Herzlichen Glückwunsch, Ehrenspielführer! In seiner zweiten Lebenshälfte schaffte Lothar Matthäus eine rasante Imagewandlung. Und verfällt zu seinem 60. Geburtstag angesichts der Bundestrainer-Avancen, die ihm gemacht werden, doch wieder in altbekannte Verhaltensmuster.
Lothar Matthäus wird 60. Was für eine Party hätte es werden können? Der Rekordnationalspieler bei Kaffee und Kuchen im Kreise seiner vier Kinder, der vier Ex-Frauen und Gattin Anastasia. Ein geläuterter Jubilar, der seinen Ruhm endlich still genießen kann und schweigsam zur Kenntnis nimmt, dass ihn einige Medien aktuell gar wieder als möglichen Nachfolger von Joachim Löw handeln. Matthäus ist in den letzten Jahren eine erstaunliche Imagewandlung gelungen. Über weite Strecken seines Erwachsenenlebens war er als Laber-Loddar berüchtigt. Als Mann, der rasanter brabbelte, als das Blut durch seine Gehirnwindungen schoss. Noch bevor er mit 19 sein erstes Länderspiel bestritt, nervte er mit seiner Gosch’n bereits Bundestrainer Jupp Derwall und dessen Assistenten Erich Ribbeck derart, dass der Co-Trainer bekannte: „Selbst wenn wir über den Speisplan diskutieren, quasselt Lothar dazwischen.“
Nie wich er einem Fettnäpfchen aus. Einer Berliner Basketballerin schwärmte er unverblümt vom Geschlechtsorgan seines Mitspielers Adolfo Valencia vor. Er stilisierte sich als Kunstfigur („Ein Lothar Matthäus lässt sich nicht von seinem Körper besiegen, ein Lothar Matthäus entscheidet selbst über sein Schicksal“) und verdingte sich neben der Profilaufbahn ständig als leidlich diskreter Hobby-Kolumnist (u.a. „Elf Mann, elf Macken” zur EM 1988, „Mailänder Notizen“ 1992, „Geheimes Tagebuch“ 1997). Irgendwie schien es ihm auch egal zu sein. Schon ganz am Anfang seiner Laufbahn sagte er: „Wir Franken haben keinen Bammel. Ich quatsch vielleicht ein bissel viel – das habe ich von meinem Vater geerbt. Wenn’s kein dummes Zeug ist, machts ja nix…“ (sic!)
Er konnte es sich leisten. Schließlich war und ist er einer der größten Fußballer, die dieses Land je hervor gebracht hat. Selbst ein Trainerfürst wie Jupp Heynckes bekannte einst, dass er es als Gnade empfinde, Matthäus über fünf Jahre in seinem Team gehabt zu haben. Zumal sind sich alle ehemaligen Weggefährten, Kumpels und Ex-Mitspieler zumindest in dem Punkt einig, dass Lothar – egal, welches Außenbild er auch vermittelt – stets ein aufrechter, zuverlässiger und ehrlicher Zeitgenosse, ach was, ein echter Pfundskerl war und ist.
„Ein Lothar Matthäus gehört in den Sportteil und nicht auf die Klatschseiten“
Erst nach diversen gescheiterten Trainerengagements im Ausland drang zu ihm durch, dass er sich mit seinem losen Mundwerk gepaart mit den Auftritten in Doku-Soaps und VIP-Sendungen daheim den Ruf ruiniert hatte. Der Rekordnationalspieler realisierte, dass er eine lupenreine Metamorphose vom Weltfußballer zur Knallcharge hingelegt hatte, was ihn für einen Job als Coach in seiner Heimat anscheinend disqualifizierte. Selbst Fans von Arminia Bielefeld gingen auf die Barrikaden, als sein Name als neuer Trainer in Ostwestfalen gehandelt wurde. Und er sprach: „Ein Lothar Matthäus gehört in den Sportteil und nicht auf die Klatschseiten. Daran arbeite ich.“
Als Chef-Experte bei Sky konzentriert er sich seither auf seine Fußball-Expertise – und hält ansonsten weitgehend die Klappe. Da kennt er sich aus, das macht er gut, in dem Bereich können ihm wie einst auf dem Rasen nur die Besten das Wasser reichen. Zu seinem Sechzigsten hätte er also ganz subtil und doch vor den Augen der Öffentlichkeit eine erneute Häutung vollziehen und vom ewigen Eiferer in den Rang der sankrosankten Fußball-Legende aufsteigen können.
Doch wie heißt es bei Matthäus: „Wäre, wäre, Fahrradkette“. Seine alten Kumpels von der Springer-Presse packten ihn kurz vor knapp noch einmal bei der Eitelkeit. Im „Bild“-Podcast irrlichterte er kürzlich auf die Frage nach einem möglichen Angebot des DFB plötzlich wieder ganz loddarmäddhäääus-like: „Wenn die Verantwortlichen irgendwann auf mich zukommen sollten, muss ich mir natürlich Gedanken machen (…) Ich wüsste nicht, wie ich reagieren würde, wenn ich merke, dass ich gebraucht würde“.
Das Problem: Die Öffentlichkeit weiß es nur allzu gut.
Allerortens wurde die Option seiner Berufung zum Bundestrainer auch deshalb in den letzten Tagen wie eine Groteske verhandelt. Absurder erschien selbst Radio-Gaga-Moderator*Innen nur noch der fade Gag, dass ab Sommer ja auch die Bundeskanzlerin auf Jobsuche sei. Nur Lothars Buddys bei Springer nicht. Dort übernahm Matthäus indes für zwei Tage die „Chefredaktion“ der Sportbild und verriet bereitwillig, dass er schon 2004 auf Geheiß von Beckenbauer beinahe Nationaltrainer geworden wäre – ihn der Anruf des Kaisers im Robinson-Klub auf Mallorca nur ein wenig zu spät erreicht habe.
Gut möglich, dass bei seiner in Aussicht stehenden Berufung nun wieder was dazwischen kommt. Wie sagte er einmal so schön: „Gewollt hab ich schon gemocht, aber gedurft ham sie mich nicht gelassen.“
In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch, lieber Ehrenspielführer!