Weltmeistercoach, Kosmetik-Testimonial, der Jogi: Joachim Löws öffentliches Bild hat viele Facetten, seine Bekanntheit tendiert gen hundert Prozent. Und dennoch ist er nach 14 Jahren als Bundestrainer für die meisten ein Mysterium. Ein Glückwunsch zum 60. Geburtstag.
Jogi Löw hat mal gesagt, ihm sei nur allzu bewusst, welche besonderen Beschwernisse sein Amt mit sich bringe. Dass er in ständiger Gewissheit lebe, nur wirklich er selbst zu sein, wenn er sich in den eigenen vier Wänden bewege. Sobald die er die Wohnungstür von außen hinter sich schließe, sei er nicht mehr Jogi, der Privatmann, sondern werde zum Nationalcoach. Zu einem Mann, der die Hoffnungen und Träume, aber auch den Frust und die Besserwisserei von 84 Millionen schultern und in zivilisierte Bahnen lenken muss.
Man mag über Joachim Löw denken, wie man will, aber in seinen 14 Jahren als Bundestrainer ist er dieser hohen Verantwortung mit einer an Selbstverleugnung grenzenden Disziplin stets gerecht geworden. Wir alle kennen Interviews mit ihm nach schmählichen Niederlagen, die er mit seinem Badeschaum-Duktus und den kaugummiartigen „Auuu“-s und „Schooo“-s wie Trainingsspiele wegmoderierte und seine Spieler derart in Schutz nahm, dass man als Zuschauer fast Gewissenbisse bekam, die Leistungen der Mannschaft zuvor derart negativ beurteilt zu haben. Keinem DFB-Coach vor ihm ist es gelungen, die Rolle des sportlichen Leiters und der Medienfigur so öffentlichkeitswirksam auszuformen und dabei stets ein Mysterium zu bleiben.
Als Trainer wirkt Löw stets wie der Chef eines wissenschaftlichen Laboratoriums. Niemand würde sich wundern, wenn er im weißen Kittel auf den Rasen träte, um seinen Assis mit nachsichtigem Schwarzwälder-Blick Datensätze in die Laptops zu diktieren. Die meisten seiner Vorgänger waren Übungsleiter in Ballonseide. Bei Männern wie Berti Vogts, Jupp Derwall oder Rudi Völler sah es bei der Ausübung ihres Nationaltraineramtes aus, als hätten sie nur kurz mal die Spieler-Klamotten ausgezogen. Wenn sie vor die Kamera traten, hatte man vor der Glotze den Geruch von Bohnerwachs und trockenem Herrenschweiß in der Nase. Erst Löws Förderer Klinsmann widmete den Typus Bundestrainer zum modernen Unit-Manager und Daten-Junkie um. Doch auch er blieb im Kern der überehrgeizige Ex-Profi, der „die Polen durch die Tür treten“ wollte oder Siege als „brutal“ wichtig erachtete.
Erst Löw hievte die Wahrnehmung seines Amtes auf eine neue Ebene. Spricht er über Spieler, drängt sich oft der Eindruck auf, es handle sich um hochentwickelte Avatare made in germany. Menschenroboter, empathisch, sensibel und sympathisch, bei denen es nur eine Frage der Zeit und Pflege durch das Trainerteam sei, bis diese zu voller Entfaltung kämen. Widerspruch zwecklos! Im sanften Sound des verständigen Psychologen verstrahlt er die Überzeugung, stets die volle Kontrolle über die Situation zu besitzen. Selbst nach dem katastrophalen Abschneiden bei der WM 2018 gelang es ihm, das Vorrunden-Aus in öffentlichen Verlautbarungen aussehen zu lassen, als sei ihm nur mal eben das Behältnis mit dem Nivea-Duschgel ins Klo gefallen und für die EURO in zwei Jahren habe er garantiert noch ein Fläschchen im Badschränkchen. Das schafft nur einer!