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Ein biss­chen Fuß­ball ist geblieben. Der Schriftzug am Haus Behm­straße 11, neun in kühler Ele­ganz geschwun­gene Groß­buch­staben aus Mes­sing: Hertha BSC. Nebenan, in der Nummer 9, stand mal die Licht­burg, sie ist schon vor einem halben Jahr­hun­dert ver­schwunden und mit ihr auch die Gast­stätte, in der Hanne Sobek so oft gesessen hat. Nach der Kahl­schlag­sa­nie­rung der sech­ziger und sieb­ziger Jahre erin­nert kaum noch etwas an den Gesund­brunnen von damals. An die späten zwan­ziger und frühen drei­ßiger Jahre, als der Ber­liner Norden rot war und die Zeiten für die blau-weiße Hertha ein biss­chen golden schim­merten, weil der Klub sechs Mal in Folge im End­spiel um die deut­sche Meis­ter­schaft stand.

Hanne Sobek war der Kopf der Mann­schaft, und natür­lich wohnte er am Gesund­brunnen, dem süd­li­chen Teil des roten Wed­ding. In der Behm­straße betrieb seine Frau die Gast­wirt­schaft in der Licht­burg, einem der bedeu­tendsten Kino- und Varie­té­theater Deutsch­lands. Für den Natio­nal­spieler Sobek hatte das den Vor­teil, dass es nur ein paar Schritte waren hin­über zum Hertha-Platz an der Plumpe, ein­ge­quetscht zwi­schen Reichs­bahn und Swi­ne­münder Brücke, die jeder nur Mil­lio­nen­brücke nannte, weil ihr Bau so unfassbar viel Geld ver­schlungen hatte. Für ein paar Jahre war das Sta­dion mit den Steh­platz­tri­bünen Zauber- und Uhren­berg das Epi­zen­trum des deut­schen Fuß­balls.

Geblieben ist der Mythos

Lange her. Her­thas letzter Titel­ge­winn liegt 86 Jahre zurück und mit dem Gesund­brunnen hat der Klub schon lange nichts mehr zu tun. Der ver­eins­ei­gene Platz ist Mitte der sieb­ziger Jahre abge­rissen worden, noch mal zwanzig Jahre später hat Hertha sich fast kom­plett aus dem einst pro­le­ta­risch geprägten Ber­liner Norden ver­ab­schiedet. Geblieben ist der Mythos, ein blau-weiß gestreifter Geist, nur noch flüchtig wahr­zu­nehmen.

Als Grün­dungstag des BFC Hertha 92 ist der 25. Juli 1892 über­lie­fert und als Grün­dungsort eine Park­bank am Arko­na­platz, nebenan in der Rosen­thaler Vor­stadt. Die Park­bänke am Arko­na­platz sind heute alle fest in der Hand der Prenz­lauer-Berg-Mamas und ihrer Emils, Georgs oder Fried­richs, von denen an einem son­nigen Vor­mittag keiner gegen den Ball tritt. Die erste Ver­eins­kneipe lag ein paar hun­dert Meter weiter in der Oder­berger Straße. 125 Jahre später resi­diert hier die Oder­quelle, sie würde sich wohl heftig wehren gegen die Ver­ein­nah­mung als Kneipe und preist auf dem Schild am Ein­gang Filet vom Saib­ling auf Spinat“ an.

Gleich um die Ecke befand sich der Exer, so nannten die Ber­liner den ehe­ma­ligen Exer­zier­platz des Alex­ander-Regi­ments. Unge­fähr dort, wo heute der Jahn­sport­park ist. Auf dem Exer tum­melten sich die Mann­schaften des Ber­liner Nor­dens, der Süden war auf dem Tem­pel­hofer Feld zu Hause. Einen gere­gelten Spiel­be­trieb gab es noch nicht, aber sehr auf­merk­same Schupos, die der Fuß­ball-Lüm­melei mit ihren Knüp­peln nur zu gern ein Ende machten.

Wilde Tage waren das, sie wurden für Hertha erst mit dem Umzug nach Gesund­brunnen ein biss­chen ruhiger. Vom Arko­na­platz einen kurzen Schwenk über die Brun­nen­straße, vorbei an den Back­stein­hallen der AEG und am Hum­boldt­hain, der grünen Insel im stei­nernen Meer der Miets­ka­sernen. Noch ein paar Meter weiter bis zum Bahnhof Gesund­brunnen, dann rechts abbiegen in die Behm­straße. Dort hatte der Gast­wirt Joseph Sche­bera auf der linken Seite zwei Fuß­ball­plätze ange­legt und auf der rechten eine Eis­bahn. Die durs­tigen Gesellen dürften den Umsatz in seiner nahe gele­genen Kneipe doch ein wenig ange­kur­belt haben.

Der Hum­boldt­hain ist geblieben. Von der AEG, deren Arbeiter zu Her­thas treu­esten Anhän­gern gehörten, kündet noch das denk­mal­ge­schützte Beam­tentor. Die Indus­trie hat den Gesund­brunnen lange vor Hertha BSC ver­lassen.

Auch im Wed­ding kamen die Zuschauer mit Hut

Auf dem Sche­bera-Platz ist heute der SV Norden-Nord­west 98 zu Hause, der alte Rivale vom Gesund­brunnen. Als Hertha Anfang der zwan­ziger Jahre das Geld für die Pacht des Geländes aus­ging, kaufte NNW die gesamte Platz­an­lage. Hertha war von einem zum anderen Tag mittel- und hei­matlos, aber nicht ideenlos. Prä­si­dent Wil­helm Wer­nicke fädelte eine Fusion mit dem sport­lich unbe­deu­tenden, aber ver­mö­genden Ber­liner SC ein. Der neue Verein nannte sich Hertha BSC und erwarb Sche­beras Eis­bahn auf der anderen Stra­ßen­seite. Der BSC streckte auch das Geld für den Bau eines ver­eins­ei­genen Sta­dions vor und es ent­stand die Plumpe, Ber­liner Jargon für die früher am Stra­ßen­rand ste­henden Was­ser­pumpen – und bis heute Syn­onym für die großen Zeiten des blau- weißen Fuß­ball-Unter­neh­mens. Auf Zauber- und Uhren­berg war es so laut wie heute in der Ost­kurve des Olym­pia­sta­dions. Und das Volk war so nah dran, dass es den Spie­lern auf die Schuhe hätte spu­cken können, aber auf die Idee wäre in den Zwan­zi­gern nie­mand gekommen. Auch im pro­le­ta­ri­schen Wed­ding kamen die Zuschauer mit Hut und Anzug.

Sechs Mal in Folge schaffte Hertha an der Plumpe den Einzug ins Finale der deut­schen Meis­ter­schaft. Auf vier Nie­der­lagen folgten zwei Siege, der Gewinn der bis heute letzten Meis­ter­schaft war das größte Fest, das Hertha je gefeiert hat. Nach dem 3:2 über 1860 Mün­chen in Köln war­teten am 15. Juni 1931 tau­sende Ber­liner am Bahnhof Fried­rich­straße, um die Mann­schaft zum Gesund­brunnen zu geleiten. Die Bür­ger­steige ent­lang der Fried­rich­straße und später in der Brun­nen­straße reichten nicht aus, alle win­kenden Men­schen fassen zu können“, hat Her­thas Mit­tel­stürmer Bruno Tute“ Leh­mann später erzählt.

Sobek bekam Ärger mit der NSDAP

Das Finale von Köln war ein Wen­de­punkt. Die Meis­ter­mann­schaft hatte ihren Zenit über­schritten, was Hertha am Ende wahr­schein­lich die Ver­ein­nah­mung durch die Nazis ersparte. Der rote Wed­ding, von Ernst Busch mit rol­lendem Rrrrr!!! besungen, stand bei den braunen Macht­ha­bern unter Gene­ral­ver­dacht. Der große Hanne Sobek bekam Ärger mit der Gesund­brunner Sek­tion der NSDAP und nahm vorweg, was sein Verein ein halbes Jahr­hun­dert später tun sollte. Er zog aus dem pro­le­ta­ri­schen Norden in den feinen Westen, an den Kai­ser­damm nach Char­lot­ten­burg.

Doch ein Her­thaner ist Sobek sein Leben lang geblieben. Noch mit Mitte 40 fuhr er mehr­mals in der Woche an den Gesund­brunnen, wenn sein Klub knapp bei Per­sonal war, also eigent­lich immer, vor allem in den Kriegs­jahren. Die Nazis taten alles dafür, der Bevöl­ke­rung so etwas wie Nor­ma­lität vor­zu­gau­keln, und dazu gehörte unbe­dingt, dass Fuß­ball gespielt wurde. Immer häu­figer mussten die Spiele wegen Bom­ben­alarms unter­bro­chen werden. Zwei Tage bevor Wil­helm Keitel in Karls­horst die deut­sche Kapi­tu­la­tion unter­zeich­nete, ging die Haupt­tri­büne des Her­tha­platzes in Flammen auf.

Hanne Sobeks Sohn Bernd erin­nert sich bis heute daran, wie er mit dem Vater in den ersten Tagen nach Kriegs­ende mit der S‑Bahn zum Gesund­brunnen fuhr. Die Mil­lio­nen­brücke war in der Mitte ein­ge­stürzt, aber es gab noch die alte Treppe runter zum Zau­ber­berg. Also klet­terten sie über die Beton­bro­cken nach unten, aber da war kein Zau­ber­berg mehr und auch kein Uhren­berg. Wo sich einmal die kleine Tri­büne auf­ge­baut hatte, lagen nur noch ver­kohlte Holz­bohlen. Der Vater stand schwei­gend da, mit ihm eine Hand­voll anderer Männer, alles Freunde und Bekannte vom Vater, und wie der kleine Bernd ihnen in die Gesichter schaute, da konnte ich sehen, dass sie alle Tränen in den Augen hatten“.

Hertha BSC blieb am Gesund­brunnen und mühte sich mit beschei­denen Mit­teln um den Wie­der­aufbau des Platzes. Vor dem Krieg passten mal 35.000 Zuschauer hinein, nach der Neu­eröff­nung 1950 reicht es nur noch für 20.000. Zu wenig für die Bun­des­liga, die 1963 ihren Spiel­be­trieb auf­nahm, mit Hertha als Grün­dungs­mit­glied. Das war so unum­stritten nicht, denn die erfolg­reichste Ber­liner Mann­schaft nach dem Krieg war nicht Hertha, son­dern Tas­mania 1900 aus Neu­kölln. Hertha aber gewann die letzte Ber­liner Meis­ter­schaft und über­zeugte den DFB zudem mit krea­tiven Zahlen, die nicht ganz der wirt­schaft­li­chen Leis­tungs­kraft ent­spra­chen.

Der Mau­erbau schnitt Hertha von den Fans ab

Für zwei Jahre zog Hertha ins Olym­pia­sta­dion um, trai­nierte aber wei­terhin an der Plumpe, nur einen Abstoß weit von der Ber­liner Mauer ent­fernt. Am Her­tha­platz war die West-Ber­liner Welt zu Ende. Eine steile Rampe führt hinauf zur Behm­stra­ßen­brücke, wo die DDR-Grenzer patrouil­lierten. Wed­ding oder Prenz­lauer Berg – das hatte früher nie­manden inter­es­siert. Der Mau­erbau schnitt Hertha von seiner Anhän­ger­schaft in den Arbei­ter­quar­tieren jen­seits der Reichs­bahn­gleise ab. Bis zum 13. August 1961 hatte der Klub ein treues Publikum in Mitte, Prenz­lauer Berg und Fried­richs­hain.

Bedingt durch die West-Ber­liner Insel­lage musste Hertha in neues Per­sonal mehr inves­tieren, als erlaubt war. Die Bun­des­liga war in ihren ersten Jahren ein selt­sames Kon­strukt, mit einem Liga­statut, das Hand­gelder, Gehälter und Prä­mien auf ein künst­lich niedrig gehal­tenes Niveau drückte. Schwarz­geld floss bei allen Klubs, aber nur Hertha wurde erwischt und zum Zwangs­ab­stieg ver­ur­teilt.

Ein letztes Mal ging es zurück zur Plumpe. Für drei Jahre, bis zum Wie­der­auf­stieg 1968, es waren die letzten großen Fuß­ball-Momente, die der Her­tha­platz erlebte. Nach dem Bun­des­liga-Skandal von 1971, in den auch Hertha ver­wi­ckelt war, sanken die Zuschau­er­zahlen so dra­ma­tisch, wie die Schulden stiegen. 6,6 Mil­lionen D‑Mark waren es am Ende. Zum Über­leben musste Hertha BSC die eigene Seele ver­kaufen, die alte Heimat an der Plumpe, die der Senat in einem beson­ders schönen Bei­spiel für West-Ber­liner Sub­ven­tionen in lukra­tives Bau­land umwan­delte. Hertha kas­sierte 6,2 Mil­lionen D‑Mark und war auf einen Schlag fast schul­den­frei. 1974 kamen die Abriss­bagger und machten Platz für 440 Woh­nungen.

Hertha blieb nur noch mit zwei, drei Zehen­spitzen am Gesund­brunnen. Die Jugend­ab­tei­lung bezog das NNW-Casino neben dem frü­heren Sche­bera- und jet­zigen NNW-Platz. Hertha-Domizil“ stand über dem Ein­gangs­portal. Die Jugend­mann­schaften ver­streuten sich über den gesamten Wed­ding. Als Her­thas Ama­teure 1993 sen­sa­tio­nell das deut­sche Pokal­fi­nale erreichten, trai­nierten sie mal im Schil­ler­park, an der Ram­ler­straße oder an der Behm­straße. Erst Ende der Neun­ziger erfolgte der Umzug der meisten Mann­schaften auf das Olym­pia­ge­lände in Neu-Westend. Hertha hatte den Gesund­brunnen end­gültig auf­ge­geben.

Hier wurde der Fuß­ball platt­ge­macht

Wo früher mal Zauber- und Uhren­berg mit den Schloten der Fabriken um die Luft­ho­heit stritten, prägt heute ein graues Wohn­ge­birge das Bild. In Beton gegos­sener Chic der sieb­ziger Jahre. Am Ein­gang zum Hof ver­kündet die Plastik eines auf­ge­ris­senen Balles: Hier wurde der Fuß­ball platt­ge­macht. Das Hertha-Domizil, lange Jahre dem Ver­fall preis­ge­geben, dient seit drei Jahren dem Easy­jetset als Hostel. Am Bahnhof Gesund­brunnen hat die Deut­sche Bahn jetzt zum 125. Geburtstag eine Info­tafel über die Ver­gan­gen­heit des einst pro­mi­nen­testen Anlie­gers ange­bracht und das Trep­pen­haus zur Ring­bahn mit blau-weißen Wand­ge­mälden ver­ziert. Es gibt jetzt auf dem Vor­platz auch wieder ein Stra­ßen­schild, das auf den Hanne-Sobek-Platz“ ver­weist. Und am Haus Behm­straße Nummer 11 prangt immer noch groß und ele­gant der Schriftzug Hertha BSC“, Hin­weis auf den Fan­shop, in dem der Verein mal Tri­kots und Tickets und Tinnef ver­kauft hat.

Der Fan­shop ist längst aus­ge­zogen und hat Platz gemacht für das Bür­ger­büro eines SPD-Abge­ord­neten. Damit der Gesund­brunnen ein biss­chen rot bleibt, wenn er schon nicht mehr blau-weiß ist.