Borussia Mönchengladbachs Saison ist weder Fisch noch Fleisch. Dabei krankt es seit knapp zwei Jahren schon an den gleichen Problemen. Nun droht ein gravierender Umbruch. Was ist los am Borussia Park?
Nur etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass Roland Virkus die Nachfolge von Max Eberl in Mönchengladbach antrat. Der im Profifußball weitestgehend Unbekannte bekam die schwierige Aufgabe zugetragen, den Klub aus dem Schockzustand zu verhelfen und in eine sichere Zukunft zu führen. Nun, im März 2023, lässt sich festhalten: Hat bislang nicht so gut geklappt. Denn die Borussia spielt eine Saison zum Wahnsinnigwerden. Und immer deutlicher wird, wie viel auf der Großbaustelle am Niederrhein für Roland Virkus noch zu tun ist.
Denn schon zum Zeitpunkt seiner Einstellung kriselte es in Mönchengladbach. Adi Hütter brachte nicht die erhofften Erfolge nach dem schwierigen Ende unter seinem Vorgänger Marco Rose. Zudem kristallisierte sich immer mehr heraus, dass wertvolle Spieler wie Marcus Thuram oder Ramy Bensebaini ihre Verträge eher nicht verlängern würden. Ein Jahr später sind besagte Spieler immer noch da. Und die Probleme im Klub allgegenwärtig. Im Jahr 2023 hat Gladbach unter anderem 1:4 bei Hertha BSC verloren und wurde 0:4 in Mainz verhauen, nur um dazwischen 3:2 gegen Bayern München zu gewinnen. Geht es gegen große Gegner, das zeigt der Saisonverlauf, ist die Borussia voll da. Geht es aber gegen Kellerkinder oder Mannschaften, die mehr über den Kampf als über das Spiel kommen, fällt Gladbach regelmäßig zusammen. Es fehlt an Widerstandsfähigkeit. Das sieht auch Trainer Daniel Farke so: „Darüber haben wir ja schon oft gesprochen, dass wir diese Qualität definitiv hinzufügen müssen. Sonst ist es einfach schwierig, dass du diese engen Spiele, wo auch mal ein Momentum gegen dich läuft, auf deine Seite ziehst.“
Dabei fehlt der Borussia in erster Linie die Bereitschaft, gemeinsam als Kollektiv gegen den Ball zu arbeiten. Und das nicht nur aktuell. Seit Beginn der Saison 2020/21 hat Gladbach in 90 Ligaspielen 156 Gegentore kassiert. Schon gegen Ende der Ära Rose und unter Adi Hütter hatte das Team immer wieder mit ähnlichen Probleme zu kämpfen. Die Zahl der „Klatschen“, die Borussia in diesem Zeitraum kassierte, sollte auch den Verantwortlichen des Klubs zu bedenken geben: 0:6 zu Hause gegen Freiburg. 0:6 in Dortmund. 1:5 in Bremen oder aktuell acht Gegentore aus zwei Auswärtsspielen bei Hertha BSC und Mainz 05.
So ist die Borussia bei abgefangenen Bällen das zweitschlechteste Team der Liga, ebenso bei der Anzahl der geführten sowie der gewonnenen Zweikämpfe. Bei Abwehraktionen im Angriffsdrittel sind sie Vorletzter, im mittleren Drittel sogar Letzter. Zudem ist Gladbach im Gegenpressing das schwächste Team der Liga und lässt hinter den Abstiegskandidaten Augsburg, Bochum und Schalke die viertmeisten Torschüsse aufs eigene Tor zu. Mit solchen Zahlen wird es nahezu unmöglich, sich für Europa zu qualifizieren. Zwar verhindert die Qualität im Spiel nach vorne stets ein Abrutschen in den Abstiegskampf. Doch damit könnte schon bald Schluss sein.
Denn große Namen wie Marcus Thuram oder Ramy Bensebaini werden den Verein ziemlich sicher ablösefrei verlassen. Alassane Pléa und Jonas Hofmann haben zwar erst kürzlich ihre Verträge verlängert, sollen aber laut „Sport Bild“ im kommenden Sommer über Ausstiegsklauseln verfügen. Sollte der Klub zum dritten Mal in Folge den europäischen Wettbewerb verpassen, könnte es auch dort nochmal heißer bezüglich möglicher Wechsel werden. Und auch Manu Koné könnte im Sommer den Absprung machen. Er ist aktuell einer der wenigen Spieler im Kader der Fohlen, der dem Klub eine hohe Ablöse generieren könnte. Ein Verkauf könnte nötig sein, um beim anstehenden Kaderumbruch größere finanzielle Möglichkeiten zu haben.
Genauso ungewiss ist die Zukunft von Kapitän Lars Stindl. Sein Arbeitspapier endet ebenfalls im kommenden Sommer, eine Verlängerung konnte der Klub bis dato nicht vermelden. Der 34-Jährige hatte seiner Familie eigentlich versprochen, nach Ablauf des laufenden Kontrakts zurück in die Heimat bei Karlsruhe zu ziehen. Gladbach will unbedingt mit ihm verlängern. Stindl zögert aber noch, weil er wissen will, wie die Gesamtausrichtung des Klubs in den kommenden Jahren und der Umbau der Mannschaft aussehen wird: „Ich habe den Verantwortlichen auch meine Meinung dazu ganz klar mitgeteilt.“ Aussagen, die belegen, dass der Status Quo der Borussia auch ihren langjährigen Kapitän unzufrieden stimmt.
Für einen erfolgreichen Umbruch benötigen Roland Virkus und sein Team ein glückliches Händchen bei den Transfers im kommenden Sommer. Ein glückliches Händchen, das der Verein unter Max Eberl jahrelang hatte, aber schon gegen Ende der Ära Eberl nach und nach verlor. Seit der Saison 2020/21 hat Borussia Mönchengladbach ein Transferminus von knapp 22 Millionen Euro vorzuweisen. Ligaweit stehen nur Bayern München und der VfL Wolfsburg noch schlechter da. Das noch viel größere Problem ist aber: Die getätigten Investitionen rentierten sich in den meisten Fällen nicht. Der sportliche Erfolg vergangener Jahre blieb aus.
Trainer Adi Hütter kostete die Elf vom Niederrhein im Sommer 2021 etwa 7,5 Millionen Euro. Nach einer Saison war er wieder weg. Hannes Wolf kam für knapp 10 Millionen Euro. Nach einer Leihe zu Swansea City hat er in dieser Saison immerhin elf Ligaeinsätze vorzuweisen, gerechtfertigt hat er seine Ablöse bis dato aber nicht mal im Ansatz. Im Januar 2022 verstärkte sich Gladbach zudem mit Marvin Friedrich von Union Berlin. Kostenpunkt: 5,5 Millionen Euro. Nur ein Jahr später liebäugelte er bereits wieder mit seinem Abgang. Gerüchten zufolge soll der Innenverteidiger im abgelaufenen Transferfenster erfolglos um seine Freigabe gebeten haben. Und im vergangenen Sommer gaben die Fohlen für Nathan Ngoumou und Oscar Fraulo zusammen ca. 10 Millionen Euro aus. Fraulo kommt aktuell lediglich in der U23 zum Einsatz. Und Ngoumous Bilanz sieht für einen Preis von acht Millionen Euro ebenfalls ziemlich ernüchternd aus: 12 Liga-Spiele, kein Tor und keine Vorlage.
Grundsätzlich ist aber ein klarer Trend erkennbar: Während fast alle Klubs ohne externen Geldgeber spätestens seit der Pandemie nach günstigen, im Idealfall ablösefreien Spielern auf der Suche waren, wurde am Niederrhein das Geld, das der Klub sich über Jahre erwirtschaftet hatte, verbrannt. Umso schwieriger wird es deshalb, die bevorstehenden Abgänge aufzufangen.
Mit dem Geld, das Roland Virkus laut Klubangaben in nächster Zeit zur Verfügung haben wird, wird er mit großer Wahrscheinlichkeit keine Spieler mit der individuellen Klasse von Ramy Bensebaini oder Marcus Thuram bekommen. Einen Qualitätsverlust wird der bevorstehende Umbruch am Borussia Park also ziemlich sicher mit sich bringen. Doch ein Qualitätsverlust muss für Verein und Fans nicht gleich mit einem Identifikationsverlust einhergehen. Beim Blick auf die Liga wird immer deutlicher, dass Mentalität oft Qualität schlägt. Und beim Anblick ihrer Mannschaft werden sich Fans von Borussia Mönchengladbach aktuell nichts sehnlicher wünschen, als ein Team, das auf dem Platz kämpft, kratzt und beißt. Und sich nicht einfach dem Schicksal ergibt.
Trainer Daniel Farke, dessen Spielidee des erfolgreichen Ballbesitzfußballs bisher nur selten erkennbar ist, kündigte schon an, dass es zwei oder drei Transferperioden dauern könne, bis er einen Kader nach seinen Idealvorstellungen zur Verfügung habe. Dabei wird er selbst wissen, dass er diese Zeit im Geschäft Bundesliga wohl kaum bekommen wird. Schon in der nächsten Saison sollte seine Philosophie deutlich häufiger auf dem Platz zu sehen sein, sonst könnte es früher oder später auch für ihn eng werden. Denn aktuell wird Farke nicht müde, das Narrativ der „untrainierbaren Mannschaft“ nach jedem schlechtem Spiel mantraartig vorzutragen: „Wir sind nicht so gut, dass wir die Saison in den Top-Sechs abschließen können, das wird nicht passieren.“
Nach Marktwert steht die Borussia aber nach wie vor auf dem sechsten Platz der Tabelle, auch der Trainer hat an der aktuellen sportlichen Lage also seine Anteile. Weder bekommt er die Defensivprobleme seiner Mannschaft in den Griff, noch besteht das Gefühl eines echten Konkurrenzkampfes. Farke bleibt einstigen Leistungsträgern wie Nico Elvedi treu, obwohl sie in der Realität teils katastrophal performen. Das Leistungsprinzip scheint außer Kraft gesetzt. Das macht sich auch bei seinen Einwechslungen bemerkbar. Kein Trainer nutzt seinen Kader im Spielverlauf so wenig wie Farke. Wechsel finden häufig erst dann statt, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.
Auch in der Kommunikation nach außen agiert er oft unglücklich. So ist beispielsweise Marcus Thuram für ihn „der beste Stürmer der Liga“, und Nico Elvedi „einer der besten Innenverteidiger in Europa, wenn er in einem Top-Flow ist.“ Wird er nach einzelnen Spielern gefragt, lobt er sie häufig überschwänglich. Beschreibt er jedoch seine Mannschaft als Gesamtkonstrukt, ist sie nicht gut genug für eine mögliche Teilnahme am internationalen Wettbewerb. Viele Fans werfen ihm zudem häufig Schönrednerei nach Niederlagen vor.
Borussia Mönchengladbachs Negativtrend der letzten zwei Jahre hat viele Gesichter. Präsidium, Sportdirektoren, Trainer. Sie alle tragen die Verantwortung und stehen in den kommenden Monaten vor der schwierigen Aufgabe, die Mannschaft und den Verein neu aufzustellen. So oder so scheinen die fetten Jahre am Niederrhein aber erstmal vorbei.
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