verfolgen konnte, war kein Aufstiegsrennen, sondern ein Aufstiegsschleichen. Exemplarisch dafür der letzte Spieltag: Weil der Tabellenzweite Paderborn bei Dynamo Dresden verlor, hätte Union ein Sieg in Bochum für den direkten Aufstieg gereicht. Und was machten die Berliner? Stürzten die Fans in eine 90-minütige Achterbahn der Gefühle. Nach einem 0:2‑Rückstand schaffte das Team zwar noch ein 2:2, aber dabei blieb es.
Und dann kam Stuttgart.
Transfers
Felix Magath würde neidisch werden: So aktiv wie Union ist kaum ein anderer Klub auf dem Transfermarkt. Schon jetzt haben die Eisernen eine komplette neue Elf (+ Ersatzmann) verpflichtet. Kommt es also wirklich so, wie einige Anhänger befürchtet haben: Drehen sie ein wenig durch an der Alten Försterei? Nun, im Gegensatz zu Magaths ausgedehnten und beinahe wahnhaften Shoppingtouren auf Schalke, scheinen Unions Transfers sinnvoll. „Es sind gewollte Verpflichtungen, die vorbereitet waren“, sagte Manager Oliver Ruhnert dem „Tagesspiegel“.
Die bekanntesten Neuen sind die Bundesliga-erfahrenen Anthony Ujah (FSV Mainz 05), Christian Gentner (VfB Stuttgart) und Neven Subotic (AS Saint-Etienne). Der ehemalige Dortmunder, Deutscher Meister und Champions-League-Finalist, sagte der „BZ“: „Es wird eine Umstellung sein. Wir werden nicht so viele Spiele gewinnen, wie ich es gewohnt bin.“
Aber wie das so ist bei Bundesliganeulingen: Wenn viele Neue kommen, werden die verdienten Spieler und Aufstiegshelden Fragen haben. Werde ich noch wertgeschätzt, oder kann ich es mir in der Bundesliga auf der Tribüne bequem machen? Aktuell hat Union über 30 Spieler im Kader. Es liegt nun an Urs Fischer, dieses Riesengebilde gut zu orchestrieren – oder eine Trainingsgruppe 2 zu bilden. Aber das war in der Vergangenheit selten eine gute Idee.
Boss-Level
Was so besonders ist an Union? Viele Fans sagen, dass alles so familiär ist! Nun, sebst Fans von Riesenklubs wie dem FC Bayern oder Real Madrid sprechen von familiären Strukturen. Aber bei Union ist es ja wirklich so, die romantische Verklärung geht wie folgt: Viele Mitarbeiter auf der Geschäftsstelle, ein altes Forsthaus, waren früher Fans und standen selbst im Stadion. Sie sind – klaro! – Fans seit ihrer Geburt. Sie würden ihre Kinder, wenn die Standesämter nicht so streng wären, am liebsten „UNVEU“ nennen. Einige, so heißt es, seien über die Jahre immer wieder gekommen, und irgendwann war halt ein Platz im Forsthaus frei, also setzten sie sich dorthin.
Christian Arbeit ist etwa einer, der schon ewig dabei ist. Sein erstes Spiel sah er 1986 in der DDR-Oberliga, ein 1:1 gegen Vorwärts Frankfurt. 2006 wurde er Stadionsprecher und drei Jahre später Pressesprecher. Ein anderer, der quasi von der Kurve in die Geschäftsstelle wechselte, ist Präsident Dirk Zingler. In den Siebzigern besuchte er mit seinem Großvater die Spiele von Union, in seiner Schulzeit stand er in Block H. (Fun fact: Als das Relegationsrückspiel abgepfiffen wurde, saß er auf der Stadiontoilette). Präsident ist er seit 2004. Er machte alles mit, sogar die viertklassige Oberliga, als sich oft nur 1000 andere Verrückte im Stadion verirrten.
Zingler ist ein Mann mit Prinzipien und gewiss keiner, der es harmonisch haben muss. Als neulich das Gerücht kursierte, Hertha wolle das Spiel gegen Union auf den Tag des Mauerfalljubiläums verlegen, sagte er in der „Berliner Zeitung“: „Ehrlich gesagt, verstehe ich den Wunsch nicht. Für mich ist das ein Derby, das steht für Rivalität, für Abgrenzung. Und für Fußball-Klassenkampf in der Stadt.“
Man könnte nun sagen: Wir sind hier nicht in Karl-Marx-Stadt, Dirk! Aber eigentlich hat er ja Recht. Ein Fußballderby zu einer Art Freundschaftsspiel zu erklären, ist so, als würden Noel und Liam Gallagher Arm einen Bono-Charity-Song für Bob Geldorfs „Band Aid“ covern. So ehrenwert die Idee ist: Das kann niemand wollen, ein bisschen Abneigung muss sein!
Apropos: Rivalität. Arpopos: Jubiläum. Dieses Jahr jährt sich zum zehnten Mal das legendäre 11FREUNDE-Maskottchenrennen von 2009, bei dem Unions Ritter Keule Zehnter wurde und Herthinho disqualifiziert wurde. Wir plädieren für eine Wiederholung!