Beim VfB Stuttgart tobt ein unübersichtlicher Machtkampf. Dabei geht es um eine einfache Frage: Was haben die Mitglieder noch zu sagen?
Es war ein Donnerschlag am Mittwochmorgen. Claus Vogt, der Präsident des VfB Stuttgart, verkündete per Mitteilung an die Mitglieder, dass er die eigentlich für den 18. März 2021 anvisierte Mitgliederversammlung in den September verschieben wolle. Erst später im Jahr könne die Versammlung als Präsenzveranstaltung abgehalten werden, zudem stünden dann alle Informationen zur sogenannten „Datenschutzaffäre“ bereit, die den Klub seit Herbst 2020 beschäftigt. Es war dies ein bemerkenswerter Schritt, zumal er gegen den erklärten Willen seiner beiden Präsidiumskollegen, Rainer Mutschler und Bernd Gaiser, getan wurde. Die beiden hatten zuvor mit eher unbeholfenen Taschenspielertricks versucht, dem Präsidenten die Zustimmung zum Termin am 18. März abzuringen. Vergeblich.
Das Schreiben des Präsidenten war nur die jüngste Volte in einer Fehde, die den Klub in seinen Grundfesten erschüttert. „Die größte interne Krise“ der Vereinsgeschichte, schreibt Vogt. Und das ist nicht übertrieben. Für Außenstehende sind die Stuttgarter Vorgänge allerdings nur schwer zu durchschauen, vor allem weil das Personaltableau zunehmend unübersichtlich geworden ist. Claus Vogt, Thomas Hitzlsperger, Wilfried Porth, Rainer Mutschler, Bernd Gaiser – wer sind die Schurken, wer die Guten?
Dabei steht im Mittelpunkt der Verwerfungen eine ganz einfache Frage: Wie sehr will der VfB Stuttgart eigentlich noch Verein sein, mit einem Mitbestimmungsrecht seiner Mitglieder? Die Beantwortung dieser Frage führt nicht in die Mercedesstraße zur Geschäftsstelle des Klubs, sondern nach Untertürkheim zur Daimler AG. Der Automobilkonzern ist seit jeher ein wichtiger Machtfaktor beim VfB Stuttgart, hatte sich aber lange Jahre eher im Hintergrund gehalten. Erst 2012 wurde richtig rangeklotzt, zunächst als Haupt- und Trikotsponsor und seit 2017 als sogenannter Ankerinvestor mit 11,75 Prozent der ausgegliederten AG-Anteile.
Dieser Einstieg war nur möglich geworden, weil auf einer Hauptversammlung eine Dreiviertelmehrheit der Mitglieder für eine Herauslösung der Fußballabteilung aus dem Hauptverein stimmte. Diese Abstimmung ist nun auch der Nukleus des Machtkampfes im VfB. Denn damit tatsächlich die Mehrzahl der Mitglieder für die Ausgliederung votiert, wurde viel unternommen, auf legalem wie auf illegalem Weg, wie man heute weiß. Unter anderem wurden von leitenden Angestellten die Daten von über 40.000 VfB-Mitgliedern an eine PR-Firma weitergegeben, um gezielte Werbung zu ermöglichen. Ein eklatanter Verstoß gegen den Datenschutz, der jedoch lange unter der Decke gehalten wurde. Erst Ende September 2020 enthüllte der Kicker die Machenschaften, nach anfänglichem Abwiegeln wurde dann die Berliner Kanzlei ESECON mit einer Untersuchung der Vorgänge beauftragt. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Vorgänge eine noch weitgehend handelsübliche Affäre, die mit einer transparenten Aufarbeitung und Rücktritten der verantwortlichen Personen hätte ausgestanden werden können. Beim VfB Stuttgart war sie jedoch der Auftakt einer nahezu beispiellosen Schlammschlacht, mit zahllosen Intrigen, Durchstechereien und Vertuschungen, wie sie kein Filmregisseur sich hätte besser ausdenken können und die seit Wochen nahezu täglich für neue Schlagzeilen sorgt.
Womit wir endlich bei der Daimler AG wären und beim wichtigsten Emissär des Konzerns beim VfB, Vorstand Wilfried Porth. Der ist seit 2015 stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates, war die treibende Kraft hinter dem Anteilsverkauf an die Daimler AG und war auch maßgeblich daran beteiligt, Thomas Hitzlsperger im Oktober 2019 zum Vorstandsvorsitzenden der AG zu berufen und dabei natürlich auch eine ganz eigene Agenda zu verfolgen, die da lautet: die ausgegliederte AG möglichst weit entfernt vom Zugriff durch den Hauptverein zu positionieren.