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Seite 3: Die wilde Flucht

Als Heleno, das Genie, den ent­schei­denden Elf­meter ver­schießt, der Bota­fogo die Meis­ter­schaft kostet, geht er, zorn­be­bend wie nie, auf die Team­kol­legen los, sie haben es ver­bockt, wer sonst, am Ende sitzt er einsam unter der Dusche, neben ihm nur noch ein pitsch­nasses Ego.

Gilda! Gilda!“, rufen ihm längst die geg­ne­ri­schen Fans hin­terher, und meinen: die neu­este Rolle von Rita Hay­worth, quasi: ori­ginal drama queen. Sie haben den wunden Punkt erkannt: die Männ­lich­keit. Den Zorn. Das Ich.

Und dann sitzt ihm sein Prä­si­dent Car­lito Rocha gegen­über. Heleno hört die Worte nicht, die aus seinem Mund kommen: Du bist ein Star, aber wir ver­kaufen dich an Boca.“ Wie? Boca?

Wie in Trance schleicht Heleno in die Kabine. Da geht er“, ätzt einer der Nichts­könner: Der, der vergaß, dass er nur ein Fuß­ball­spieler war.“ Aber Heleno kann, muss auch hier noch einen drauf­setzen. Ich bin kein Fuß­ball­spieler“, zischt er, ich bin ein Bota­fogo-Spieler.“

Woher die Wut, Heleno?

Und auf wen?

Argen­ti­nien jeden­falls wird ein Desaster, das erste von vielen. Zum Trai­ning erscheint der Prinz von Rio im langen Win­ter­mantel, schwei­ne­kalt ist ihm. Die anderen schüt­teln nur den Kopf. Die Dämonen, er trifft sie jetzt, in dem kalten Land mit der harten Sprache, immer öfter. Frau und Kind hat er daheim gelassen, der Ein­sam­keit begegnet er mit neuen Exzessen. Natür­lich ver­kehrt er auch hier in den besten Kreisen. Selbst Evita Peron, die schöne First Lady, soll ihm ver­fallen sein, ihm und seinen wun­derbar trau­rigen Augen.

Er schießt sich selbst in den Fuß

Bei der Heim­kehr ein Jahr später hat ihn seine Frau ver­lassen, für einen Team­kol­legen, seinen besten Freund. Helenos Reak­tion, mitten im Prunk seines Apart­ments: Dann ver­kaufe ich diese Bruch­bude und ziehe ins Copa­ca­bana Palace, wo ich hin­ge­höre.“ Statt­dessen schießt er sich im nächsten Rausch erst einmal selbst in den Fuß, er will wie John Wayne ein Streich­holz zwi­schen seinen Zehen treffen.

Wohin nun? Vasco da Gama erbarmt sich seiner, Heleno ist hier nur noch ein Spieler wie jeder andere. Die Meis­ter­schaft, ein schwa­cher Trost. Die Familie kaputt, Kon­takt zu seinem Sohn ist ihm ver­boten, und auch die Copa­ca­bana ist eine andere geworden. Der Hotel­pa­last wird jetzt von drei Seiten über­ragt von immer neuen Hoch­häu­sern, acht, zehn, zwölf Stock­werke hoch. Die Stadt am Strand wächst immer schneller, will immer höher hinaus, sie strebt dem stei­nernen Jesus ent­gegen. Das Mara­canã ist fast fertig, bald beginnt die WM, doch Natio­nal­trainer Flavio Costa denkt nicht daran, sich ein Pro­blem namens Heleno in den Kader zu holen.

Ich kann Wunder tun“

Es folgt eine wei­tere Flucht. Nach Kolum­bien, ein Land am Rande des Bür­ger­kriegs, in dem unver­hofft die lukra­tivste Liga Latein­ame­rikas ent­standen ist. Die Rebel­len­liga. El Dorado, so nennt sie sich. Wie pas­send. Eine glit­zernde Schein­welt inmitten des Chaos. Eine Welt, wie gemacht für unseren Heleno.

Ich kann Wunder tun“, ver­kündet er gleich bei seiner Ankunft. Und der 22 Jahre alte Lokal­jour­na­list García Már­quez schreibt fleißig mit. An guten Tagen stellt Heleno die anderen Stars in den Schatten, dar­unter einen gewissen Alfredo di Sté­fano. An schlechten …

Die große WM findet ohne ihn statt. Und Bra­si­lien ver­liert das ent­schei­dende Spiel gegen Uru­guay 1:2 – ein 1:1 hätte zum Titel gereicht. Vom Sieg­treffer des Alcides Edgardo Ghiggia, der an diesem 16. Juli 1950 das rie­sige Sta­dion zum Schweigen bringt und eine Nation in den Schock­zu­stand ver­setzt, erfährt Heleno de Freitas, Ex-Held im Exil, erst am fol­genden Tag aus der Zei­tung. Noch einmal bricht sich der bit­tere Zorn Bahn. Mit ihm wäre das nicht pas­siert, unmög­lich, aus­ge­schlossen.

Er ist ja keiner, der auf Unent­schieden spielt! Der wütende Prinz zieht in die süße Nacht, trinkt, raucht, vögelt, und fasst dann, die Sinne noch halb betäubt, neue, noch einmal die ganz großen Pläne. Er wird zurück­kommen und es allen noch mal zeigen. Doch was sich der­einst der kranke Ali gegen Larry Holmes vor­nehmen wird, kann auch 30 Jahre früher nicht klappen.