Er brauchte nur zwei Jahre, um in Frankfurt zur Legende zu werden – jetzt steht er vor der Rückkehr: Luka Jovic über seine Kindheit in Belgrad, dicke Waden und seine Liebe zur Eintracht.
Das Interview erschien erstmals im Sommer 2019. Mittlerweile steht Luka Jovic bei Real Madrid unter Vertrag, fasste dort aber nie so richtig Fuß. Vor dem Pokalspiel gegen Bayer Leverkusen verkündete Eintrachts Sportvorstand Fredi Bobic, dass der Serbe leihweise bis zum Saisonende nach Frankfurt zurückkehren soll.
Luka Jovic, können Sie mit dem Namen Ulf Kirsten etwas anfangen?
Nein, ich fürchte nicht.
Ulf Kirsten stürmte für Bayer Leverkusen und war dreimal Bundesliga-Torschützenkönig. Frankfurts Sportdirektor Fredi Bobic sagte mal über Sie: „Von der Statur erinnert er mich an Ulf Kirsten. Oberschenkel, Waden – unglaublich fest. So wie der Ulf. Und im Strafraum ist er ein Killer!“
Ich weiß, meine Beine fallen auf. Aber mir ist viel wichtiger, clever zu spielen. Ich liebe schlaue Spieler und versuche, mit Köpfchen zu spielen. Mit nur einem Kontakt Bälle klatschen zu lassen, danach in den freien Raum zu starten, den Angriff zu beschleunigen, simplen Fußball zu spielen. Ich bin kein Kämpfer, der 90 Minuten rackert. Ich liebe das Einfache. Meine Kraft will ich nur einsetzen, wenn ich mit Köpfchen nicht weiterkomme.
Trotzdem müssen wir noch einmal wegen der Waden nachhaken: Waren die schon in ihrer Kindheit so beeindruckend dick?
Ich spielte bereits als 15-Jähriger in der U19 von Roter Stern Belgrad und schoss, obwohl ich drei, vier Jahre jünger war als die Gegner, 40 Tore pro Saison. Mich gegen diese Spieler durchzusetzen, das klappte natürlich nur, weil ich körperlich schon so weit war. Kennen Sie die Sage von Samson und Delila?
Wir wissen, dass es um lange Haare und sehr viel Kraft geht.
Genau, Samson tötet mit bloßen Händen einen Löwen. Doch als ihm seine langen Haare von Delila abgeschnitten werden, verliert er all seine Kraft und ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Früher hatte ich ganz langes, wuscheliges Haar, weil ich aussehen wollte wie mein Lieblingsspieler Falcao. Und mein Berater sagte immer zum Spaß: Schneid’ dir bloß nicht deine Haare ab, deine Stärke liegt in deinen Haaren. Genau wie bei Samson! Aber: Meine Stärke liegt in meinen Waden. Und als Falcao sich die Haare schnitt, mussten meine auch ab. Ich traf trotzdem weiter.
Sie fingen bereits als Achtjähriger an, für Roter Stern Belgrad zu spielen. Dabei wuchsen Sie gar nicht in Serbien auf, sondern in Batar, einem bosnischen Dorf nahe der serbischen Grenze.
Batar ist ein winziges Dorf, es gibt dort nur 105 Häuser. Belgrad liegt 150 Kilometer davon entfernt. Meine Eltern haben sehr viel Zeit und Energie in meine Entwicklung gesteckt, sie waren meine größten Unterstützer. Um dort anzukommen, wo ich heute bin, mussten sie viel opfern.
Zum Beispiel?
Mein Vater fuhr mich dreimal in der Woche in unserem klapprigen Passat nach Belgrad, zwei Stunden pro Strecke. Oft spielte ich am Wochenende zweimal, samstags nachmittags und sonntags morgens. Weil es keinen Sinn gemacht hätte, zwischen den Spielen nach Hause zu fahren, stellten wir uns auf einen Parkplatz und übernachteten dort. Ich im Kofferraum, er auf dem umgeklappten Vordersitz. Für mich war das kein Problem, ich war ja klein, vielleicht zehn, und hatte kurze Beine. Aber für ihn war es nicht immer angenehm. Im Gegenteil: Es waren abenteuerliche Nächte.
War Ihr Vater ebenfalls Fußballer?
Nein. Ihm gehörte ein kleiner Supermarkt in Batar.
Gibt es den noch?
Seitdem ich Profi bin, hat er einen etwas größeren Laden. (Lacht.) Das Geld, das ich mit meinem ersten Vertrag verdient habe, ist quasi direkt ins Familienunternehmen geflossen.
Sie kamen 1997 zur Welt, zwei Jahre nach Ende des Bürgerkriegs. Was bekommt man als Kind von den Folgen eines Krieges mit?
Ich hatte großes Glück. Die schrecklichen Dinge sind vor meiner Geburt passiert, Batar selber wurde auch nicht zerstört. Insofern waren zum Beispiel die Häuser noch heile, man sah keine Einschusslöcher. Und für mich bestand das Leben ohnehin vor allem aus Fußball. Mit fünf Jahren ging ich in einen Verein bei mir in der Gegend, wenig später entdeckte mich ein Scout und ich landete bei Roter Stern. Mit elf Jahren zog ich dann nach Belgrad.
Gingen Ihre Eltern mit nach Serbien?
Nein, ich wohnte mit anderen Jugendspielern in einer Art Fußballer-WG. Zu Beginn war das natürlich nicht einfach. Ich war jung, ich habe meine Familie vermisst. Aber man muss sich daran gewöhnen und schnell erwachsen werden.
Das haben Sie offensichtlich geschafft. Vor wenigen Wochen konnten Sie bereits ein erstes echtes Profijubiläum feiern. Wissen Sie, was wir meinen?
Natürlich, den 28. Mai 2014. Mein Debüt für Roter Stern Belgrad ist jetzt etwas mehr als fünf Jahre her.
Sie trafen damals nur drei Minuten nach Ihrer Einwechslung zum 3:3 gegen Novi Sad. Durch das Tor wurden Sie mit 16 Jahren, fünf Monaten und fünf Tagen zum jüngsten Torschützen der Vereinsgeschichte. Und Roter Stern Belgrad serbischer Meister.
Ich bekam die Chance, in einem der stärksten Roter-Stern-Teams aller Zeiten zu debütieren. Wir lagen mit 2:3 zurück, dann wurde ich eingewechselt. Ich habe die Szene im Kopf, als wäre sie gestern passiert: Ich bin gerade zwei Minuten auf dem Feld, da bekomme ich einen großartigen Chipball von Milos Ninkovic in die Tiefe gespielt. Ich pflücke ihn mit der Brust aus der Luft und schiebe ihn dann aus spitzem Winkel am Torwart vorbei in die lange Ecke. Das muss man sich mal vorstellen: Ich traf mit meinem ersten Torschuss als Profi! 15 Minuten später waren wir serbischer Meister. Ein großartiger Tag. Ich trage das Datum bis heute eingestickt auf meinen Fußballschuhen.
Durften Sie als 16-Jähriger überhaupt mitfeiern? Oder mussten Sie die Party um Mitternacht verlassen?
Ich habe damals nie mit den Erwachsenen gefeiert. Erst zum Schluss, in meiner letzten Saison, als ich 18 Jahre alt war, wurde es normaler, mit den Alten nach dem Spiel unterwegs zu sein. Aber als 16-Jähriger? Nein. Ich bin nach dem Spiel einfach nach Hause gegangen.
Denkt man an Roter Stern Belgrad, denkt man sofort an den legendären Spielertunnel. Einen etwas runtergerockten, grau betonierten und engen Gang, der aussieht, als würde man in einen Kerker geführt werden und nicht in ein Fußballstadion. Rutscht dem Gegner in diesem Tunnel das Herz automatisch in die Hose?
Das müssten Sie die Gegner fragen! Zum Beispiel die Liverpool-Spieler, die dort mit 0:2 verloren haben. (Lacht.) Aber klar, ich habe erlebt, wie manchen Gegenspielern dort die Knie schlotterten. Zumal unsere alten Hasen immer schon im Tunnel anfingen, die andere Mannschaft auch mit Trash-Talk einzuschüchtern. Für mich war der Gang aber irgendwann Routine. Ich kenne den Tunnel schon seit meiner Kindheit.
Warum das?
Es gibt in Belgrad einen Brauch. Hinter den Spielern laufen stets Kinder, ausgestattet mit Fahnen, die sie dann auf dem Platz schwenken. Wenn ich als Kind die Chance bekam, das zu tun, war das eine große Ehre. Allerdings musste ich auch mental darauf vorbereitet sein. Auf den Lärm im Tunnel. Auf das Getöse. Auf den Druck, den man spürt. Aber dementsprechend wurde ich als Spieler nicht mehr nervös, wenn ich ins „Marakana“ einlief.
Allgemein scheint Ihnen Druck nicht viel auszumachen. Roter-Stern-Präsident Zvezdan Terzic bestand angeblich darauf, dass Sie schon als 16-Jähriger die Rückennummer neun bekamen. Obwohl es deswegen zum Streit mit Platzhirsch Djordje Despotovic kam.
Er wunderte sich, warum ich als Kind diese Nummer bekommen sollte. Terzic, der einer meiner größten Förderer war, antwortete ihm: „Selbst wenn Robin van Persie jetzt von Manchester United käme, würde ich Jovic die Neun geben.“ Aber es war alles halb so wild. Ich kannte Despotovic zum Glück gut, er wohnte nur ein paar Minuten von mir entfernt. Wir hatten keinen Ärger.
Mit der Nummer neun auf dem Rücken schossen Sie so viele Tore, dass auf einmal ein Topklub wie Benfica Lissabon auf Sie aufmerksam wurde. Bloß: Sie wollten gar nicht wechseln, oder?
Nein, ich wollte nicht wechseln. In meinem Kopf stand fest: Ich bleibe noch bis zum Saisonende. Wir waren 20 Punkte vor dem ersten Konkurrenten, ich wollte unbedingt noch mal Meister werden. Aber dann verkaufte mich der Klub bereits im Winter, weil er das Geld brauchte. Als ich in Lissabon ankam, habe ich die ersten drei Tage geweint.
In Lissabon lief bei Ihnen nicht viel zusammen, sie spielten kaum und galten als unprofessionell. Dann zogen Sie sich zu allem Überfluss noch eine Schnittwunde am Fuß zu. Angeblich auf einer Party! Stimmt diese Geschichte?
Es war nicht beim Feiern, das war nur ein Gerücht. Es ist bei mir zu Hause im Pool passiert. Ich weiß bis heute nicht genau wie, ich habe den Schnitt zunächst gar nicht gespürt. Aber auf einmal war das Wasser voller Blut. Ich kann Blut nicht so gut sehen und fand den Schnitt total eklig, aber ich bin dann sofort ins Krankenhaus gefahren. Dort musste die Wunde mit zehn Stichen genäht werden. Ich konnte 50 Tage nicht spielen – das hat dem Verein natürlich nicht so richtig gut gefallen.
Fredi Bobic sagt, in Frankfurt hätte Niko Kovac Sie und Ihre Arbeitseinstellung einmal auf links gedreht. Wie hat er das gemacht?
Er nahm mich sehr herzlich auf. Obwohl es von mir ja hieß, dass ich nicht professionell genug leben und nicht hart genug an mir arbeiten würde. Dazu dann die Geschichte mit der Schnittverletzung. Und manche der Vorwürfe stimmten ja auch. Doch Kovac half mir, den richtigen Weg zu finden. Er gab mir im Training nicht einen Moment lang die Chance, faul zu sein. Ich hatte nicht eine Minute meine Ruhe. Er forderte mich immer, wollte sehen, dass ich mich in jedem einzelnen Training verausgabe. Im Nachhinein bin ich ihm dafür sehr dankbar. Kovac war ein wichtiger Trainer für mich. Er machte aus mir einen besseren Spieler und auch einen besseren Menschen.
Spätestens in der Saison 2018/2019 gelang Ihnen der große Durchbruch, allein in der Europa League erzielten Sie zehn Treffer. Von all den magischen Nächten in Europa: Welche war Ihnen die liebste?
Ganz klar: die in Mailand. Das Spiel gegen Inter war gigantisch. Ich bin so stolz, dass ich dort vor 15 000 mitgereisten Eintracht-Fans antreten und diese Stimmung erleben durfte. Dann schoss ich auch noch das Tor. Unbeschreiblich. Aber auch die anderen Spiele waren der Wahnsinn. Die Unterstützung war das ganze Jahr über unglaublich, die Choreos zu Hause, die Stimmung während der Spiele. Ich kann jedem versichern: Wenn wir vom zwölften Mann geredet haben, dann war das auch genau so gemeint – und nicht nur so dahergesagt. Die Fans haben uns getragen.
Nach dem Ausscheiden gegen Chelsea stand die Mannschaft minutenlang vor den Fans, gemeinsam wurden SGE-Lieder gesungen. Kennen Sie eigentlich die Texte?
„Schwarz!“, (fängt an zu singen) „Weiß! Rot! Das ist beste Farbe!“ So in etwa geht das, glaube ich. Wissen Sie: Ab und zu war ich in einem Café, in dem viele Eintracht-Fans rumhängen. Manchmal machten sie dann über die Lautsprecher Fan-Songs an und der ganze Laden sang. Vor allem dort habe ich die Texte gelernt. Ich muss an dieser Stelle wirklich noch mal betonen: Der Verein und die Stadt sind phantastisch. Auch für die großartigen Kollegen, mit denen ich hier zusammenspielen durfte, bin ich dankbar.
Apropos großartige Kollegen: Warum jubelte Ante Rebic immer schon, bevor Sie geschossen hatten?
Ich glaube, er jubelte nicht, sondern war sauer, weil ich ihn nicht anspielte! (Lacht.) Ante will ständig den Ball haben.
Beim Rückspiel gegen Chelsea jubelte er schon, bevor Sie überhaupt am Ball waren. Ihr bisher emotionalster Treffer?
Das Tor war super, immerhin war es ein Halbfinale gegen eine große Mannschaft. Aber das bisher schönste war der Seitfallzieher gegen Düsseldorf. Und das wichtigste war das im DFB-Pokalhalbfinale gegen Schalke vorletzte Saison, das mit der Hacke. Es hat uns das Pokalfinale gegen die Bayern ermöglicht.
Waren Sie eigentlich Teil der Gang, die am Spielfeldrand mit Mijat Gacinovic mitrannte?
Ja, ich habe die Gruppe angeführt. Schauen Sie sich die Bilder noch mal an. Ich bin der Typ im grünen Leibchen, der schon in dem Moment, als Mijat die Mittellinie überquert, anfängt zu hüpfen. Als klar wurde, dass er nur noch das leere Tor treffen musste, wollte ich ihn unbedingt als Erster umarmen. Ich kenne ihn schließlich schon ewig und war so unglaublich froh. Ich konnte es dann auch nicht mehr abwarten und bin quer über den Platz zu ihm rüber gerannt. Was dann vor unserem Block passiert ist, wissen Sie ja.