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Im ver­gan­genen Februar schlug Gerardo Seoane einen der letzten Nägel in den Sarg des damals unter Druck gera­tenen Bayer-Trai­ners Peter Bosz. Mit 4:3 im Hin­spiel und 2:0 im Rück­spiel des Sech­zehn­tel­fi­nals schmiss Young Boys Bern Bayer Lever­kusen aus der Europa League. Einen Monat später war Peter Bosz bei der Werkself Geschichte. Nun hat Sport­di­rektor Simon Rolfes bekannt gegeben, dass Seoane ab der kom­menden Saison die Mann­schaft trai­nieren wird. 

Die Ergeb­nisse in der Europa League – vor allem im Hin­spiel – zeigen, welche Art von Fuß­ball der 42-Jäh­rige gerne spielen lässt: einen offen­siven. Auch in der Schweizer Super League kann man sich regel­mäßig davon über­zeugen. Zum Bei­spiel am ver­gan­genen Wochen­ende beim 5:2‑Sieg gegen den FC Luzern: Da griffen die Berner beim Treffer zum 1:1 über den linken Flügel an. Links­ver­tei­diger Jordan Lefort flankte den Ball in den Sech­zehner, wo ganze fünf Young-Boys-Spieler war­teten – und Michael Aebi­scher köpfte den Ball ins Tor.

Es war nicht das erste Spiel, in dem ein Gegner der Berner viele Tore schlu­cken musste. In Seo­anes erster Saison als Chef­trainer in der Schweizer Haupt­stadt schossen die Berner stolze 99 Tore. Eine Bilanz, die nicht mal Bayern Mün­chen in dieser Saison erreicht hat – sollte der Verein nicht am Wochen­ende fünf Tore gegen Augs­burg schießen. Der offensiv aus­ge­rich­teten Fuß­ball Seo­anes sollte also gut zum Spiel­stil passen, den sie in Lever­kusen seit jeher bevor­zugen. Das betonte auch Simon Rolfes in einer Pres­se­mit­tei­lung: Er ist dreimal in Folge mit den Young Boys Schweizer Meister geworden und hat 2020 auch den Pokal­sieg geholt – und das mit einer attrak­tiven und offen­siven Spiel­idee, die unserer Phi­lo­so­phie in Lever­kusen sehr nahe­kommt. Über einen angriffs­lus­tigen, domi­nanten und tech­nisch anspruchs­vollen Stil defi­nieren wir uns hier seit langem.“

Hier will ich arbeiten, das passt“

Gerardo Seoane

Doch wer ist der neue Lever­kusen-Trainer? Seoane kam im Jahr 1978 als Sohn spa­ni­scher Migranten in Luzern zur Welt. Seine spie­le­ri­sche Kar­riere ver­lief eher über­schaubar. Meis­tens kickte der Innen­ver­tei­diger in der Schweizer Liga, abge­sehen von einem ent­täu­schenden Auf­ent­halt bei Depor­tivo La Coruña. Seine Trai­ner­lauf­bahn begann er 2013 in den Jugend­mann­schaften seines Hei­mat­ver­eins FC Luzern. Im Januar 2017 über­nahm er die erste Mann­schaft, die zu diesem Zeit­punkt auf dem vor­letzten Tabel­len­platz lag. Inner­halb von nur einem halben Jahr führte Seoane die Luzerner auf Rang drei. Seine Leis­tung sorgte für natio­nales Auf­sehen. Unter anderem bei Young Boys Bern, die einen Nach­folger für Adi Hütter suchten.

In Luzern über­legte ich nicht viel, da ging es vor allem um Abstiegs- und Exis­tenz­kampf. Ich dachte nie ans Abspringen. Als ich mit YB redete, merkte ich aber rasch: Hier will ich arbeiten, das passt“, sagte Seoane später im Inter­view mit der Neue Zür­cher Zei­tung (NZZ) über seinen dama­ligen Wechsel. Mit Young Boys hat er drei Meis­ter­schaften und einen Pokal gewonnen. Aktuell, vor dem letzten Spieltag, führt seine Mann­schaft die Super League mit unglaub­li­chen 28 Punkten vor dem FC Basel an. Seo­anes erfolg­reiche Arbeit in Bern sorgte für inter­na­tio­nale Auf­merk­sam­keit. Als Borussia Mön­chen­glad­bach im Winter den Nach­folger von Marco Rose suchte, war der 42-Jäh­rige angeb­lich einer der Kan­di­daten. Auch Ein­tracht Frank­furt soll ihn auf dem Zettel gehabt haben. Nun hat er sich also für Bayer Lever­kusen ent­schieden. Eine Wahl, die passen könnte.

Denn neben dem Spiel­stil und den Erfolgen spricht auch die Arbeit des Luzer­ners mit jungen Talenten für seine Ver­pflich­tung. Immer wieder hat er sein Auge für und Ver­trauen in junge Spieler bewiesen und diese wei­ter­ent­wi­ckelt. Das zeigt etwa Mohamed Camara, der 2018 als unbe­kannter Innen­ver­tei­diger zu Young Boys kam und heute im Alter von 23 Jahren Stamm­spieler beim Verein ist. In der Bun­des­liga sind Kevin Mbabu (VfL Wolfs­burg) und Dji­bril Sow (Ein­tracht Frank­furt), die beide ihren Durch­bruch bei Young Boys erlebten, gute Bei­spiele für Seo­anes Arbeit mit jungen Spie­lern. Auch in Lever­kusen warten mit Leon Bailey (23), Moussa Diaby (21), Flo­rian Wirtz (18), Paulinho (20), Jeremie Frim­pong (20) und Edmond Tap­soba (22) zahl­reiche junge Spieler auf Seoane.

Zudem hat der Mann aus Luzern tak­ti­sche Fle­xi­bi­lität bewiesen. Nor­ma­ler­weise stellt er seine Mann­schaft in einem klas­si­schen 4−4−2 auf, lässt sie aber auch mal 4−3−3, 3−4−3 oder 4−2−3−1 spielen. Ein Trainer muss ständig ver­su­chen, ein neuer Trainer zu sein“, sagte Seoane im Winter gegen­über der NZZ. Diese tak­ti­sche Fle­xi­bi­lität könnte in Lever­kusen, das lange in Peter Boszs klas­si­schem 4−3−3 spielte, ein Vor­teil werden.

So will ich nie mehr sein“

Doch Seoane ist nicht nur in puncto Taktik fle­xibel. Auch in seiner Füh­rungs­rolle als Trainer ver­sucht er, sich wei­ter­zu­ent­wi­ckeln und aus seinen Feh­lern zu lernen. Als ihn jemand darauf auf­merksam machte, dass er einst bei einem Spiel als Nach­wuchs­trainer beim FC Luzern 60 Mal von der Trai­ner­bank auf­ge­sprungen sei, habe er sich gesagt: So will ich nie mehr sein. Wenn jemand CEO einer Firma wird und die Emo­tionen mit­nimmt, die er auf dem Squash-Platz lebt, wird er kein guter Leader“, erzählte er der NZZ. Zumal der junge, erfolg­reiche Trainer mitt­ler­weile oft für seine Team­ar­beit gelobt wird: Der Team­spirit bei Young Boys ist außer­ge­wöhn­lich“, sagte zum Bei­spiel Mit­tell­feld­spieler Gian­luca Gau­dino gegen­über der Bild.

Vieles spricht also für den 42-Jäh­rigen bei Bayer Lever­kusen. Doch wird er die benö­tigte Geduld von der Ver­eins­füh­rung bekommen? In den letzten Jahren haben Roger Schmidt, Heiko Herr­lich und Peter Bosz alle­samt ver­sucht, die Werkself auf Erfolgs­kurs zu bringen. Oft führten sie den Verein in die Cham­pions- oder Europa League, ehe es holp­riger wurde und sie schon bald ihren nächsten Job suchen mussten. Halten Rudi Völler und Simon Rolfes auch an Seoane fest, wenn es auf dem Spiel­feld nicht mehr läuft? Da muss viel zusam­men­passen, vor allem auch in der Orga­ni­sa­tion des Klubs“, sagte er einst über seinen Erfolg in Bern. Der Schweizer scheint auf jeden Fall zu Lever­kusen zu passen. Die Frage, ob der Verein auch zu ihm passt, wird wohl erst in den kom­menden Monaten und Jahren beant­wortet.