Kevin-Prince Boateng ist im Sommer zu Hertha BSC und nach Berlin zurückgekehrt – dorthin, wo alles begonnen hat. Was hat er seiner Mannschaft bisher gegeben?
Pal Dardai hat in seiner Zeit als Trainer bei Hertha nie ein böses Wort über Boateng und seine eingeschränkte Leistungsfähigkeit verloren. Als er nach dem Auswärtsspiel in Leipzig gefragt wurde, warum Boateng nicht zum Einsatz gekommen sei, gab Dardai offen zu, dass es eine gemeinsame Entscheidung gewesen sei. Wenn es schnell und intensiv wird, ist Boateng schnell verloren. Das weiß er selbst.
„Ich bin nicht gekommen und sage, ich bin Prince Boateng, ich muss jedes Spiel spielen“, hat er vor der Saison erklärt. Als Hertha am Sonntag gegen den 1. FC Köln in die Rückrunde startete, nahm Boateng erneut auf der Ersatzbank Platz. Im fortgeschrittenen Alter ist er eher ein Spieler „für Phasen“, wie Bobic sagt.
Schon Dardai musste sich jede Woche aufs Neue entscheiden, ob Boateng der Mannschaft mehr hilft, wenn er von Anfang an spielt oder wenn er für die Schlussphase aufs Feld kommt, um ein Spiel in aller Ruhe zu Ende zu bringen. Daran hat auch der Trainerwechsel wenig geändert. „Für mich als Trainer wird es wichtig sein, dass ich die richtigen Momente für ihn finde“, sagt Dardais Nachfolger Tayfun Korkut. So wie bei seinem Debüt Anfang Dezember. Hertha lag 1:2 beim VfB Stuttgart zurück, knapp 20 Minuten waren noch zu spielen. „Wir hatten das Spiel unter Kontrolle, wir hatten Ballbesitz. Da hat man gesehen, dass er auf dem Platz die Verantwortung übernehmen und seine Leistung abrufen kann“, sagt Korkut.
Dass Boateng über besondere fußballerische Fähigkeiten verfügt, wird niemand bestreiten. Aber er hat eben auch einen Hang zum Exaltierten. Den Ball mit der Sohle hinter dem Standbein zu spielen, gern auch einen knappen halben Meter über dem Boden, das beherrscht er immer noch in Perfektion. Auch das Gefühl für das Spiel als solches ist weiterhin vorhanden. Aber wenn Hertha im Training intensive Läufe absolviert und die Spieler in Gruppen unterwegs sind, läuft Boateng meistens in seiner eigenen Gruppe, die nur aus ihm besteht. Nach wenigen Bahnen schon kommt er kaum noch hinterher. Manchmal sieht es so aus, als laufe er auf Eiern. Der Rücken zwickt regelmäßig. Oder das Knie. Oder beides.
Von der Skyline zum Bordstein, zwischen Wedding und Hertha. Mit der Geschichte fünf Berliner Talente hat Dazn in „Underground of Berlin“ Gold in den Händen. Schade, dass es nicht genutzt wird.
Aber Boatengs Rückkehr war eben nicht ausschließlich sportlich begründet. Er sollte der Mannschaft mehr geben als wohltemperierte Pässe. „Wir brauchen ihn auch neben dem Platz“, sagt Bobic. „er tut der Mannschaft gut mit seiner Erfahrung, er ist extrem wichtig für uns.“
Natürlich ist der Boateng, der 2021 zu Hertha zurückgekehrt ist, ein anderer, als der Boateng, der Hertha 2007 im Groll verlassen hat. Man kann das in der Dokumentation „Underground of Berlin“ sehen, in der es um Boateng und seine damalige Gang geht, um ihre Anfänge im Wedding. Da thront Boateng staatsmännisch in einem ledernen Fauteuil und blickt geläutert auf sein junges wildes Ich zurück.
Unter Korkut als Trainer hat sich einiges verändert. Zum Training geht die Mannschaft jetzt in geschlossener Formation von der Kabine auf den Platz. Boateng kommt Anfang dieser Woche als Letzter. Er redet noch kurz mit seinem früheren Jugendtrainer Dirk Kunert, gibt dem Ordner zur Begrüßung die Hand, anschließend auch sämtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Hertha, die sich am Trainingsplatz tummeln.