Eigentlich ging Liverpoolstar Michael Robinson nur nach Spanien, um seine Karriere ausklingen zu lassen. Dann aber wurde er der berühmteste Fußballkommentator des Landes. Nun ist er im Alter von 61 Jahren gestorben.
Vor ihm stehen die Vorspeisen im Restaurant „Castellana 179″ im Madrider Norden, Riesengarnelen im Teigmantel und iberischer Schinken, an den Wänden hängen schwere Ölgemälde. In Restaurants wie diesem genießen die Madrilenen das Schönste an ihrer Stadt: die Mittagspause. Andere Metropolen geben damit an, sie würden niemals schlafen. Madrid zelebriert das Innehalten, jeden Tag wieder von 14 bis 17 Uhr. Die Madrider Mittagspause ist eine Ode an die spanische Lust, bei einem ausgiebigen Essen zusammenzukommen und zu reden; zu schwelgen. Robinson hat die Madrider Kunst, zu Mittag zu essen, mit Enthusiasmus übernommen – und erst später wird klar, dass er sie nach all den Jahren noch immer mit einer recht britischen Vorstellung von einem guten Mahl kombiniert: Als die anderen Gäste gegen 17 Uhr zurück zur Arbeit gehen, fängt er an, Gin Tonic zu bestellen. Messer und Gabel benutzt er noch als Dirigentenstab, um seine Worte zu unterstreichen.
Wie kommt es also, Michael, dass ausgerechnet ein gelernter Fußballer Fußball im Fernsehen nicht wie gewohnt als plattes Spiel, sondern aus ungekannten Perspektiven zeigt? „Kellner, noch zwei Gin Tonic, bitte“, sagt Michael Robinson. Dann erzählt er seine Geschichte.
„Ich stehe nicht auf für die Queen“
Er war ein Stürmer im großen Liverpoolteam der Achtziger mit Ian Rush, Graeme Souness, Alan Hansen. „Kenny Daglish habe ich immer aus dem Programmheft vorgelesen, während er vor dem Spiel auf der Toilette saß.“ 1984 gewann er den Europacup, 24 mal spielte er für Irland, die Heimat seiner Mutter. Es war die Zeit des großen Klassenkampfes in England, Premierministerin Margaret Thatcher zerschlug den Sozialstaat und Michael Robinson, aufgewachsen als Sohn eines Bed & Breakfast-Besitzers in Blackpool, fühlte: „Als Liverpoolspieler musstest du für deine Fans, für die Arbeiterklasse gegen Thatcher kämpfen.“ Er ist bis heute ein bekennender Sozialdemokrat geblieben. „Ich stehe nicht auf für die Queen.“
Damals unter Thatcher erfasste ihn die Sehnsucht, weg zu wollen aus diesem Land. „John Lennon war mein Jesus Christus. Wenn die Beatles sangen, dachte ich, ihre Texte handelten von mir: Ich suchte auch mein ticket to ride, meinen Weg in die Welt.“ Von Liverpool war er zu den Queens Park Rangers gewechselt, als ihm ein belgischer Vermittler sagte, er könne ihn in Spanien bei Osasuna unterbringen. Robinson sagte zu, kaufte sich eine Landkarte und fand Osasuna nicht. „Ich dachte, es müsste ein sehr kleiner Ort sein.“ Er weilte schon zwei Tage bei seinem neuen Verein, als er seine Frau, die sich in der Stadt umgesehen hatte, fragte, wie Osasuna sei? „Osasuna existiert nicht“, sagte sie ihm. Was? Es sei nur der Name des Vereins. Die Stadt hieße Pamplona, informierte ihn seine Frau.
Da wunderte sich Robinson aber schon nicht mehr besonders. Im Hotel hatte ihn der Direktor begrüßt und am nächsten Morgen beim ersten Training stand jener Hoteldirektor im Trainingsanzug auf dem Fußballplatz. „Ich dachte, wow, was für eine Geste, der Direktor vergewissert sich höchstpersönlich, ob es Zimmer 128 auch gut geht im neuen Land.“ Es stellte sich jedoch heraus, dass der Hoteldirektor auch der Trainer war. Vor Robinsons erstem Spiel für Osasuna rief der Hotelfachmann-Trainer die Elf zusammen. Sie sollten ein Vaterunser beten. Sie verloren 1:4 gegen Athletic Bilbao. Robinsons Vater rief an, wie es denn so ginge. „Wir sind so schlecht, dass wir vor dem Spiel beten“, antwortete Michael. Sie vermieden im ersten Jahr den Abstieg und wurden dann zweimal Fünfter in der Primera División, „jeder Ball, der mir gegen den Kopf geschossen wurde, flog irgendwie ins Tor“, sagt Robinson und: „Kellner, noch zwei Gin Tonic, bitte.“ Das Restaurant ist nun außer uns leer.
Mit 32 beendete er seine Karriere, er dachte, er wisse, was er machen wollte, „ich sah mich ja als Bohemien. Drehbücher würde ich schreiben.“ Weil er im Filmgeschäft aber nur einen Freund im Rechtehandel kannte, begann er zunächst einmal damit, die Rechte für die Boxkämpfe des Promoters Don King in Europa zu verkaufen. Beim Verkaufsgespräch mit Alfredo Relaño, dem damaligen Sportchef von Canal Plus in Madrid, sagte dieser irgendwann, „hör mal, wir bauen ein neues Fußballprogramm auf, willst du da nicht mitarbeiten?“ – „Was passiert dann mit meinen Boxrechten?“ – „Die kaufe ich dir ab. Aber nur, wenn du bei uns unterschreibst.“
Das war vor zwanzig Jahren. Heute sprechen einige im spanischen Journalismus vom Robinsonismo, der speziellen Denkschule von ihm und seinem guten Dutzend Redakteure und Kameramänner, die mit ihm die längste Zeit zusammenarbeiten. In „El día después“, seiner ersten Sendung, erzählte der Nachbericht von Real Valladolid gegen Atlético Madrid schon einmal ausschließlich von einem Rentner, der sich im besten Anzug mit seiner Frau zu der Partie aufmachte. Nach 15 Spielminuten wollte der Mann mal kurz Chips kaufen gehen. Er verlief sich, fand seinen Platz nicht mehr, stürzte sich bei einem Tor seines Atléti wildfremden Menschen in die Arme und wurde, als er nach 65 Minuten endlich seine Frau wiederfand, von dieser sauber zusammengefaltet.