Jahrelang gehörte Oliver Kahn zur Weltspitze. An seinem 50. Geburtstag erinnert sich Bayerns Nummer Zwei, Stefan Wessels, an den besten Torwart seiner Zeit.
Olli konnte sich auf den Punkt konzentrieren, alle Nebensächlichkeiten ausblenden und auf sich konzentrieren. Das führte dazu, dass sich zwischen uns nicht unbedingt eine Meister-Lehrling-Beziehung einstellte. Aber von jeder Trainingseinheit mit ihm konnte ich lernen. Alles unterzuordnen, immer professionell zu sein, von Jetzt auf Gleich Leistung zu bringen. Was ich gelernt hatte, sollte ich kurze Zeit später bei meinem ersten Spiel gegen die Glasgow Rangers unter Beweis stellen. Olli und Bernd Dreher hatten sich am Wochenende gegen Frankfurt nacheinander verletzt. Nun war ich also in der Champions League gefordert – wir spielten 1:1.
Die Niederlage in Barcelona wird Olli verändert haben. Danach hat sich sein Wille unermesslich gesteigert. Er wollte diesen Champions-League-Pokal um jeden Preis. Vor unserem nächsten großen Finale 2001 hatte ich mich an der Fingersehne verletzt, gehörte im Anzug gekleidet zwar zum Tross, aber verfolgte das Spiel gegen Valencia von einem Platz nahe der Auswechselbank. Normalerweise achtete ich als Auswechselspieler immer darauf, was Olli tat. In diesem Spiel, bei diesen Emotionen, war das kaum möglich. Und doch: Olli holte den Titel. Drei Elfmeter wehrte er ab, auch wenn er sonst nicht als Elfmeterkiller galt. Aber diesen Pokal, den wollte er nach 1999 unbedingt.
Die letzten Sekunden in Hamburg
Aber eine andere Szene aus dieser Saison ist mir in Erinnerung, die seine Unbändigkeit am besten beschreibt. Es waren die Schlussminuten in Hamburg, 34. Spieltag. Gerade hatten wir das 0:1 kassiert, das uns eigentlich die Meisterschaft kosten sollte, während die Menschen in Gelsenkirchen schon zu Feiern begannen. In diesem Moment riss Olli die Emotionen an sich. Er rastete aus – im positiven Sinne. Jeden einzelnen Vordermann trieb er nach vorne. Weiter, weiter. Und als wir den indirekten Freistoß in Hamburgs Sechzehner bekamen, lief auch Olli nach vorne, wirbelte alles durcheinander. Er provozierte das Irgendwie. Stefan Effenberg musste ihn regelrecht beruhigen. Aber Olli wollte alles tun, damit dieser Ball sein Ziel finden würde. Wenige Sekunden später waren wir Meister.
Dabei war Olli nie ein Lautsprecher. In der Kabine konzentrierte er sich oft auf sich selbst. Natürlich, er konnte eine Mannschaft notfalls wachrütteln. Doch seinen Führungsanspruch hatte er sich auf dem Platz erarbeitet. Dazu nutzte unser Trainer Ottmar Hitzfeld einen kleinen Kniff. Ich habe es nie erlebt, dass Olli – völlig gleich, wie schwer sein Patzer war – vor der Mannschaft explizit kritisiert wurde. Im Einzelgespräch, vielleicht mit Sepp Maier, da wurde es ihm bestimmt gesagt. Aber nicht vor den anderen. Das sorgte dafür, dass Olli immer sicher war. Er wurde nie angegangen, nie in Frage gestellt. Für die Entwicklung eines Torwarts ist das ideal.
Extraschichten am Morgen
Denn dass Olli sich zurückgelehnt hätte, kam sowieso nicht vor. Er wusste schon, wenn ihm ein Fehler unterlaufen war. Und die Folgen bekam ich nicht selten zu spüren. Nach einem schlechten Spiel erhielt ich oft Abends noch eine Nachricht, am nächsten Morgen etwas früher an der Säbener zu sein. Dann legte Olli mit uns Extraschichten ein. Bis er die Sicherheit zurückerlangte hatte. Sein altes Credo: Auf Disziplin folgt Erfolg.
Und was für Erfolge: Achtfacher Deutscher Meister, Champions-League-Sieger, Europameister, Vize-Weltmeister, sechsfacher DFB-Pokal-Sieger, Weltpokalsieger, dreifacher Welttorhüter, bester Spieler einer Weltmeisterschaft. Sein ganzes Leben Weltklasse. Seit 50 Jahren – herzlichen Glückwunsch, lieber Olli.