Spätestens seit dem Abgang von Max Kruse ist Davy Klaassen Werders Chef im Mittelfeld. Mit uns sprach er über sein Image, die erfolglose Zeit bei Everton und sein Jugendidol Dennis Bergkamp.
Davy Klaassen, Sie sagten kürzlich dem „Weser-Kurier“, dass Sie gerne schon mit 26 Jahren ein Vorbild für jüngere Spieler seien. Wer war Ihr Idol in der Jugend?
Definitiv Dennis Bergkamp.
Wieso?
Das hat zwei Gründe: Einerseits war er als Nummer zehn bei Ajax einer meiner Vorgänger, andererseits ist er meiner Meinung nach einer der besten Spieler, die es jemals gegeben hat. Sein Spiel war so schön. Auf mich wirkte es wie Kunst.
Auch Werder spielte zuletzt schönen Fußball, trotzdem reichte es nur zu neun Punkten aus den ersten acht Spielen. Überwiegt für Sie der Frust über teils unnötige Punktverluste oder die positive Erkenntnis, selbst mit einer verletzungsgeschwächten Mannschaft ansprechende Leistungen zu zeigen?
Für alle im Team ist es das Wichtigste, Punkte zu holen. Das steht über allem. Nichtsdestotrotz können wir auf die Art und Weise, wie wir auftreten, aufbauen. Auch wenn wir mit den Ergebnissen noch nicht zufrieden sind, haben wir dominant gespielt und oft ein Chancenplus erzielt. Daran müssen wir festhalten.
Eine Taktik-Umstellung zu mehr Umschaltspiel kommt also nicht in Frage?
Nein, an unserer Spielidee halten wir auf jeden Fall fest. Alleine in der noch jungen Spielzeit haben wir bereits einen kleinen Sprung nach vorne gemacht. Wenn wir uns weiter entwickeln, können wir hier viel erreichen.
Das hört sich verdächtig nach der letzten Saison an. Was hat sich nach der vergangenen Spielzeit im Werder-Spiel verändert?
Durch den Abgang von Max (Max Kruse Anm. d. Red.) war klar, dass wir unser Angriffsverhalten etwas anders gestalten. Wir wollen mehr Spielkontrolle erlangen und damit viele Strafraumsituationen erzeugen. Dadurch treten wir unberechenbarer auf – auch wenn wir Max nicht eins-zu-eins ersetzen können. Immerhin ist der Kapitän gegangen.
Sie selbst haben jetzt bereits fast so viele Scorer-Punkte gesammelt wie in der gesamten letzten Spielzeit.
Ich will eben meinen Teil dazu beizutragen. Dass ich momentan bei mehr Toren als zur gleichen Zeit der letzten Saison stehe, bestätigt mich darin. Es ist aber nicht so, als ob Florian Kohfeldt zu mir nach der letzten Saison gesagt hätte: „Jetzt wo Max weg ist, bist du fürs Tore-schießen zuständig.“
Wofür sind Sie denn zuständig?
Meine persönliche Rolle als Achter ist ähnlich geblieben. Durch die offensive Ausrichtung des Teams komme ich aber zu mehr Abschlüssen oder lege Schussmöglichkeiten auf. Stoße ich zum Beispiel in die Box, rücken andere Spieler nach und gelangen in eine gute Abschluss-Position.
Gibt es konkrete Vorgaben dafür, wann Sie sich in die Tiefe bewegen und wann nicht?
Das entscheide ich meistens nach Instinkt.
Dann scheint ihr Instinkt in dieser Saison besser zu funktionieren.
Ich glaube, dass meine Torgefahr schon immer eine meiner Stärken war. Die fünf Tore in der vergangenen Saison waren ganz in Ordnung.
Haben Sie eine Tor-Marke für diese Saison?
Immer mehr als letztes Jahr!
Keine konkrete Zahl?
Nein, ich bin ja auch kein Stürmer. Im besten Fall erspielen wir uns über eigenen Ballbesitz gefährliche Chancen.
Als nächstes treffen Sie auf Freiburg und Gladbach. Wollen Sie das ballorientierte Spiel auch gegen Teams aus der Spitzengruppe durchsetzen oder passen Sie sich an die jeweiligen Gegner an?
Wir stellen uns schon darauf ein, auch mit weniger Ballbesitz Spiele gestalten zu können. Es geht nicht darum, möglichst oft den Ball zu haben, sondern unsere Grundidee vom Angriffsspiel, mit viel Dynamik und Pässen in die Tiefe, umzusetzen. Egal, ob es gegen Leverkusen oder die Bayern geht. Vielleicht müssen wir dann etwas mehr leiden und hinterherrennen. Aber das ist dann halt so.
Mit dieser offensiven Ausrichtung hat Florian Kohfeldt Werder von einem Abstiegskandidaten zu einem Europa-League-Aspiranten geformt. Was zeichnet ihn im Vergleich zu anderen Trainern aus?
Vor allem seine Taktik-Besessenheit. Er lobt dich oder schimpft mit dir wegen Dingen, die anderen Trainern vielleicht gar nicht aufgefallen wären. Außerdem besitzt er trotz seines jungen Alters wirklich ein sehr gutes Gespür für den Umgang mit verschiedenen Spielern und merkt, wie er die individuellen Spielweisen in seine Spielidee einbringen kann.
Ihre Spielweise wirkt eigentlich wie gemacht für die Insel, trotzdem kamen Sie in Ihrer einzigen Spielzeit für Everton auf nur sieben Premier-League-Einsätze. Woran lag das?
Viele würden jetzt äußere Umstände oder Einfindungs-Probleme als Begründung anführen, aber ich muss ehrlich sagen: Ich habe für Everton einfach nicht gut gespielt. Zudem hatte ich das Gefühl, nicht richtig nach England zu passen.
Wieso?
Die Spielphilosophie dort ist anders. Mein ganzes Leben war ich es gewohnt, alle Situationen auf dem Platz spielerisch zu lösen. Das war in England teilweise anders.
Also im Nachhinein ein Missverständnis?
Vielleicht. Aber wie gesagt: Ich habe leider auch wirklich schlechte Spiele gemacht.
Im Winter wären Sie dann fast nach Neapel ausgeliehen worden.
Genau. Erst wollte ich gar nicht weg – auch wenn ich kaum zum Zug kam, befand ich mich ja erst seit kurzer Zeit bei Everton und hatte gehofft, noch eine Chance zu bekommen. Als sich jedoch meine Lage während der gesamten Transferperiode nicht geändert hatte, habe ich den Verantwortlichen am letzten Tag mitgeteilt, doch wechseln zu wollen.
Wie ging es weiter?
Für Neapel war die Entscheidung wohl etwas zu kurzfristig, so schnell ließ sich der Wechsel nicht realisieren. Mit Sam Allardyce hatte Everton zudem erst kürzlich einen neuen Trainer installiert, bei dem ich mich nochmal im Training für mehr Einsatz-Zeiten empfehlen wollte.
Stattdessen blieben Sie weiter draußen.
Ich erkannte dann recht schnell, dass ich in Everton keine Zukunft mehr hatte und auch der Trainer nahm mich zur Seite. Er erklärte mir ganz deutlich: „Wir planen nicht mit dir. Wenn du willst, kannst du im Sommer wechseln.“
Keine schöne Ausgangslage.
Für mich war das eher hilfreich. Der Coach hat mir das direkt am Anfang offen erklärt und ich hatte so genug Zeit um mich auf einen Wechsel im Sommer einzustellen.
Die britische Presse ist dafür bekannt, mit Spielern hart ins Gericht zu gehen. Die „Sun“ hat Sie als „Außenseiter“, „Flop“ oder „Albtraum-Transfer“ bezeichnet.
Das war nicht schön, interessierte mich aber nicht sonderlich.
Stimmt es denn, dass Sie nach dem verlorenen Europa-League-Finale mit Ajax 2017 anfangs bei Everton nicht mit Wayne Rooney sprachen, da dieser Sie mit Manchester United besiegt hatte?
Was für ein Blödsinn! Wir haben uns sogar sehr viel über das Spiel unterhalten. Ich fand es vielmehr interessant, seine Ansicht vom Spiel zu hören, als dass es dadurch Streit gegeben hätte. Ich weiß nicht, wie die Zeitungen auf so etwas kommen.
Zurück zur deutschen Presse: Der „Kicker“ beschrieb ihre Spielweise kürzlich mit „ein bisschen Arjen Robben, ein bisschen Mark van Bommel“ …
(Lacht.) … das habe ich auch gelesen! Natürlich ein spielerisch kurioser Vergleich, aber ich verstehe, was damit gemeint ist.
Und zwar?
Wahrscheinlich die Spiele gegen Union Berlin und Leipzig. (In der Partie gegen Union holte Klaassen nach leichtem Kontakt des Keepers einen Elfmeter heraus, gegen Leipzig hätte er nach seinem Ellenbogenschlag gegen Nordi Mukiele die rote Karten sehen müssen Anm. d. Red.) Die Medien wollen daraus zu viel aufbauschen, das fühlt sich für mich nach Sensations-Presse an.
Also sind die Vergleiche ungerechtfertigt?
Teilweise. Der Union-Torwart trifft mich leicht, vielleicht war es kein klares Foul, aber auch keine Schwalbe. Für mich war es ein vertretbarer Elfmeter. In der Szene gegen Leipzig war es ja auch keine bewusste Aktion von mir. Im Fernsehen sah es zwar hart aus, aber ich kann garantieren: Es war wirklich nicht meine Absicht ihn im Gesicht zu treffen. Weil es zwei Spiele hintereinander waren, mussten die Zeitungen wohl etwas in diese Richtung schreiben.
So oder so: Sie scheuen auf dem Platz keine Konflikte, das fällt auch anderen Vereinen auf. Gab es im Sommer Angebote?
Da kann ich die Werder-Fans direkt beruhigen: Ich bin sehr glücklich hier und fühle mich sehr gut, da denke ich nicht an einen Wechsel.
Falls Sie den Verein doch mal wechseln sollten, laufen Sie vermutlich mit der Nummer 40 auf.
Wieso?
Bei Ajax trugen Sie die Nummer zehn, bei Everton die 20 und jetzt bei Werder die 30.
(Lacht.) Stimmt, das ist mir vorher gar nicht aufgefallen. Dahinter steckt aber kein System, bei Everton ist mir eher zufällig die Nummer 20 zugeteilt worden, bei Werder war dann die 30 frei.
Eine andere Tradition ihrer Karriere ist es, in ihren jeweiligen Teams Niklas Moisander als Kapitän zu beerben. Gibt es dafür schon Pläne mit Florian Kohfeldt?
Zum Glück nicht! Niklas ist schließlich ein wahnsinnig wichtiger Spieler für uns. Deswegen wünsche ich mir eher, dass er noch möglichst lange in Bremen bleibt und ich das Kapitäns-Amt nicht für ihn übernehmen muss.
Diese Saison kam es ja bereits ein paar Mal dazu.
Das fühlte sich auch gut an, war aber nur die Notlösung auf Grund seiner Verletzung. Ich kann auch ohne eine Kapitänsbinde für Werder Verantwortung übernehmen.
Verantwortung neben dem Platz übernehmen Sie zudem durch ihr Engagement in der Flüchtlings-Hilfe.
Genau. Meine Freundin ist schon seit Längerem sehr engagiert in der Flüchtlingsthematik und versucht, mit der Stiftung eines Bekannten auch Geflüchteten vor Ort zu helfen. Also sind wir letzten Sommer für eine Woche in ein Auffanglager nach Lesbos gereist.
Was waren ihre Eindrücke dort?
Zuerst einmal war ich beeindruckt, wie positiv die Lebenseinstellung der Leute trotz der oft schrecklichen Schicksale geblieben ist. Trotzdem sind die Zustände dort wirklich erschreckend und bedrückend. Zusammen haben wir mit den Leuten vor Ort ein Fußballspiel organisiert, um auf die Situation und die dortigen Lebensumstände aufmerksam zu machen.
Sie selbst teilten auf „Instagram“ ein Foto mit dem Schriftzug „No Human is illegal“ – eine Botschaft, die oft auch auf Bannern im Weserstadion zu lesen ist.
Das stimmt. Auch das gefällt mir an den Werder-Fans.
Sind für die Zukunft weitere Aktionen geplant?
Natürlich kann ich nicht fünf Mal im Jahr nach Lesbos fliegen, aber auch in Bremen bringe ich mich ein. Bei Werder gibt es das Projekt „Spielraum“, in dessen Rahmen ich letzten Monat zusammen mit Marco Friedl einen Aufenthaltsort für Flüchtlinge besucht habe. Ich denke, Fußballspieler sollten ihre Vorbild-Funktion auch in sozialen Bereichen nutzen.