In der Türkei ist der Fußball ein Spiegel der Gesellschaft. Das weiß auch Präsident Recep Tayyip Erdogan für sich zu nutzen – und wartet nun auf das große Finale.
In der Türkei ist der Fußball ein Spiegelbild der Gesellschaft. Das weiß natürlich auch Präsident Recep Tayyip Erdogan. „Er liebt den Fußball. Und er weiß, dass er mit dem Glanz auf dem Feld auch die Gesellschaft beeinflussen kann“, sagt ein türkischer Fußballexperte aus Istanbul dem Tagesspiegel. Er will jedoch nicht, dass sein Name veröffentlicht wird. Denn er steht Erdogan kritisch gegenüber. „Erdogan kontrolliert alles mit harter Hand. Deshalb hat er auch dafür gesorgt, dass einer seiner Vertrauten Präsident des Fußballverbands geworden ist.“ Nihat Özdemir ist zugleich einer der mächtigsten Unternehmer, er steht einem Baukonzern vor.
Kein Wunder also, dass Özdemir seit dem Beginn der Militäroffensive ebenfalls für die Armee trommelt. „Wir alle, die Spieler und die sportliche Leitung, sind mit Gebeten an der Seite unserer Soldaten“, sagte er. Erdogan instrumentalisiert den Fußball immer wieder für sich. Bei einer Rede vor zweieinhalb Jahren erklärte er auch, warum: „Ich glaube, dass Fußball und Politik viel gemeinsam haben. Der Wettkampf ist der Kern von beiden, Fußball und Politik. Mein Trainer sagte mir früher immer: Junge, du musst den Ball fressen.“
Erdogan muss nichts forcieren
Erdogan zeigt sich daher nicht nur bei Länderspielen im Stadion oder trifft die Nationalmannschaft. Der 65-Jährige besucht auch besondere Spiele der großen Istanbuler Klubs Besiktas, Fenerbahce und Galatasaray – oder die seines Lieblingsvereins Basaksehir. Und mit großer Genugtuung sucht er auch die Nähe zu den Fußballstars. Nicht umsonst ist er Trauzeuge des ehemaligen deutschen Nationalspielers Mesut Özil sowie des früheren türkischen Nationalmannschaftskapitäns Arda Turan. „Er muss das gar nicht selbst forcieren. Die Spieler fragen ihn“, sagt der türkische Fußballexperte. „Und für Erdogan ist das natürlich sehr gute Propaganda.“
Die Jubel-Grüße an das Militär musste Erdogan allerdings erst gar nicht einfordern – davon ist der türkische Fußballexperte fest überzeugt. Denn in der türkischen Gesellschaft existiert eine enge Verbindung zum Militär. So lautet ein Sprichwort: „Jeder Türke wird als Soldat geboren.“ Daher betont der Experte: „Die Nationalspieler handeln mit ihrem Salut nicht ideologisch. Es ist für sie als Patrioten normal, die Armee zu unterstützen.“
Das Finale kommt noch
Mögliche Sanktionen durch Europas Kontinentalverband Uefa beeindrucken sie deshalb nicht. „Sie würden es immer wieder tun. Und sie würden nicht verstehen, wenn sie dafür bestraft werden würden“, sagt der türkische Fußballexperte. Schließlich hatten prominente Nationalspieler wie Hakan Calhanoglu vom AC Mailand und Merih Demiral von Juventus Turin schon vor den beiden Länderspielen der vergangenen Tage Grußbotschaften an die Armee geschickt.
All dies ist selbstverständlich ganz nach Erdogans Geschmack. Und bald kann er sich sogar auf der ganz großen Fußballbühne präsentieren. Am 30. Mai 2020 wird in Istanbul das Champions-League-Finale ausgetragen. Auch das wird Erdogan bestimmt für sich zu nutzen wissen.