Erstmals seit 1998 spielt Schottland wieder ein großes Turnier. Dazwischen lagen 22 Jahre mit grotesken Pleiten, Pech und Pannen. Am Ende hatten sogar die Engländer Mitleid mit dem unglückseligen Nachbarn.
Vor sechs Monaten machten Bilder aus der Kabine der schottischen Nationalelf Schlagzeilen. Die Spieler, die sich gerade in einem Elfmeterschießen gegen Serbien für die EM qualifiziert hatten, grölten den Disco-Heuler „Yes Sir, I Can Boogie“ und hüpften dazu umher. Einige Fans forderten danach, dass der Song ab sofort als inoffizielle Nationalhymne gelten sollte. Man muss den Schotten nachsehen, dass sie so ausrasteten. Ihre letzte Teilnahme an einem großen Turnier liegt 23 Jahre zurück. Das Warten ist selbst Anhängern auf den Magen geschlagen, die es gewohnt sind, schottisches Essen und bittere Niederlagen zu verdauen.
Als Schottland bei der WM 1998 sein Auftaktspiel gegen Brasilien durch ein Eigentor verlor, sagte ein englischer Reporter: „Für die Schotten muss man eine neue Statistik erfinden: Schüsse, Schüsse aufs Tor und Schüsse ins eigene Knie.“ Das war passend, denn in den drei Jahrzehnten zuvor hatte die Neigung der Schotten zur Selbstzerstörung selbst Lemminge neidvoll erblassen lassen. Nur ein Beispiel unter vielen: Bei der WM 1978 wurde Willie Johnstone nach Hause geschickt, weil sein Dopingtest positiv ausfiel, nachdem er eine Pille genommen hatte, die für Schwangere gedacht war.
Und doch denken Schotten an diese Zeit, in der ihre Mannschaft für mehr Stümpereien verantwortlich war als Homer Simpson, mit ein bisschen Wehmut zurück. Denn obwohl Schottland es stets gelang, schon in der Gruppenphase auszuscheiden, war dies die goldene Ära der Mannschaft. Zwischen 1974 und 1998 fuhr das Land öfter zu einer WM-Endrunde als Holland oder der verhasste Rivale England. Das war trotz aller Pleiten, Pech und Pannen eine erstaunliche Leistung. Als das Team in Frankreich nach einer typischen 0:3‑Klatsche gegen Marokko ausschied, ahnte daher niemand, dass gerade eine sehr schottische Art von Erfolgsgeschichte zu Ende gegangen war.
Schottlands Trainer in Frankreich war Craig Brown, ein molliger Mann mit dem Auftreten eines pensionierten Sparkassenleiters, der sich gerade einen Aufsitzrasenmäher gekauft hat. Er war seinen Spielern gegenüber loyal, und sie hatten es ihm oft gedankt, doch nun waren sie so in die Jahre gekommen, dass Journalisten schon scherzten, die Elf würde bald für Treppenlifte Werbung machen. Diese Veteranen verpassten anschließend die EM 2000 und landeten in der Qualifikation zur WM 2002 hinter Kroatien und Belgien, obwohl sie nur ein Spiel verloren. Nichts neues für Schottland, das bei der WM 1974 ausschied, ohne ein Tor zu kassieren. Nach diesem Rückschlag trat Brown zurück, um sich auf die Blumenzucht zu konzentrieren.
Die Anzugträger des schottischen Verbandes gelten seit jeher als altmodisch und gerade geeignet, einen Golfklub in der Provinz zu leiten. Doch nun verfielen sie in einem Moment des Wahnsinns, den manche Beobachter auf ein wenig zu viel Whisky im abendlichen Schlummertrunk zurückführten, auf die Idee, mit der Tradition zu brechen und einen ausländischen Trainer zu verpflichten. Warum sie bei all den Möglichkeiten, die ihnen diese Entscheidung eröffnete, ausgerechnet auf Berti Vogts kamen, ist ein solches Rätsel, dass die Beweisführung für die Existenz dunkler Materie dagegen so simpel wirkt wie die Einwurfregel. Vogts ging beim nötigen Neuaufbau der Mannschaft so planlos vor, dass er selbst den Überblick verlor. Schon in seinem ersten Spiel als Nationaltrainer, einer epochalen 0:5‑Klatsche in Paris – holte er Gary Holt dreißig Minuten, nachdem er ihn eingewechselt hatte, wieder vom Feld, da er ihn offenbar mit einem anderen Spieler verwechselte. Man wundert sich, dass ihm das nicht öfter passierte, schließlich setzte Vogts in weniger als drei Jahren mehr als sechzig Spieler ein, von denen vierzig unter ihm ihr erstes Länderspiel absolvierten. Andere Glanzstücke unfreiwilliger Komik waren seine Pressekonferenzen. Nach einem Unentschieden auf den Färöern, bei dem seine Elf in den ersten 13 Minuten zwei Tore kassiert hatte, sagte Vogts: „Ich weiß nicht, was da passiert ist. Zur Pause habe ich die Spieler gefragt, was passiert ist. Aber sie wussten es auch nicht.“