Die Frage kommt wie die nächste Gemeinheit auf Kosten des FC Schalke 04 daher, aber welche Gemeinsamkeiten haben die Gelsenkirchener und Real Madrid eigentlich gerade? Wobei als Antwort nicht die gemeinsame Verehrung für den Stürmer Raúl gilt. Erstaunlicherweise hat Real in diesem Sommer bislang nur Spieler abgegeben, für fast 100 Millionen Euro.
Neu verpflichtet hingegen hat der Klub bis auf den heutigen Tag niemanden, da hat sogar Schalke mit dem alternden Mini-Jobber Vedad Ibisevic und dem Leihstürmer Gonçalo Paciência vergleichsweise spektakulär zugeschlagen. Dafür sind sowohl nach Gelsenkirchen wie nach Madrid eine Menge Kicker von Ihren Ausleihen zurückgekommen, wobei Sebastian Rudy, Mark Uth und Nabil Bentaleb bekanntlich lieber dort spielen würden, wo sie bis zum Sommer waren, auch wenn sie zaghaft das Gegenteil behaupten.
Das passt zur wunderbaren Untergangserzählung, die sich seit Monaten um Schalke zusammenspinnt. Die Mannschaft hat zum letzen Mal vor acht Monaten ein Pflichtspiel gewonnen, als noch niemand wusste, wer Christian Drosten ist. In der Zwischenzeit ist Big Boss Clemens Tönnies abhanden gekommen, der ewige Finanzchef Peter Peters ebenso, und Geld ist auch keines mehr da. Das letzte Derby gegen Borussia Dortmund ging 0:4 verloren, das 0:8 beim Saisonstart in München war die höchste Bundesliganiederlage seit über 50 Jahren. Und seien wir ehrlich, sie hätte problemlos noch höher ausfallen können.
Der einzige Profiteur des ganzen Elends dürfte der Journalist und Schalke-Fan Hassan Talib Haji sein. Er gehört inzwischen zu den Favoriten für den Fußballspruch des Jahres: „Ich habe mal zu meiner Schwester gesagt: Wenn du irgendwann mal einen Mann heiratest, nimm einen Schalker. Den kannst du so oft enttäuschen, wie du willst – der bleibt immer an deiner Seite.“
Das ist aber nur der eine Aspekt, weshalb es um Schalke vielleicht gar nicht so schlecht steht, wie es auf den ersten Blick aussieht. Denn nicht nur die Zuneigung des königsblauen Publikums ist unkaputtbar. Auch jenseits des üblichen Die-Krise-als-Chance-Gewäschs ist, nun ja, diese Krise eine große Chance für Schalke.
Der Klub hatte sich in den letzten Jahren komplett darin verloren, Wetten auf eine Zukunft abzuschließen, die dann nicht eintrat. Mittelprächtiges Talent wurde absurd überbezahlt, die Trefferquote bei Transfers war bescheiden. Und wie ein Zocker am Roulettetisch, der seine verlorenen Einsätze wieder zurückholen will, wurden die Einsätze ständig weiter erhöht. „Man hat uns in den vergangenen Jahren immer vorgeworfen, wir hätten kein Einnahme-Problem, sondern ein Ausgaben-Problem. Das kann man so sehen“, hat Marketing-Vorstand Alexander Jobst neulich gesagt. Durch die Corona-Krise ist auch noch ein Einnahme-Problem dazugekommen.
Im Grunde steht Schalke letztlich dort, wo der Nachbar Borussia Dortmund im Jahr 2005 stand, als die Pleite nur einen Wimpernschlag entfernt war. Auch der BVB hatte seine Wetten auf die Zukunft verloren und zusätzlich mit einem unverschuldeten Problem zu kämpfen, das damals Kirch-Krise hieß, aufgrund derer etliche Fernsehmillionen fehlten.
Ohne diese Krise stünde Borussia Dortmund nicht da, wo der Klub heute steht. Ein Trainer wie Jürgen Klopp wäre nie Coach dort geworden. Ein modernes datenbasiertes Scouting hätte es auch nicht gegeben, das brauchte man zum Großeinkauf in der Feinkostabteilung nicht. Doch bis das nächste goldene Zeitalter anbrechen konnte, hat es auch in Dortmund einige Zeit gedauert. Der Prozess dahin war teilweise chaotisch, wie es solche Krisen eben mit sich bringen. Und er produzierte unverhoffte Gewinner wie Sven Mislintat, der selber sagt, dass er unter normalen Bedingungen als Scout nie in eine so wichtige Rolle hätte kommen können wie damals als Chefscout. Heute ist er Sportdirektor beim VfB Stuttgart.
Die Frage ist allerdings, ob es bei Schalke derzeit Sanierer gibt, wie es damals beim BVB Hans-Joachim Watzke oder sein Finanzmann Thomas Tress waren. Denn gleichsam naturwüchsig wird Schalke sich nicht erholen. Gerade gibt es bei dem Klub aber keine Person, die den neuen Weg des Klubs verkörpert und eine Richtung vorgibt. Falls überhaupt schon jemand die Idee hat, wo es zumindest mal grob entlang gehen könnte. Das merkt man auch daran, dass gerade die spannendste Frage zu sein scheint, ob David Wagner nach dem Wochenende und dem Heimspiel gegen Werder Bremen noch Trainer sein wird.
Nun mögen die Nachfragen, ob das mit dem Trainer und seiner Mannschaft noch passt, durchaus berechtigt sein. Denn etwas zu oft hat sich Wagner von denen distanziert, mit denen er arbeitet. Aber eigentlich ist das ein Nebenkriegsschauplatz, denn vor allem fehlt es an einer Idee für das neue Schalke. Der Klub wird aber nicht darum hin kommen, sich auf die ein oder andere Weise auf den schwarz-gelben Weg zu machen. Klingt gruselig, wird aber helfen.