Heute Abend will BFC Dynamo den FC Schalke im DFB-Pokal ärgern. Gefordert ist Dynamo-Trainer Réne Rydlewicz, der uns tiefe Einblicke in das Seelenleben eines Fußballtrainers geliefert hat.
Aufgezeichnet von Hannes Hilbrecht. Dieser Text erschien erstmals am 7. Mai 2017 online.
Letztens habe ich eine Psychologin angefahren. Das klingt dramatischer, als es tatsächlich war. Die Frau blieb unverletzt, nur das Rad hatte sich beim Unfall verbogen. Ich habe die Frau nach Hause gefahren. Wenn eine Psychologin plötzlich bei einem Fußballtrainer im Auto sitzt, können die Gespräche sehr interessant sein. Bei uns war das der Fall.
Wir unterhielten uns über die Psyche von jungen Talenten. Über die Wucht von zerrissenen Träumen, die tiefe Löcher für diejenigen gräbt, die es nicht zu den Profis schaffen; und die Belastungen derer, die es packen, aber in diesem Geschäft zwischen Höhen und Tiefen herumgeschleudert werden wie in einer Wäschetrommel. Wir redeten über Spielertypen, die irgendwann meine Spieler und ihre Patienten sein könnten.
Die gemeinsame Fahrt mit der Psychologin bestätigte die Bedeutung meiner Rolle als Trainer und meine Verantwortung für dutzende junge Männer. Als Trainer entscheide ich, ob ihre Hoffnungen auf eine große Karriere genährt oder zerstreut werden. Es ist meine Pflicht, ihnen gegenüber richtig zu handeln.
Wofür gehe ich arbeiten?
Doch genügen die Trainerlizenzen und eine lange Spielerkarriere, um ein guter Fußballlehrer zu sein? Trainerwerden kommt vom Trainersein, habe ich mir immer gesagt. Und vom Finden der eigenen Identität. Was will ich für ein Trainer sein? Wie definiere ich Erfolg? Wofür gehe ich arbeiten? Die neunzigminütige Bahnfahrt zwischen Cottbus und Berlin, die ich an sechs Tagen in der Woche bestreite, bietet viel Zeit, sich Fragen zu stellen und ist meist doch zu kurz, um alle Antworten zu finden.
Meine Aufgabe als Trainer beim BFC Dynamo und die Stadt Berlin halfen mir bei meiner Selbstfindung. Rostock, Leverkusen oder Cottbus mögen in meinem Lebenslauf prägnanter erscheinen – doch in Berlin fing alles an. Als 13-Jähriger kam ich auf das Internat in Hohenschönhausen. Für mich gab es nichts Besseres, der BFC war mein Lieblingsverein. Das Sportforum war der Ort, an dem ich nicht mehr Kindergärtner werden wollte, sondern meine Welt zu einem Ball wurde.
Von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends. Jeden Tag. Ich habe nie daran gezweifelt, es zu den Profis zu schaffen. Ich tat ja auch alles dafür. Und ich hatte das Talent, die Verletzungen erwischten andere. Ich war naiv, mutig, an der Schwelle zwischen selbstbewusst und übermütig. Dreißig Jahre später weiß ich, wo die Löcher versteckt sind, die viele junge Spieler verschlucken.
Er war zu meinem Jungen geworden
Ich begann meine Karriere als Aktiver in Berlin und kurioserweise war es ein Nachwuchsspieler aus Reinickendorf, der mich zum Ende meiner aktiven Laufbahn endgültig in den Trainerberuf stupste: Zafer Yelen, ein begnadeter Fußballer. In Rostock trafen sein Karriere-Frühling und mein Herbst aufeinander. Durfte ich als junger Kerl nach den Trainingseinheiten noch 50 Flanken für Ulf Kirsten schlagen, musste Zafer mit mir Freistöße üben.
In der Sommerglut und im Dauerregen. Zafer war talentiert, er war fleißig. Er schaffte es in die Startelf und irgendwann ließ ich ihn einen Freistoß im Spiel schießen. Er verwandelte in den Winkel. Teamkollegen warnten mich: „René, du ersetzt dich selber.“ Aber Zafers Freistoßtore machten mich glücklich. Er war zu meinem Jungen geworden. Wenn ich mit der S‑Bahn durch Berlin fahre, fühle ich oft wie damals. Immer dann, wenn ich Jungs und Mädchen in BFC-Klamotten sehe.