Lars und Sven Bender werden im Sommer ihre Karrieren beenden. Traurig für alle, die Wertarbeit schätzen. Eine Ode an zwei Männer, die stets ihr Fressbrett hingehalten haben.
Das kam überraschend: Gerade erst hatte Sven Bender ein Foul begangen, da musste er auch schon vom Platz. Es war ein Juniorenspiel, im Frühjahr 2005, er spielte wie sein Bruder Lars für 1860 München und flog er mit Gelb-Rot runter. Was ein kleiner Skandal war. Denn wenige Minuten zuvor hatte Lars einen Gegenspieler umgenietet, der Schiedsrichter hatte die Zwillinge jedoch nicht auseinanderhalten können und Sven die Gelbe Karte gezeigt – letzte Verwarnung. „Ich hab zum Schiri gesagt“, erinnerte sich Sven Bender in der Süddeutschen Zeitung, „ich war das nicht, das war er! Und auch Lars hat gesagt: Das war ich. Der Schiri hat’s uns nicht geglaubt. Kurz darauf hab ich mein erstes Foul gemacht – zack, schon hatte ich Gelb-Rot. Für EIN Foul!“ Was mindestens überraschend ist. Also, das ein Bender-Zwilling in einem Spiel wirklich nur ein einziges Foul begangen hat.
Dieser Text handelt von zwei Männern, die sich vermutlich häufiger die Knochen gebrochen als Tore geschossen haben und die noch häufiger miteinander verwechselt wurden. Von Lars und Sven Bender, die im Sommer ihre Karriere beenden werden. Und damit wir uns nicht falsch verstehen: Dieser Text handelt von zwei sehr guten Fußballern.
Natürlich hat die Geschichte mit der Gelb-Roten Karte den Bender-Zwillingen nicht weiter geschadet. In München, bei den Löwen, da wussten sie ja schließlich, was sie an den beiden Talenten hatten. Ernst Tanner, zu dieser Zeit der Nachwuchskoordinator bei den Sechzigern, versteckte sich in seiner Rhetorik vor einer Wette: „Wenn ich nun sage, die Jungs werden Nationalspieler, dann halten mich alle für verrückt.“ Nicht ohne hinterher zu schieben: „Die beiden werden es packen, darauf können Sie Gift nehmen.“
Was mindestens interessant ist, diese Zuversicht, weil doch jeder davon auszugehen scheint, dass die Benders vor allem in der Bundesliga spielen, weil sie es unbedingt wollten. Davon zeugen ja allein ihre Krankenakten: Sven Bender hat 55 Verletzungen seit 2007 erlitten, die grippalen Infekte schon herausgerechnet, sein Zwillingsbruder Lars kommt – wie könnte es anders sein – ebenfalls auf 55 Blessuren. Kleinere Wehwehchen wie Faserrisse und Muskelverhärtungen, natürlich, komplizierte Läsionen wie Syndesmosebandanrisse und Knochenmarkschwellungen und jene Brüche, bei denen einem schon vom Lesen schlecht wird. 2011, im Champions-League-Gruppenspiel gegen Arsenal, prallte Sven Bender, schon für Borussia Dortmund spielend, mit Thomas Vermaelen zusammen und brach sich beidseitig den Kiefer. Die Ärzte stabilisierten sein Gesicht mit zwei Titanplatten. Es gibt Schwergewichtsboxer, die ihre Karriere glimpflicher beenden. Acht Wochen später stand Bender wieder auf dem Platz.
Sowas hält nur aus, wer hart zu sich selbst ist. Als hätte es dafür eines letzten Beweises bedurft, sagte sein Mitspieler Nuri Sahin über Sven Bender: „Er geht mit dem Kopf in Zweikämpfe, in die ich nicht mal mit dem Fuß gehen würde.” Und Jürgen Klopp versicherte: „Ich bin echt froh, dass ich weder Vater noch Mutter der Benders bin.“ Da hatte Sven soeben seinen dritten Nasenbeinbruch erlitten. Und Lars, der vielleicht gerade hinterherhinkte, was die Anzahl der Verletzungen anging, überlegte vermutlich schon, was als nächstes kaputt gehen könnte, ohne die eigene Karriere gänzlich zu gefährden.
Und also ist es natürlich Quatsch, zu behaupten, die Benders hätten so lange in der Bundesliga gespielt, weil allein ihr Wille und ihr Wille zur Selbstaufgabe dafür gesorgt hätten. Bei 1860 waren beide durch ihr abgeklärtes, fast fehlerloses Spiel unter Druck aufgefallen. 1860-Trainer Walter Schachner sagte einst: „Schauen Sie sich nur Lars’ Schienbein an, das ist voller Stollenabdrücke.“ Und als wäre das nicht Andenken genug, wurden sie mit Fritz-Walter-Medaillen beschmückt. Nur um in der Bundesliga nicht nur unter Druck zu spielen, sondern auch für den Druck zu sorgen.