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Seite 2: Flucht vor Thatcher

Vor ihm stehen die Vor­speisen im Restau­rant Cas­tel­lana 179″ im Madrider Norden, Rie­sen­gar­nelen im Teig­mantel und ibe­ri­scher Schinken, an den Wänden hängen schwere Ölge­mälde. In Restau­rants wie diesem genießen die Madri­lenen das Schönste an ihrer Stadt: die Mit­tags­pause. Andere Metro­polen geben damit an, sie würden nie­mals schlafen. Madrid zele­briert das Inne­halten, jeden Tag wieder von 14 bis 17 Uhr. Die Madrider Mit­tags­pause ist eine Ode an die spa­ni­sche Lust, bei einem aus­gie­bigen Essen zusam­men­zu­kommen und zu reden; zu schwelgen. Robinson hat die Madrider Kunst, zu Mittag zu essen, mit Enthu­si­asmus über­nommen – und erst später wird klar, dass er sie nach all den Jahren noch immer mit einer recht bri­ti­schen Vor­stel­lung von einem guten Mahl kom­bi­niert: Als die anderen Gäste gegen 17 Uhr zurück zur Arbeit gehen, fängt er an, Gin Tonic zu bestellen. Messer und Gabel benutzt er noch als Diri­gen­ten­stab, um seine Worte zu unter­strei­chen.

Wie kommt es also, Michael, dass aus­ge­rechnet ein gelernter Fuß­baller Fuß­ball im Fern­sehen nicht wie gewohnt als plattes Spiel, son­dern aus unge­kannten Per­spek­tiven zeigt? Kellner, noch zwei Gin Tonic, bitte“, sagt Michael Robinson. Dann erzählt er seine Geschichte.

Ich stehe nicht auf für die Queen“

Michael Robinson

Er war ein Stürmer im großen Liver­pool­team der Acht­ziger mit Ian Rush, Graeme Souness, Alan Hansen. Kenny Dag­lish habe ich immer aus dem Pro­gramm­heft vor­ge­lesen, wäh­rend er vor dem Spiel auf der Toi­lette saß.“ 1984 gewann er den Euro­pacup, 24 mal spielte er für Irland, die Heimat seiner Mutter. Es war die Zeit des großen Klas­sen­kampfes in Eng­land, Pre­mier­mi­nis­terin Mar­garet That­cher zer­schlug den Sozi­al­staat und Michael Robinson, auf­ge­wachsen als Sohn eines Bed & Break­fast-Besit­zers in Black­pool, fühlte: Als Liver­pool­spieler muss­test du für deine Fans, für die Arbei­ter­klasse gegen That­cher kämpfen.“ Er ist bis heute ein beken­nender Sozi­al­de­mo­krat geblieben. Ich stehe nicht auf für die Queen.“ 

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Michael Robinson mit dem Euro­pa­pokal.

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Damals unter That­cher erfasste ihn die Sehn­sucht, weg zu wollen aus diesem Land. John Lennon war mein Jesus Christus. Wenn die Beatles sangen, dachte ich, ihre Texte han­delten von mir: Ich suchte auch mein ticket to ride, meinen Weg in die Welt.“ Von Liver­pool war er zu den Queens Park Ran­gers gewech­selt, als ihm ein bel­gi­scher Ver­mittler sagte, er könne ihn in Spa­nien bei Osa­suna unter­bringen. Robinson sagte zu, kaufte sich eine Land­karte und fand Osa­suna nicht. Ich dachte, es müsste ein sehr kleiner Ort sein.“ Er weilte schon zwei Tage bei seinem neuen Verein, als er seine Frau, die sich in der Stadt umge­sehen hatte, fragte, wie Osa­suna sei? Osa­suna exis­tiert nicht“, sagte sie ihm. Was? Es sei nur der Name des Ver­eins. Die Stadt hieße Pam­plona, infor­mierte ihn seine Frau.

Wir bauen ein neues Fuß­ball­pro­gramm auf, willst du da nicht mit­ar­beiten?“

Da wun­derte sich Robinson aber schon nicht mehr beson­ders. Im Hotel hatte ihn der Direktor begrüßt und am nächsten Morgen beim ersten Trai­ning stand jener Hotel­di­rektor im Trai­nings­anzug auf dem Fuß­ball­platz. Ich dachte, wow, was für eine Geste, der Direktor ver­ge­wis­sert sich höchst­per­sön­lich, ob es Zimmer 128 auch gut geht im neuen Land.“ Es stellte sich jedoch heraus, dass der Hotel­di­rektor auch der Trainer war. Vor Robin­sons erstem Spiel für Osa­suna rief der Hotel­fach­mann-Trainer die Elf zusammen. Sie sollten ein Vater­unser beten. Sie ver­loren 1:4 gegen Ath­letic Bilbao. Robin­sons Vater rief an, wie es denn so ginge. Wir sind so schlecht, dass wir vor dem Spiel beten“, ant­wor­tete Michael. Sie ver­mieden im ersten Jahr den Abstieg und wurden dann zweimal Fünfter in der Pri­mera Divi­sión, jeder Ball, der mir gegen den Kopf geschossen wurde, flog irgendwie ins Tor“, sagt Robinson und: Kellner, noch zwei Gin Tonic, bitte.“ Das Restau­rant ist nun außer uns leer.

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Michael Robinson im Trikot von Osa­suna.

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Mit 32 been­dete er seine Kar­riere, er dachte, er wisse, was er machen wollte, ich sah mich ja als Bohe­mien. Dreh­bü­cher würde ich schreiben.“ Weil er im Film­ge­schäft aber nur einen Freund im Rech­te­handel kannte, begann er zunächst einmal damit, die Rechte für die Box­kämpfe des Pro­mo­ters Don King in Europa zu ver­kaufen. Beim Ver­kaufs­ge­spräch mit Alfredo Relaño, dem dama­ligen Sport­chef von Canal Plus in Madrid, sagte dieser irgend­wann, hör mal, wir bauen ein neues Fuß­ball­pro­gramm auf, willst du da nicht mit­ar­beiten?“ – Was pas­siert dann mit meinen Box­rechten?“ – Die kaufe ich dir ab. Aber nur, wenn du bei uns unter­schreibst.“

Das war vor zwanzig Jahren. Heute spre­chen einige im spa­ni­schen Jour­na­lismus vom Robin­so­nismo, der spe­zi­ellen Denk­schule von ihm und seinem guten Dut­zend Redak­teure und Kame­ra­männer, die mit ihm die längste Zeit zusam­men­ar­beiten. In El día des­pués“, seiner ersten Sen­dung, erzählte der Nach­be­richt von Real Val­la­dolid gegen Atlé­tico Madrid schon einmal aus­schließ­lich von einem Rentner, der sich im besten Anzug mit seiner Frau zu der Partie auf­machte. Nach 15 Spiel­mi­nuten wollte der Mann mal kurz Chips kaufen gehen. Er ver­lief sich, fand seinen Platz nicht mehr, stürzte sich bei einem Tor seines Atléti wild­fremden Men­schen in die Arme und wurde, als er nach 65 Minuten end­lich seine Frau wie­der­fand, von dieser sauber zusam­men­ge­faltet.