Im April 2018 kam es in einem Fanzug von Borussia Mönchengladbach zu einer mutmaßlichen Vergewaltigung. Kürzlich wurde der Tatverdächtige freigesprochen. Warum das ein fatales Signal ist, und was Fans und Vereine tun können, erklärt Sue Rudolph vom „Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt“.
Sue Rudolph, Anfang 2019 hat sich das „Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt“ gegründet. Gab es dafür einen konkreten Auslöser?
Am 14. April. 2018 gab eine Frau bei der Polizei an, in der Toilette eines Fanzuges von Borussia Mönchengladbach vergewaltigt worden zu sein. Die Betroffene hatte damals ihre Eltern angerufen, die daraufhin die Polizei informierten, sodass der Fanzug gestoppt und der Täter ermittelt werden konnte. Allerdings hat nicht jede/r so ein gutes Verhältnis zu den Eltern. Was also tun wenn so etwas im Sonderzug passiert? Viele Fans wissen nicht, an wen sie sich wenden können, wenn sie Opfer von Sexismus oder sexualisierter Gewalt werden. Mit dem internationalen Netzerk F_in – Frauen im Fussball, in dem ich auch aktiv bin, haben wir im Zuge der „Me too“-Kampagne auch Frauen im Fußball gebeten, uns ihre Erlebnisse zu schildern und waren erschrocken, wie sehr Sexismus und sexualisierte Gewalt noch immer auch zum Alltag von Frauen im Stadion gehört. Wir wollen Strukturen schaffen und für das Problem sensibilisieren.
Wie hat sich der Fall im Gladbacher Fanzug entwickelt? Wurde der Täter verurteilt?
Zunächst wurde der Angeklagte schuldig gesprochen und zu einer Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten wegen dieser Vergewaltigung und einer gefährlicher Körperverletzung gegen eine andere Person verurteilt. Allerdings wurde das Urteil nun in der zweiten Instanz zurückgenommen und der Mann freigesprochen. Nach Ansicht der Strafkammer war für den Mann nicht ersichtlich, dass die Frau keinen Sex wollte. Wir sind schockiert über dieses Urteil und die Botschaft, die es an von sexualisierter Gewalt Betroffene sendet. Gerade Fälle wie dieser zeigen, wie wichtig unsere Arbeit ist und das es noch viel zu tun gibt.
Kürzlich hat die Sportschau alle 54 Profivereine von der ersten bis zur dritten Liga nach Fällen sexualisierter Gewalt bei Spielen der eigenen Teams in den Saisons 2018/2019 und 2019/2020 befragt. Insgesamt ergab die Anfrage mindestens 21 und maximal 22 registrierte Vorfälle sexualisierter Gewalt an Spieltagen deutscher Fußballvereine in den drei ersten Ligen. Wie bewerten Sie diese Zahlen?
Vorweg ist festzuhalten, dass es keine validen Zahlen gibt, da Fälle von sexualisierter Gewalt derzeit weder von Vereinen noch der Polizei separat dokumentiert werden. Als „F_in – Netzwerk im Fußball“ haben wir bereits 2018 eine anonyme Befragung durchgeführt. Dabei haben wir Klubs, Fanvertreter und Fanprojekte von der Bundesliga bis runter in die Regionalligen zu Fällen sexualisierter Gewalt befragt. Die Hälfte der Befragten gab an, dass sie bis 2018 mindestens einmal wegen eines Vorfalls kontaktiert wurden. Vermutlich liegt die Dunkelziffer aber noch viel höher.
„Frauen wird unterstellt, ihre Erlebnisse erfunden zu haben. Oder ihnen wird gesagt, sie sollten sich nicht so anstellen, es sei doch nicht so gemeint gewesen“
Woran liegt das?
Sexismus und vor allem sexualisierte Gewalt sind in vielerlei Hinsicht noch immer ein Tabuthema. Gerade männlich geprägte Strukturen wie der Fußball tun sich häufig schwer damit, es von sich aus auf die Agenda zu setzen. Kampagnen wie „Me too“ haben deutlich gemacht, wie sehr zum Teil auch das Bewusstsein dafür fehlt. Frauen wird unterstellt, ihre Erlebnisse erfunden zu haben. Oder ihnen wird gesagt, sie sollten sich nicht so anstellen, es sei doch nicht so gemeint gewesen. Und das nicht nur von Männern. Es gibt auch viele Frauen, die schon länger dabei sind, die sich so desensibilisiert haben, dass sie der festen Überzeugung sind, noch nie Sexismus oder sexualisierte Gewalt im Fußballkontext erlebt zu haben und leider sehr unsolidarisch reagieren. Manche Frauen haben auch Angst, dass ihre Position bei ihren männlichen Kollegen gefährdet wird, sobald sie etwas sagen. Doch wenn man mit ihnen ins Gespräch kommt oder sie einen Workshop zum Thema besuchen, berichten oft die Menschen die meisten Vorfälle, die vorher geglaubt haben, so etwas noch nicht erlebt zu haben. Es gibt also selbst bei Frauen noch nicht immer das Bewusstsein – und bei Männern häufig noch weniger. Das wollen wir mit dem Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt ändern.
Wie kann das gelingen? Wo setzen Sie an?
Da es bislang kaum valide Daten zu der Problematik gibt, haben die Fanorganisation „Unsere Kurve“, das Netzwerk „F_in – Frauen im Fußball“ und die „Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte“ zunächst gemeinsam eine Umfrage „Zum Umgang mit Sexismus, sexualisierter Belästigung und Gewalt im Kontext Fußball“ und damit verbundenen Herausforderungen unter den verschiedenen Akteuren im Fußball initiiert, um in Erfahrung zu bringen, wie Vereine, Fanprojekte und Fangruppen mit diesen Problemen umgehen und welchen Handlungsbedarf sie sehen. Anhand der zentralen Ergebnisse der Umfrage konnten wir eine Übersicht zum aktuellen Bedarf, den Positionierungen und gewünschten Handlungsformen entwickeln.