So groß wie in der vergangenen Saison war die Aufregung um Fans im Stadion selten zuvor. Eine Zusammenfassung der Ereignisse – und welche Lehren sich für Funktionäre, Medien, Vereine, aber auch Fans daraus ergeben.
In der abgelaufenen Bundesliga-Saison rückten die Geschehnisse auf den Rängen und Vorkommnisse rund um die Fans in den Fokus der Öffentlichkeit. Sei es bei der Diskussion um Pyrotechnik, der Hoffenheimer Schall-Affäre, den Platzstürmen oder dem Fankongress in Berlin – selten zuvor riefen Aktionen der Fans derart heftige und kontroverse Reaktionen hervor. Die Rückschau zeigt, dass sich innerhalb des vergangenen Jahres drei Konflikte verschärft haben: Zwischen Fans bzw. Fangruppierungen und dem Verband, zwischen Fans und Medien sowie zwischen den Fans untereinander.
Die Saison war gerade einmal zwei Spieltage alt, da sorgte die „Lautsprecher-Affäre“ in Hoffenheim für Aufsehen. Ein Vereinsmitarbeiter hatte mit einer selbst konstruierten Beschallungsanlage auf Fans im Gästeblock eingewirkt. Der DFB ließ sich bis zur Urteilsverkündung sechs Monate Zeit und stellte dann das Verfahren ein. Dabei berief sich der Verband auf ein Gutachten der Staatsanwaltschaft, das eine gesundheitliche Gefährdung durch die Anlage ausschloss. Ein Vertreter des Kontrollausschusses tat die Vorkommnisse als „Lausbubenstreich à la Max und Moritz“ ab.
Es wäre eine kleine Episode, doch der Umgang mit der Affäre im Vergleich zu anderen Urteilen sendete bei vielen Fans ein Signal. Am Hoffenheimer Fall manifestierte sich der Vorwurf, der Verband messe mit zweierlei Maß. Nicht nur der späte Zeitpunkt des Urteils, sondern auch die Straffreiheit für den Verein stieß vielen auf. Der Tenor zum einen: Ein Einzelner könne wohl kaum ohne das Wissen weiterer Personen bei mehreren Spielen eine anderthalb Meter große Anlage in das Stadioninnere befördern und Hochfrequenz-Töne aussenden. Und viel gravierender: Bei Verfehlungen von Fans anderer Klubs machte der DFB die betreffenden Vereine haftbar.
So viele Platzverweise wie nie
Neben den Geldstrafen sprach der DFB so häufig wie nie Platzverweise für die Fans aus. Der FC St. Pauli wurde nach einem Bierbecherwurf eines Anhängers auf den Schiedsrichter-Assistenten mit einer Platzsperre, Eintracht Frankfurt nach einem Platzsturm mit einem Teilausschluss der Fans im ersten Heimspiel belegt. Im Laufe der Saison durften die Fans der Eintracht wegen des Abbrennens von Pyrotechnik nicht zum Auswärtsspiel in Berlin anreisen, Hansa Rostock und Dynamo Dresden mussten Heimspiele ohne Zuschauer austragen.
Die Dresdener sollten wegen der Randale beim Pokalspiel in Dortmund zunächst gar vom DFB-Pokal ausgeschlossen werden – eine Maßnahme, die bei der Sanktionierung schlimmerer Vergehen nicht mehr viel Spielraum nach oben gelassen hätte.
Der DFB als „Endgegner“
Die Kollektivstrafen bewirkten breite Solidarisierungen sowohl innerhalb der jeweiligen Fanszene als auch vereinsübergreifend. Hansa Rostock und Dynamo Dresden verkauften Tickets für das anberaumte Geisterspiel, Zehntausende griffen zu, die Märsche und Feiern rund um die Spiele wurden zu Protestzügen gegen den DFB. Ein Fan meinte: „Der Endgegner ist und bleibt der DFB.“
Beim Spiel zwischen Union Berlin und Eintracht Frankfurt fanden sich die Gäste trotz Verbots im Stadion ein, beide Fanlager dokumentierten auf Transparenten und mit Gesängen gemeinsam ihre Ablehnung gegenüber dem DFB. Dessen Vizepräsident, Rainer Koch, erklärte nach der Partie, dass die „Sanktion ihren Zweck nicht erfüllt“ habe.
Zum Bruch großer Teile der Fanszene mit dem Verband trug das abrupte Ende der Gespräche über Pyrotechnik bei. Die gemeinsamen Treffen, in denen sich Vertreter der Initiative „Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren“ und des Verbandes über mögliche Pilotprojekte verständigen wollten, bargen eine historische Chance des Dialogs. Gar nicht einmal die Entscheidung gegen Pyrotechnik an sich, sondern vielmehr die plötzliche und rigorose Ablehnung weiterer Gespräche vonseiten des DFB verstärkte bei den Fans den Eindruck, nicht ernst genommen zu werden. „Die moderaten Kräfte haben durch die Reaktion des DFB an Einfluss verloren. Viele sagten: ‚Was wollt ihr denn? Die verarschen uns doch nur?‘“, sagte Jannis Busse, ein Sprecher der Initiative.
Das Wettrüsten
Die vergangene Saison war deswegen geprägt von einer Art Wettrüsten. Härtere Strafen wurden mit größerer Ablehnung und Gegenaktionen beantwortet. Auf der Fanseite besteht die Gefahr, sich in der strikten Ablehnung gegenüber dem DFB in ständigem Unrechtsbewusstsein zu ergehen und ohne Form von Selbstkritik hinter der Parole „Fußball-Mafia DFB“ zu verschanzen.
Dennoch ist es nicht nur an den Fans, sondern vor allem am Verband, durch eine gesteigerte Dialogbereitschaft etwas Druck vom Kessel zu nehmen. Auch in der kommenden Saison wird der DFB Delikte in den Fanblöcken ahnden müssen, doch die Maßgabe dafür kann nur mehr Einheitlichkeit und Transparenz sein.
Nicht erst nach dem Relegationsrückspiel zwischen Düsseldorf und Berlin wurde deutlich, wie weit Erlebnisberichte der Beteiligten und die mediale Berichterstattung auseinander liegen können. Im Polizeibericht war zu lesen: „So kam es weder vor, während noch nach dem Spiel zu gravierenden körperlichen Auseinandersetzungen oder Gewalt. Trotz eines hochdramatischen Verlaufs und der großen Emotionalisierung beider Fanlager blieb es aus polizeilicher Sicht während des Spiels weitestgehend friedlich.“
In einem Kommentar des „Kicker“ jedoch war von „Zuständen wie im Bürgerkrieg“ die Rede, die „Welt“ sah einen „exemplarischen Zusammenbruch der rechtsgeschützten öffentlichen Ordnung“. Alfred Draxler forderte in der „Bild“ gleich die „totale Video-Überwachung auf den Rängen“. Bereits im vergangenen Herbst nach den Vorkommnissen beim Spiel Dortmund gegen Dresden war der gleiche mediale Reflex zu beobachten.
Einseitiger Informationsfluss
Auch hier wurde die Situation in den deutschen Stadien als beinahe lebensgefährlich beschrieben, obwohl sich die Zahl der Strafverfahren rund um Fußballstadien zu diesem Zeitpunkt verringert hatte. Einen Tiefpunkt der Berichterstattung kennzeichnete der mediale Umgang mit einem Nürnberger Fan, der bei der Rückreise eines Spiels von einem Zug erfasst und schwer verletzt worden war. In den ersten Meldungen wurde er danach fälschlicherweise als bekannter Hooligan tituliert.
Organisierte Fangruppierungen kritisieren die Medien für die einseitige Berichterstattung, die die Sichtweise der Fans ausklammere. Allerdings trägt auch die strikte ablehnende Haltung der Ultras gegenüber den Medien zum einseitigen Informationsfluss bei. Dass die Pauschalisierungen ins Leere führen, verdeutlicht allein das Beispiel der öffentlich-rechtlichen Sender.
Mediales Interesse als Chance
In vielen Fan-Blogs wurden ZDF und ARD für ihre tendenziöse Berichterstattung über Fans bei den Übertragungen angegriffen. Doch gerade das ZDF-Sportstudio mit einer Sondersendung zu Fan-Themen oder die WDR-Sendung „sport-inside“ mit Berichten zu Stadionverboten oder Pyrotechnik zeigten, dass auch den Belangen der Anhänger Gehör verschafft wird.
In der vergangenen Saison nahmen die Berichte über Fans so viel Raum ein wie lange nicht, im positiven wie negativen Sinne. Hierin liegt auch eine Chance für die Anhänger, ihre Anliegen und Sichtweisen stärker und besser zu kommunizieren als bisher.
Als die Fans von Borussia Dortmund im Jahr 2003 nach einer Niederlage beim VfB Stuttgart aus Protest den Mannschaftsbus blockierten, sorgte das seinerzeit für Aufsehen. Mittlerweile leiten einzelne Fangruppen aus ihrem maximalen Support, ihrer Hingabe für den Verein die Legitimation ab, bei fehlender Leistungsbereitschaft der Spieler direkt auf diese einwirken und Rechenschaft verlangen zu können. In der vergangenen Saison häuften sich diese Aktionen, unter anderem zu beobachten bei Hertha BSC Berlin auf dem Trainingsgelände oder dem 1. FC Köln am Bahnhof.
Verliefen diese Aktionen noch weitgehend gewaltfrei, so zeigten Meldungen über Angriffe auf Spieler im privaten Bereich eine neue Dimension. Magdeburgs Profi Daniel Bauer soll zu Hause ebenso ungebetenen Besuch bekommen haben wie der Kölner Pedro Geromel, dem Leverkusener Michal Kadlec wurde gar die Nase gebrochen.
Dividiert sich die Fanszene auseinander?
Eine gleichsam erschreckende Entwicklung zeichnete sich bei der Reaktion auf sportlichen Misserfolg im Stadion ab: Wie in den vorangegangenen Spielzeiten die Herthaner und Frankfurter, so stürmten in der abgelaufenen Saison Nürnberger nach der Derbyniederlage sowie Karlsruher und Kölner nach dem Abstieg den Platz.
In Stellungnahmen aus der Fanszene werden die Vorkommnisse als Form der Frustbewältigung in Folge von enttäuschender Leistung oder polizeilicher Repression erklärt. Der große Teil der Fans im Stadion hat dafür kein Verständnis, in den betreffenden Fällen reagierten viele Anhänger mit Pfiffen und Sprechchören auf den Platzsturm.
Zu den Vorstellungen von Ultras oder organisierten Fangruppierungen gehört die Einheit der Fankurve. Doch fehlende Selbstkritik, der Mangel an klaren Bekenntnissen gegen Gewalt und Rassismus kratzen an der Glaubwürdigkeit und Akzeptanz. Außerdem läuft man Gefahr, dass dadurch diejenigen angezogen werden, die den Fußball und den Fanblock als Bühne missbrauchen und die Fanszene in Misskredit bringen.
Der Fan-Kongress als leuchtendes Beispiel
Am Ende der Saison bleibt als Schlüsselproblem festzuhalten: Es gibt Pauschalisierungen auf allen Seiten („die bösen Ultras“, „Fußball-Chaoten“, „Fußball-Mafia DFB“, „Lügenpresse“), Teile der Medien, Funktionäre und Fans verschanzen sich in ihren Schützengräben.
Wie eine Lösung der Situation aussehen kann, zeigte die wohl beste Aktion von Fans während der abgelaufenen Saison: Beim Fan-Kongress in Berlin machten sie vor, wie ein offener, selbstkritischer Dialog aussehen kann. Wer immer demnächst über die Zukunft des Fußballs diskutieren will, der sollte sich daran orientieren.