Immer klare Kante! In der Eckkneipe werden traditionell die großen Themen des Ruhrgebiets verhandelt: Fußball, Fußball und nochmals Fußball. Doch das Biotop ist zunehmend gefährdet.
Am Ende müssen wir noch auf Rudi zu sprechen kommen. „Der Assauer ist ein ehrlicher Typ. Immer klare Kante! Ohne den wär heute in Gelsenkirchen gar nichts mehr los.“ Während der alzheimerkranke ehemalige Schalke- Manager immer schneller dem Verlust der eigenen Erinnerungen entgegentaumelt, wird über sein sportliches Erbe in der Eckkneipe „Die Kanne“ verhandelt. Gelsenkirchen-Ueckendorf, nicht der schönste Fleck auf Gottes Erde, aber für hiesige Verhältnisse ein solider Stadtteil. In jedem Fall Schalker Kernland, obwohl es von hier gerade 50 Meter bis Bochum-Wattenscheid sind und somit, zumindest theoretisch, auch andere Fanoptionen denkbar wären.
In der Realität ist das Kokolores, was auch, aber nicht nur daran liegt, dass heute „Kuzorras Enkel“ hier einfallen. Der Schalker Fanklub trägt den legendären Ernst im Namen und Rudi im Herzen. Der Assauer ist eine Figur, die beides repräsentiert: das nostalgische, um sich selbst kreiselnde Schalke ebenso wie den Aufbruch zu neuen Ufern. Das, was dabei rausgekommen ist, die neue Arena oder wie jetzt ein Champions- League-Achtelfinale gegen Real Madrid, wissen sie hier durchaus zu schätzen. Ob Real denn nicht übermächtig sei? „Ach was“, sagt Batto, der Enkelpräsident. „Alle müssen aufs Klo.
Und überall kommt das Gleiche raus!“ Soll heißen:
Entscheidend ist auf’m Platz. Würde er so natürlich nie sagen, allein weil der Spruch von einem Dortmunder stammt.
Freilich wird an diesem Abend nicht nur über Fußball geredet. Manuel hat sein Auto „auf Grün umgerüstet“, also: für die Umweltzone fitgemacht. Der intendierte Nebeneffekt eines Steuersparmodells hat leider nicht funktioniert. „Ich hab 1200 Euro für die Umrüstung bezahlt und weißte, was ich an Steuern spare?
Ein Euro! Im Jahr!“ Das Mitleid der Kollegen hält sich in Grenzen, was mit dem Auto an sich zusammenhängt. „BMW X5, nun sach et doch ma!“, raunzt Batto. „Als Schalke-Fan, also ehrlich! “ Manuel kontert: „Ich bin halt Junggeselle, ich muss keinen untersorgen.“ Gekauft hat er den Wagen vom Chef, „neu kost der 68 000“. „Der hat den für zwölf geschossen“, meint Batto versöhnlich. „da hätt ich’n natürlich auch genommen!
Sitze aus reinem Leder, Sitzheizung vorne, Sitzheizung hinten …“ Zurück zum Eigentlichen. Dass Fußball in der Kanne ein großes Thema ist, sieht man am großen Bildschirm im Gastraum ebenso wie an den Schals aus aller Welt über der Theke, denen erheblich mehr Liebe und Achtung entgegengebracht werden als den traurigen Pflanzen auf der Fensterbank. Es ist Freitagabend und das Lokal gut gefüllt. Vielen Eckkneipen geht es schlechter als der Kanne, viele haben bereits schlappgemacht. „So eine Tour von einer Eckkneipe inne nächste, datt geht nich mehr“, sagt Manuel. „Da brauchste heut schon ein Taxi, um in die nächste zu kommen.“ Das Problem hat viele Facetten:
Den Jungen sind die Eckkneipen zu piefig, Kartenspiel und Knobelbecher reichen als Unterhaltungsoptionen nicht aus. Das Rauchverbot sprengt fröhliche Runden, weil immer einer nach draußen rennt. Und das Bezahlfernsehen ist zu teuer geworden, als dass die Lokale noch wirtschaftlich arbeiten könnten.
Das ist schade, denn nirgendwo sonst sind der Ruhrpott und sein Fußball so bei sich wie in diesen Nachbarschaftskaschemmen, in die man „dreimal lang hinschlagen“ kann, wie es in Westfalen heißt. Früher kamen sogar die Spieler öfter auf ein Bier vorbei, doch diese Zeiten sind passé. Aber wozu klagen? „Eine neue Rutsche, bitte!“ Noch ist der Zapfhahn nicht zu.