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In einem Müll­eimer vor dem Hotel der ukrai­ni­schen Natio­nal­mann­schaft hat das Recher­che­zen­trum cor​rectiv​.org einen Sack mit 14 Medi­ka­menten, Spritzen und Infu­si­ons­be­steck gefunden.

Zwi­schen den Medi­ka­menten lag die Kapi­täns­binde mit dem Schriftzug No to racism – Respect“, die die Spiel­führer aller Mann­schaften bei der EM tragen. Viele Fuß­ball­spieler nehmen vor wich­tigen Spielen starke Schmerz­mittel und Ent­zün­dungs­hemmer. Zum Müll der deut­schen Natio­nal­mann­schaft war kein Durch­kommen.

Bei den Medi­ka­menten fallen sechs ver­schie­dene Schmerz­mittel und Ent­zün­dungs­hemmer auf. Sie lassen darauf schließen, dass der Ein­satz von Medi­ka­menten im Fuß­ball ver­breitet ist. Auf der Liste ver­bo­tener Doping­mittel stehen die Prä­pa­rate nicht. Der Ein­satz von Spritzen ist aller­dings zum Bei­spiel im Rad­sport schon seit fünf Jahren ver­boten. Dort gilt eine No-Needle-Policy, keine Nadeln ohne klaren medi­zi­ni­schen Zweck.

Wie ist diese Mischung an Sub­stanzen zu bewerten?

Bei keinem der gefun­denen Medi­ka­mente han­delt es sich um eine Sub­stanz, die auf der Liste ver­bo­tener Doping­mittel steht. Das bestä­tigt Mario Thevis, Pro­fessor am Kölner Zen­trum für prä­ven­tive Doping­for­schung.

Es han­delt sich in erster Linie um Ent­zün­dungs­hemmer wie Diclo­fenac-Natri­um­lö­sung und Nime­sulid. Außerdem ist Diphen­hy­d­ramin dabei, ein Anti­all­er­gikum, das auch als Schlaf- und Beru­hi­gungs­mittel ein­ge­setzt wird. Dazu eine Sorbex-Packung: Koh­le­ta­bletten, die den Körper ent­giften sollen. Außerdem Glu­cose-Infu­si­ons­beutel. Wie ist diese Mischung an Sub­stanzen zu bewerten?

Glu­cose-Infu­sionen sind nur in Not­si­tua­tionen sinn­voll“, sagt Peri­kles Simon, Leiter der Sport­me­dizin an der Uni­ver­sität Mainz. Ver­boten ist eine Infu­sion gene­rell ab einer Menge von mehr als 50 Mil­li­liter (ml). Zudem darf inner­halb von sechs Stunden jeweils nur eine Infu­sion ver­ab­reicht werden. Im Müll der Ukrainer lagen zwei leere 50ml-Beutel Glu­cose-Infu­sion.

Doping­ex­perte Simon kann sich nur wenige Aus­nah­me­si­tua­tionen vor­stellen, in denen eine solche Infu­sion ange­bracht ist: Das kann für einen Dia­be­tiker gelten, der an Unter­zu­cke­rung leidet oder einen Mara­thon­läufer im abso­luten Erschöp­fungs­zu­stand.“ Aber für junge, gesunde Profi-Fuß­baller?

Der Begriff Schmerz­mittel wäre eine Ver­harm­lo­sung“

Der ukrai­ni­sche Fuß­ball­ver­band wollte sich auf Anfrage von cor​rectiv​.org nicht zu dem Fund im Müll des Mann­schafts­ho­tels äußern. Auch die ukrai­ni­sche Anti-Doping­be­hörde, die Welt-Anti-Doping-Agentur und die Uefa ließen ent­spre­chende Anfragen unbe­ant­wortet.

Neben der Glu­cose-Infu­sion fallen vor allem die vielen starken Schmerz­mittel auf. Im Müll der Ukrainer fand cor​rectiv​.org sechs unter­schied­liche Prä­pa­rate. Der Begriff Schmerz­mittel wäre eine Ver­harm­lo­sung“, sagt der Hei­del­berger Phar­ma­ko­loge Ulrich Schwabe auf Anfrage. Die Wir­kung der Mittel ist ent­zün­dungs­hem­mend.“

Schwabe war Mit­glied der ersten Frei­burger Doping­kom­mis­sion, die die Ver­gabe leis­tungs­för­dernder Mittel durch Mit­ar­beiter der Uni­ver­sität Frei­burg unter­suchte. Er betont, dass die bei den Ukrai­nern gefun­denen Ent­zün­dungs­hemmer ein Neben­wir­kungs­po­ten­zial haben.

Den Direktor des Insti­tuts für Sport­wis­sen­schaft an der Uni­ver­sität Tübingen, Ansgar Thiel, über­rascht der offen­sicht­lich mas­sive Ein­satz von starken Medi­ka­menten bei der Fuß­ball-Euro­pa­meis­ter­schaft nicht. Thiel forscht seit Jahren zum Gesund­heits­ma­nage­ment von Spit­zen­sport­lern.

Krank oder gesund ist im Sport keine medi­zi­ni­sche Dia­gnose, son­dern die Frage, ob Sport mög­lich ist oder nicht“, sagt Thiel. Das medi­zi­ni­sche Per­sonal im Sport über­nimmt diese Denk­logik. Es geht nicht ums Heilen, son­dern ums Repa­rieren.“

Der Trainer sagt, wann es nicht mehr geht“

Ein inter­na­tio­nales Tur­nier sei eine solch sel­tene Gele­gen­heit, da werde alles getan, um den Körper fit zu halten. Solange Mittel nicht auf der Doping­liste stehen, haben die Sportler kein Unrechts­be­wusst­sein.“ Im Spit­zen­sport herr­sche eine Kultur des Schmerzes.

Schon junge Sportler lernten, dass Schmerz kein Warn­si­gnal sei, son­dern über­wunden werden muss. Der Trainer sagt, wann es nicht mehr geht. Nicht der Spieler.“

Am belieb­testen: Schmerz­mittel und Ent­zün­dungs­hemmer

Bei der WM 2014 in Bra­si­lien schluckten zwei von drei Spie­lern min­des­tens einmal im Tur­nier Medi­ka­mente, davon nahmen 40 Pro­zent vor jedem Spiel etwas. Bei einem Team hatte sogar jeder ein­zelne Spieler wäh­rend des Tur­niers Medi­ka­mente genommen. In diesem Team hatte jeder Spieler im Schnitt fast fünf ver­schie­dene Medi­ka­mente genommen, schrieb die Fifa in einem Bericht.

Am belieb­testen waren dabei mit großen Abstand ver­schie­dene Schmerz­mittel und Ent­zün­dungs­hemmer. Jeder zweite Spieler griff zu diesen Prä­pa­raten. Je länger das Tur­nier dau­erte, desto mehr Medi­ka­mente bekamen die Spieler. Die Fifa unter­sucht seit 2002 sys­te­ma­tisch, welche Mittel die Spieler bei großen Tur­nieren nehmen.

Immer wieder wird die Frage dis­ku­tiert, ob die Welt-Anti-Doping-Agentur Schmerz­mittel nur mit Geneh­mi­gung zulassen sollte und alles andere als Doping werten müsste. Schließ­lich hätten Fuß­baller ohne Schmerz­mittel oft nicht die Chance über ihre nor­male Leis­tungs­fä­hig­keit hinaus zu gehen oder könnten teil­weise vor Schmerzen gar nicht auf dem Platz stehen.

Bis­lang spricht sich die Welt-Anti-Doping-Agentur gegen eine här­tere Kon­trolle oder ein Verbot von Schmerz­mit­teln aus.

Die Autoren sind Reporter des Recher­che­zen­trums Cor­rectiv. Die Redak­tion finan­ziert sich aus­schließ­lich über Spenden und Mit­glieds­bei­träge. Der Anspruch: In mona­te­langer Recherche Miss­stände auf­de­cken. Wenn Sie Cor­rectiv unter­stützen möchten, werden Sie För­der­mit­glied. Infor­ma­tionen finden Sie unter cor​rectiv​.org.