Im letzten ernstzunehmenden Test vor der Weltmeisterschaft verspielt die DFB-Elf gegen England den fast sicheren Sieg. So sind die Zweifel größer als die Zuversicht.
Knapp anderthalb Jahre vor ihrem vierten und bis heute letzten WM-Titel hat die Nationalmannschaft ein Spiel bestritten, das unzweifelhaft zu den aufregendsten und verrücktesten in der Geschichte des deutschen Fußballs zählt. In der WM-Qualifikation gegen Schweden führten die Deutschen zur Halbzeit 3:0, gleich nach der Pause erhöhten sie auf 4:0 – am Ende aber, nach einem totalen Kontrollverlust, mussten sie sich mit einem 4:4 abfinden.
Dieses Spiel im Berliner Olympiastadion verstärkte noch einmal die generellen Vorbehalte gegen die deutsche Nationalmannschaft und vor allem gegen ihren damaligen Trainer Joachim Löw, der vielen immer schon als nicht wettkampfhart genug gegolten hatte.
20 Monate später kehrte Löw dann als Triumphator von Rio nach Berlin zurück.
„Diese Erfahrung hat uns geholfen“, hat Hansi Flick, Löws damaliger Assistent und heutiger Nachfolger als Bundestrainer, über das 4:4 gegen Schweden in seinem Buch geschrieben, das gerade erschienen ist. Insofern könnte im Moment also alles bestens sein.
Denn Flick und seine Mannschaft haben am Montagabend in Wembley ihr eigenes Schweden erlebt. Mitte der zweiten Halbzeit führten sie gegen ein bemitleidenswert harmloses englisches Team mit 2:0. Der Sieg und damit die Rehabilitation für die Niederlage drei Tage zuvor gegen Ungarn schien ihnen sicher.
Dann aber drehten die Gastgeber in kürzester Zeit das Spiel, glichen durch zwei Tore binnen drei Minuten zum 2:2 aus und gingen wenige Minuten vor dem Ende durch einen Foulelfmeter sogar in Führung.
Und auch wenn Kai Havertz kurz vor Schluss noch das 3:3 für die Deutschen gelang: Dieses Spiel, das letzte vor der unmittelbaren Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft in Katar, fühlte sich wie eine Enttäuschung an. Mit „Schweden 2012“ aber ist es nur vordergründig zu vergleichen. Daher wäre es sehr einfach und allzu naiv, die deutsche Nationalmannschaft nun auf dem besten Wege zum WM-Titel zu sehen.
Zum einen gibt es da natürlich keinen Automatismus, der am Montag in Gang gesetzt wurde. Und zum anderen sind die Voraussetzungen ganz andere als vor zehn Jahren.
Die Mannschaft von damals hatte nicht nur ausreichend Zeit, sich in WM-Form zu bringen; sie war auch über die Jahre gewachsen und versammelte eine Menge gestandener Fußballer in der Blüte ihrer Schaffenskraft in ihren Reihen.
Das lässt sich über die das aktuelle Team nicht zwingend sagen. Talent ist – ohne Zweifel – vorhanden, auch eine gewisse Erfahrung, aber die strukturellen Schwächen etwa im Sturm oder auf den defensiven Außenposition werden sich in den knapp acht Wochen bis zur WM-Endrunde in Katar kaum beheben lassen.
„Vielleicht war es ein gutes Spiel zum Lernen“, hat Kai Havertz, der doppelte Torschütze von Wembley, nach dem 3:3 gegen die Engländer gesagt. Vielleicht. Aber den möglichen Lerneffekt hatten die Deutschen auch schon nach dem 0:1 gegen Ungarn drei Tage zuvor beschworen.
Sie wollten ja lernen. Offenbar konnten sie nicht.
Dieser Text erscheint im Rahmen unserer Kooperation mit dem Tagesspiegel.