Im April 2012 präsentierten wir 99 magische Fußballorte in Deutschland, von der Sportschule Malente bis zum Bayreuther Fanmuseum. Der Nordhesse Sascha Kurzrock hat sie besucht.
Dies ist ein Auszug aus unserem 11FREUNDE-Heft „Mein verrücktes Fußballjahr 2018“. Die Geschichten findet ihr in diesem Heft, das am Kiosk eures Vertrauens oder direkt im 11Freunde-Shop erhältlich ist.
Sascha Kurzrock, welchen Ort in Deutschland sollte ein Fußballfan in seinem Leben mindestens ein Mal besucht haben?
Auf jeden Fall den „Alfred-Kunze-Sportpark“ in Leipzig. Das Denkmal für den „Rest von Leipzig“ ist eine Besonderheit, die ich so noch in keinem anderen Stadion gesehen habe.
Das sind die Statuen der Meisterspieler von 1964.
Genau. Dazu die monströse Stehtribüne hinter dem Tor, die einfach nicht aufhören will, in den Himmel zu wachsen, und die schöne Holztribüne. Die sind ja eh immer einen Besuch wert.
Was können Sie noch empfehlen?
Das Museum „Fußballzeitreise“ in Bad Tabarz. Die Macher dort leben den feuchten Traum eines jeden Sammlers und haben einen alten Stall zu Ausstellungsräumen umgebaut. Die Führung dauerte vier Stunden und war keine Minute zu lang. Unbedingt empfehlenswert ist auch das „Waldstadion im Kaffeetälchen“ in Tiefenort, zu DDR-Zeiten für 7500 Zuschauer gebaut. Gleich am Eingang ist so ein herrliches Metalltor, wo die BSG-Initialen eingeschweißt sind, dazu eine ewig lange und zum Teil moosbewachsene Stehtribüne – das Ding ist ein Traum. Wobei man vermutlich schon ein Faible für leicht morbiden Charme haben sollte.
Andere fahren nach Mallorca – warum haben Sie sich für solche Fußballkulturreisen entschieden?
Im April 2012 erschien eine Ausgabe von 11 FREUNDE mit der Titelgeschichte „99 Orte, die Fußballfans gesehen haben müssen“. Wenig später war ich mit meiner Frau in Berlin. Statt zum Alexanderplatz fuhren wir ins Poststadion. Am selben Tag setzten wir uns in die Straßenbahn, um die Klappflutlichtmasten in Babelsberg zu bestaunen. So kamen wir auf den Geschmack. Meine Frau stammt aus Lübeck, 50 Kilometer davon entfernt ist die Sportschule Malente – also hin. Hamburg ist auch nicht weit, Zeit für einen schnellen Besuch in der Viktoria-klause … So ging es immer weiter. Ich schrieb Reiseberichte und veröffentlichte die auf meiner Homepage www.11-km.de
Was macht für Sie die Faszination dieser besonderen Orte aus?
Schon der Weg zum Ziel ist magisch. Man kennt das, wenn hinter einer Ecke plötzlich das Stadion auftaucht oder über den Dächern die Flutlichtmasten zu sehen sind. Für mich fühlt sich das an wie ein Kindergeburtstag für Erwachsene. Am Ende aber sind es die Menschen, die diese Orte erst wirklich besonders machen. Wie bei unserem Trip ins Hermann-Löns-Stadion von Solingen, wo der WDR gerade einen Beitrag drehte und wir Horst Franz (Solingens Trainer von 1977 bis 1980, d. Red.) kennenlernen durften. Oder die Initiatoren des Fußballmuseums in Bayreuth, mit denen wir letztlich fünf Stunden lang in alten Erinnerungen schwelgten.
Fußball als sozialer Kitt?
Absolut. Die Menschen, die wir auf unseren Reisen getroffen haben, ticken im Kern alle ähnlich: Alle eint, dass sie den Fußball von früher vermissen und sich ihn auf irgendeine Weise bewahren oder zurückholen wollen. Vermutlich sind wir alle einfach nostalgische Freaks.
Haben Vereine Verständnis für die Bedürfnisse solcher Freaks?
Teil, teils. Bei der Stadionführung des FC Bayern wurde ich von Studenten durch die Allianz Arena geleitet, bei denen man das Gefühl hatte, dass sie das vor allem machen, weil es ein sehr gut bezahlter Nebenjob ist. Da fehlt das Herz, die echte Leidenschaft. Die Stadionführung in Bochum ist dagegen das komplette Gegenteil. Hier hat man nicht gleich den Eindruck, dass die Geschichte des Klubs vor allem dazu genutzt wird, um Geld zu verdienen, sondern um Tradition zu bewahren und Geschichten zu erzählen.
Haben die vielen Reisen Sie verändert?
Als ich damit anfing, hatte ich mich vom ganz großen Fußball bereits deutlich entfernt. Ich war definitiv angekotzt von der Unnahbarkeit der Klubs, der immer krasseren Kommerzialisierung, all den Auswüchsen des modernen Fußballs. Die magischen Orte haben die Begeisterung zurückgebracht und ein Stück weit meine Kindheit konserviert. Außerdem habe ich dadurch Deutschland noch viel besser kennengelernt. Wann kommt man denn sonst als Nordhesse nach Brandenburg an der Havel, wenn man nicht das Stadion am Quenz besucht? Oder nach Wusterhausen/Dosse, weil dort das Fahrgastschiff „Hertha“ früher vor Anker lag?
Welche Erkenntnisse haben Sie über das Fußballland Deutschland gewonnen?
Dass es keinen Unterschied macht, ob man im Norden, Osten, Süden oder Westen unterwegs ist. Die besondere Leidenschaft für Fußball hat etwas wirklich sehr Einendes. „In den Farben getrennt, in der Sache vereint“ – da ist schon was dran.
Wie viele Orte fehlen noch?
Von den 99 ursprünglich empfohlenen noch drei: das Sportstudio in Mainz, die Fähre zum Weserstadion und die Fußballschule in Freiburg. Insgesamt war ich bislang aber schon an etwa 120 Orten. Und es soll bitteschön so weitergehen, denn zum Glück gibt es noch so viele schöne Holztribünen, die unbedingt einen Besuch wert sind. Ich wäre allerdings sehr dankbar, wenn 11 FREUNDE auf eine Titelgeschichte über „99 Orte in Europa, die Fußballfans gesehen haben müssen“ verzichten würde. Denn das könnte meine Ehe dann doch gefährden.